Die Leiden des (jungen) Stadtbaums
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Mittwoch, 10. November 2021
Das Klima in der Stadt hängt nicht zuletzt davon ab, wie grün die Umgebung ist. Dafür ist auch Jürgen Ganzleben unterwegs, Kulmbachs "Baumflüsterer".
Der Boden: zubetoniert oder - im besseren Fall - gepflastert (aber nicht selten mit zu wenig Platz für Wurzeln); dazu: Dauerberieselung mit Abgasen, der Abrieb Tausender Autoreifen, Streusalz und Hunde-Urin, ferner Feinstaub aus Industrieschloten und Holzheizungen. Wäre das nicht genug Pein, kommen mit dem Klimawandel höhere UV-Strahlung, weitere Hitzetage und längere Dürreperioden hinzu, was sie anfällig für Trockenschäden und Schädlingsbefall macht. Unter diesen alles andere als günstigen Bedingungen wachsen sie: Kulmbachs Stadtbäume, zwischen 4000 und 5000 an der Zahl. Und die sollen in Zeiten des Klimawandels der Stadtbevölkerung ein halbwegs erträgliches Mikroklima bieten.
Ihr Wohl im Blick hat Jürgen Ganzleben. Der Gärtnermeister leitet seit vielen Jahren die Abteilung im Bauhof, die für die städtischen Grünanlagen zuständig ist. Unter anderem gehören dazu die Platanen, die seit der Umgestaltung den Eku-Platz säumen. Diese Gehölze haben, wie Ganzleben betont, den bestmöglichen Start ins Stadtbaum-Leben bekommen; ihnen wurde von der ausführenden Firma im wahrsten des Wortes ein optimaler Boden bereitet. "Der Standort ist ja ein besonderer, auch wegen des verdichteten Umfelds."
Platz für den Wurzelraum
Aber auch hier kann man - bei einer Neupflanzung - entsprechend eingreifen: Im Untergrund sind nach neusten Kenntnissen die Volumina für den Wurzelraum berechnet worden; es wurde ein hochwertiges Spezialsubstrat eingebracht, das den Gehölzen beste Startmöglichkeiten einräumt, dazu kamen Vorkehrungen für eine ausreichende Durchlüftung des Wurzelwerks und eine ringförmige Möglichkeit der Bewässerung. Bei einer solchen wassergebundenen Wegefläche genügt der Niederschlag allein nicht, weiß Ganzleben. "Vielleicht in einigen Jahren, wenn die Bäume eingewachsen sind. Die ersten sieben bis zehn Jahre muss gewässert werden."
Und so ein Stadtbaum, der in stattlicher Größe gepflanzt wurde, schluckt gerade in Trockensommern wie 2018 und 2019 eine Menge. "Allein die besagten Platanen bekamen einmal pro Bewässerungsgang und Baum 150 bis 200 Liter. Dies geschah in heißen Phasen ein- bis zweimal pro Woche." Darum und auch um die Prüfung des Baumunterhalts kümmern sich speziell ausgebildete Mitarbeitende.
Was der Baum der Zukunft ist? Darüber gibt es Erkenntnisse seitens der bayerischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau in Veitshöchheim. "Dieses Forschungsprojekt erprobt seit etwas mehr als zehn Jahren zukunftsträchtige Gehölze. Hier informieren auch wir uns, aber auch über den Austausch mit anderen Kommunen. Das gibt uns wertvolle Hinweise über Pilz- und Schädlingsresistenz, über Widerstandsfähigkeit von Hitzeperioden und vieles mehr."
Die Hoffnungsträger
Aus all diesen Erhebungen haben sich einige Bäume als Hoffnungsträger für die Zukunft herauskristallisiert, so der Fachmann. Dazu gehören unter anderem die Blumen- oder Manna-Esche aus Südosteuropa, die auch gegen das Eschentriebsterben, das durch einen Schädling aus Asien eingeschleppt wurde, offenbar weitgehend immun ist. "Das war auch das Kriterium, diesen Kandidat für die Neubepflanzung an der Baustelle in der Hofe Straße vorzuschlagen. Er ist zwar nicht heimisch, aber als Bienenweide hat er ein zusätzliches Plus vorzuweisen. "
Ein weiterer Name: die Silberlinde. "Die war mal verpönt, weil es hieß, Inhaltsstoffe der Pflanze würden Hummeln töten. Das stimmte nicht. Ihre Blüten sind im Jahreszyklus die letzte Nahrungsquelle, die Hummeln anzapfen können. Daher hat man unter diesen Bäumen viele tote Hummeln gefunden, weil es ihre letzte Mahlzeit war, bevor sie ohnehin gestorben wären."