Druckartikel: Die Natur kennt keinen Verpackungsmüll

Die Natur kennt keinen Verpackungsmüll


Autor: Jochen Nützel

Kulmbach, Mittwoch, 26. März 2014

Der Praxistest zeigt: Einkaufen ohne Kunststoff ist eine Illusion. Aber es gibt bisweilen die - wenn auch nicht gleich sichtbare - Alternative zum Einweg-PET-Bier, zu Bananen in Folie und eingeschweißter Hartwurst.
Täglich vier solcher Behälter mit gepressten Einweg-Flaschen entleeren die Mitarbeiter des Real-Getränkemarkts. Pro Woche kommen 30 Wannen zusammen - Tendenz steigend. Die Ware wird eingeschmolzen, die daraus gewonnenen PET-Flocken unter anderem nach China exportiert. Dort entstehen Fasern für Bekleidungsstücke daraus. Fotos: Ronald Rinklef


Noch schlummert sie mit Ihresgleichen in einer blauen (Kunststoff-)Wanne. Die Einweg-Bierflasche macht einen geknickten Eindruck, hat sichtbar an Form und Volumen verloren. Ein Schredder hat sie platt gemacht, um Platz zu sparen im Auffangbehälter. Es knirscht, als die Flasche zu den anderen plumpst. Nur die Aufkleber verraten, was die Ausrangierten dereinst enthielten.

In dieses sonst verschlossene Abteil im Real-Getränkemarkt verirrt sich nur selten der Blick des Kunden. Hier, auf der Rückseite der beiden Flaschenrückgabe-Automaten, landen auch sie: die Nur-einmal-Benutzten, die gefüllt waren mit Wasser, Limo oder eben Gerstensaft. Während hinten an der Wand auf Bändern die Kästen mit den Mehrweg-Flaschen vorbeirattern, schiebt ein Mitarbeiter die volle Wanne mit den Zerquetschten auf die Seite - es ist die erste Ladung an diesem Tag. Vier bis zum Rand gefüllte Tonnen werden es am Abend sein, 30 kommen pro Woche zusammen.

Es ist nicht so, dass beim Getränkekauf niemand an Plastik vorbeikäme - doch er muss Abstriche bei der Auswahl machen. Wasser und Bier gibt es erfreulicher Weise noch sehr oft im Glas; bis zu 50 Mal kann eine solche Flasche gereinigt und wiederbefüllt werden. Doch der Lieblings-Saft beispielsweise ist hier nur noch in der "leichten Mehrweg" erhältlich. Immerhin 20 Mal soll sich der - in der Tat - leichte Zwölfer-Pack wiederverwerten lassen.

Armada der Weichmacher
Hans-Joachim Hornung kommen die Flaschen trotzdem nicht in die Tüte - respektive den Einkaufsbeutel. Der Kulmbacher zeigt sich sehr interessiert an den fragenden Journalisten im Getränkemarkt, die nach Wegen aus der Plastikfalle suchen, und spricht uns an. "Gut, dass das mal jemand öffentlich macht, was da für ein Wahnsinn im Gange ist." Er deutet auf die Regalreihen, aus denen zig Kunststoffflaschen ihre Hälse recken.




Eine Armada der Weichmacher. Ohne die lässt sich kein Kunststoff in die gewünschte Form biegen. "Was die Hersteller nicht sagen, ist, was aus der Flasche in die Flüssigkeit übergeht", sagt Hornung. Abgesehen davon, was im Wasser ohnehin schon alles drin sei, was nicht reingehört: Pestizide und Düngemittelrückstände aus der Landwirtschaft, Quecksilber und Kadmium aus der Industrie seien doch schlimm genug, findet er. "Und die chemischen Bestandteile sind sicher genauso wenig gesundheitsfördernd und haben Auswirkungen auf den Hormonhaushalt von Organismen. Da gibt es seriöse wissenschaftliche Studien dazu."

Um dem zu entgehen, sagt der Kulmbacher, trinke er nur Leitungswasser, aufbereitet mittels Aktivkohlefilter. Wenn er überhaupt in den Getränkemarkt geht, um sich Wasser zu kaufen, dann nur in der Glasflasche. "Ich störe mich dran, dass die Plastikverpackung ihren Siegeszug angetreten hat. Du bekommst ja nicht mal mehr eine Scheibe Wurst, ohne dass die doppelt eingepackt und verschweißt ist. Als Begründung wird immer die Verordnung zur Lebensmittelhygiene vorgeschoben."

Bloß keine Namen!
Immer? Machen wir den Test. Welche Fleischereifachverkäufer händigen den Bierschinken, das Putenschnitzel und die Salami auch dann aus, wenn der Kunde mit der eigenen Verpackung aufkreuzt und dezidiert sagt, er möchte keine Folie um die Ware? Die Stichprobe in Stadt und Landkreis ergibt: In zwei Fällen wird unsere mitgebrachte Schachtel (aus Edelstahl) auf Wunsch anstandslos und sogar ohne weitere Umhüllung befüllt - aber mit dem Hinweis: bloß keine Namen nennen und keine Fotos bringen. Begründung: "Wenn mein Chef das sieht, krieg' ich Probleme, weil ich gegen die Hygienebestimmungen verstoße."

Im dritten Geschäft führt just diese Bestimmung dazu, dass wir 200 Gramm Aufschnitt erst eingeschweißt und dann auch noch in der Plastiktüte überreicht bekommen - gegen unseren ausdrücklichen Willen. Anmerkung der Verkäuferin: "Ich darf nicht. Woher weiß ich denn, ob sie nicht morgen wiederkommen und sich beschweren, dass die Wurst braune Ränder hat?" Die Dame handelt sicher nicht in böser Absicht. Und Vorschriften sind heilig.

Insofern versucht sich Karin Wehner auf dem goldenen Mittelweg: Die Fölschnitzerin führt in ihrem Heimatort eine Metzgerei - und achtet darauf, wo sich Kunststoff bei allen gesetzlichen Vorgaben vermeiden lässt. "Das Wurstpapier besteht fast ausschließlich aus Papier und hat nur eine ultradünne Folienbeschichtung, der Frische wegen." Die Ware reicht sie im braunen Papierbeutel über die Theke. "Das geht bei Aufschnitt oder relativ trockener Ware." Beim marinierten Steak aber nicht, da sollte nicht der Fleischsaft unten aus der Tüte tropfen. Und dann muss es eben auch bei Karin Wehner die Kunststoffhülle sein.

Wie feucht aber sind ungeschälte Bananen, die Mutter Natur schon so mustergültig verpackt hat? Im Konsumtempel Supermarkt liegen die Krummgebogenen offen in der Box - und daneben: Kunststoffbeutel. Der Kunde soll erst abwiegen, dann das Papperl mit dem Preis draufpappen und ab an die Kasse. Wir wiegen nicht ab, sondern wägen ab, ob es auch anders geht. Mit drei Bananen, wie Gott sie schuf, auf zum Bezahlen. Die Kassiererin stutzt kurz. Als wir sagen: "Wir wollten kein Plastik", schlägt sie in ihrer Tafel nach und tippt einen Preis ein. Der Scanner hat Pause. Alles in Ordnung, wir dürfen passieren.

Was wir beim Hinausgehen im Augenwinkel erspähen: geschälte Bananen, verpackt in Folie und mit Ethylen begast gegen die Braunfärbung. Respekt, da hat sich jemand in der Lebensmittelindustrie doch mal so richtig Gedanken gemacht...