Die Kulmbacher haben das Feiern offenbar verlernt
Autor: Sonja Adam
Kulmbach, Mittwoch, 16. Juni 2021
Herrliche Sommertemperaturen, feinstes Biergartenwetter - der Auftakt zur Europameisterschaft hätte der Beginn eines Sommermärchens werden können.
Bierseligkeit, Bratwürste und unbändige Feierlust - dafür sind die Kulmbacher berühmt, auch außerhalb des Bierfestes. Doch zum EM-Auftakt war davon nichts zu spüren. Während der Pandemie haben die Kulmbacher offenbar die Feierlaune verloren. Unwiederbringlich oder nur vorübergehend - das bleibt abzuwarten.
Der Mönchshofs-Biergarten war verwaist. Dienstags hat er geschlossen, ob jetzt Deutschland spielt oder nicht. Am Zentralparkplatz waren die Stühle schon "hochgeklappt". Bis 17 Uhr hat das Café offen. In die alte Feuerwache, die Feier-Meile für Fußballfans, hatte sich kein einziger Gast verirrt. Und auch die Stühle vor der Sanremo blieben leer. "Ich habe das schon nichts anderes erwartet. Vor dem Spiel haben einige Eis geholt, das essen die Leute dann zu Hause", verrät Augusto de Pellegrin. "Aber ehrlich gesagt, ist es vielleicht noch zu früh. Es ist schon vernünftig so", findet de Pellegrin.
Etwas mehr los war im "Dolce Vita" am Marktplatz. Viele nutzten den Sommerabend, um italienische Spezialitäten zu genießen. "Ich denke schon, dass die Leute sich nach ein bisschen Dolce Vita sehnen. Alle wollen rausgehen, schön essen", freute sich Toni Vullo über das rege Leben, das jetzt langsam wieder anläuft. Der Wirt hatte sich im Innenbereich - unsichtbar für die Gäste - einen Fernseher aufgestellt. "Ich muss doch schon mal ein bisschen schauen, was da so gespielt wird", verriet Vullo und freute sich riesig, dass die Italiener mit einem "Mamma-Mia"-Auftakt für Furore gesorgt haben.
Das Leben genießen - mehr nicht
"Ich hatte einfach Hunger, deshalb bin ich hier", erklärte indes Raphael Pott aus Osnabrück und genoss seine Pizza. Und die größeren Gruppen, die "Dolce Vita" erleben wollten, waren sogar ganz froh, dass kein Fernseher sichtbar war. Moritz Dörnhöfer, Alexander Grzelczyk, Julia Friedlein, Saskia Grampp und Valentina Kranz fanden das Sommerwetter herrlich - einfach nur zusammensitzen, das Leben genießen. Mehr wollten sie nicht.
Auch im Roberts war einiges los. Doch auch da genossen die Kulmbacher und die Touristen nur den herrlichen Abend und die lauen Temperaturen. Mehr wollte niemand. "Ich denke, Deutschland verliert sowieso", prophezeite Katrin Hannemann aus Lübeck noch vor Hummels Eigentor. Das Ehepaar macht Urlaub in Kulmbach, möchte wandern, unterwegs sein, radeln und die Gegend erkunden. "Ich bin sowieso eher Handballer. Dass jetzt hier kein Bildschirm aufgestellt ist, stört mich überhaupt nicht", kommentierte Reimund Hannemann ehrlich.
In der Oberen Stadt gab es dann tatsächlich ein bisschen Fußball zu sehen: Im Restaurant "Delphi" war ein Fernseher im Außenbereich aufgestellt und alle Gäste schauten gebannt auf das Spiel. Im Casa und in der Sohle waren die TV-Geräte im Innenbereich - und die Gäste schauten von draußen nach drinnen.
Roman Kaussler und Jürgen Stündl gaben offen zu, dass sie nicht nur wegen des griechischen Essens gekommen waren, sondern auch, um das Spiel gemeinsam zu sehen. "Für einen Dienstagabend war der Besuch ganz gut. Die Leute trinken an so einem Tag mehr", verriet Kostas Papavasiliou - und holte Nachschub.
"Ach, wir wären sowieso da. Das ist doch unser Wohnzimmer", sagte eine Gruppe in der Sohle. Die Jugend genoss es, ohne Abstand und ohne Masken ausgelassen zu feiern. Echte Hardcore-Fans kamen sogar in Fußball-Shirts in die Obere Stadt. Matthias Pistor, Stefan Wettermann und Andre Krüger hatten sich passend zum EM-Auftakt gekleidet und saßen mit Bier auf der Casa-Terrasse. Sie wollten die Gastronomie unterstützen und ein bisschen Spaß haben.