Die Mär vom fairen Lohn
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Montag, 14. Januar 2019
Wann ist Bezahlung "gerecht"? Betriebsseelsorger Eckhard Schneider hat da seine eigenen Erfahrungen gemacht.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? Eine schöne Vorstellung. Wie aber ans Ziel kommen? Und können Gesetze helfen oder nur Solidarität? Der katholische Betriebsseelsorger Eckhard "Joey" Schneider zeichnet ein kritisches Bild. Arbeit und Entlohnung - da gibt es reale und gefühlte Ungerechtigkeiten. Herr Schneider, aus Ihrem Erfahrungsschatz als langjähriger katholischer Betriebsseelsorger und Kenner der Branche: Ist die Lohnzufriedenheit größer oder kleiner geworden?
Eckhard Schneider: Das ist ganz unterschiedlich und kommt drauf an, wo und in welcher Sparte die Beschäftigten arbeiten und wie sie selber ihre Situation bewerten. Es ist nicht nur eine monetäre Frage, sondern die Frage nach Lohn-Zufriedenheit ist immer auch eine sozialethische. Das heißt: Die Wertschätzung des Einzelnen und das Betriebsklima lassen manches Lohngefälle hinnehmen. Dennoch: Die gerechte Entlohnung ist Dreh- und Angelpunkt der Sozialethik.
Geht es dabei auch um die Frage von Tarifgehalt und frei verhandeltem Lohn?
Ich erlebe immer häufiger, dass Arbeitgeber die Tarifbindung kündigen. Sie wollen "frei" bezahlen, also entsprechend ihrer individuellen wirtschaftlichen Lage, wie sie selber einschätzen; dem Arbeitnehmer ist nur die Rolle des Empfängers und Bittstellers zugedacht. Wenn keine anderen kollektiven Vereinbarungen getroffen werden, ist die Frage nach Gleichheit in der Bezahlung problematisch. Wohin diese Entwicklung im Extremfall führen kann, zeigt sich an einem Beispiel im Klinikbereich. Leute, die die gleiche Arbeit tun, werden unterschiedlich bezahlt. Auf einer Station drei verschiedene Entlohnungsmodelle: die junge Krankenschwester, die ältere Kollegin mit dem Alttarifvertrag - und dazu die Leiharbeiterin. Alle tun die gleiche Arbeit nach dem gleichen Dienstplan. Dass das nicht förderlich ist für das Betriebsklima und für die Gewinnung von neuen Mitarbeitern, ist verständlich.
Die Leute fühlen sich zu Recht gegeneinander ausgespielt, oder?
Die Beschäftigten sprechen viel zu wenig über ihr Gehalt, oder es wird ihnen explizit untersagt. Aber in vertraulichen Gesprächen heißt es häufig: Warum ist das erlaubt? Da muss doch einer eingreifen. Wie kann das Gewerkschaft/Arbeitnehmervertretung zulassen? Und darauf muss ich den Leuten sagen: Es liegt nicht allein in deren Händen, dass solche Möglichkeiten bestehen. Ohne Solidarität und Rückendeckung werden die "Kleinen" leicht ausgespielt. Wofür gehe ich auf die Straße und wofür gebe ich mein Einverständnis?
Kann hier das neue Lohntransparenzgesetz etwas bewirken? Es soll ja helfen, Differenzen in den Gehältern von Männern und Frauen aufzudecken. Oder ist das nur eine weitere bürokratische Krücke ohne echten Fortschritt?