Die Klasse der Geflüchteten
Autor: Alexander Hartmann
Thurnau, Donnerstag, 28. April 2022
Seit Montag werden Kinder wie die 8-jährige Bogdana und die 17-jährige Alina in "Pädagogischen Willkommensgruppen" betreut. Die meisten Ukrainer, die nicht nur die deutsche Sprache lernen, haben ein Ziel: Sie wollen schnell zurück in ihre Heimat.
"Tiger" steht auf der Tafel - in Deutsch. Bogdana überlegt kurz, nimmt dann die Kreide in die Hand und schreibt "Tiger" auf Ukrainisch. Die Achtjährige kommt aus Kiew, ist mit ihrer Mutter vor dem Krieg geflüchtet und in Thurnau gelandet. Dort besucht sie seit Montag eine der "Pädagogischen Willkommensgruppen", die im Freistaat eingeführt worden sind, um den oft auch traumatisierten Kindern zumindest etwas Alltag zu bieten und sie in das bayerische Schulsystem hineinschnuppern zu lassen. Im Landkreis Kulmbach gibt es sieben Stück: an der Pestalozzischule (2), am MGF, in Stadtsteinach, Untersteinach, Marktleugast und Thurnau.
Die Sprache ist ein Hindernis
Wie bei ihren Mitschülern Grischa, Wika oder auch Alisa ist an einen richtigen Schulbesuch auch bei Bogdana noch nicht zu denken. Dafür fehlen die Sprachkenntnisse, die sich die Kinder in den nächsten Wochen und Monaten aneignen sollen - um für den Fall, dass sie nicht in ihre Heimat zurückkehren können, eventuell schon im September die Regelklasse besuchen zu können.
Die Frau, die den Flüchtlingskindern in Thurnau Deutsch näherbringen soll, heißt Inna Barbacari. Die 41-Jährige kommt aus Moldawien und ist ein Sprachtalent. Sie kann Rumänisch, Französisch, Deutsch und Russisch, das der ukrainischen Sprache sehr ähnelt. "Wir können uns gut verständigen", sagt Inna Barbacari, die in Moldawien eine pädagogische Ausbildung absolviert hat.
Die besondere Kombiklasse
In der besonderen Kombiklasse - unter den neun Schülern sind vor allem Erst- bis Viertklässler - stehen nicht nur Deutsch und Mathe auf dem Stundenplan. "Wir sprechen über die Flora und Fauna, aber auch über viele alltägliche Dinge. Heute haben wir uns über Hunde und Katzen unterhalten, und ich habe gefragt, warum es in Deutschland keine Streuner gibt. Die Kinder haben gestaunt, als ich ihnen erklärt habe, dass es in Deutschland anders als in der Ukraine Haustiere sind, um die sich die Besitzer meist liebevoll kümmern", sagt Inna Barbacari, die den Schülern das Leben in Deutschland näherbringen will. Sie geht mit ihnen deshalb zum Einkaufen, besichtigt mit ihnen das Schloss und plant einen Spaziergang um den Schlossweiher.
Der Krieg
Ob der Krieg ein Thema ist? "Die Kinder sprechen nicht gerne darüber. Die meisten sind wohl auch noch zu klein und realisieren nicht, welche Bedeutung der Krieg hat", sagt die 41-Jährige, die in den ersten Tagen erfahren hat, dass bei den Buben und Mädchen die Sehnsucht nach der Ukraine groß ist. Den Kindern fehlten die Väter, die meist bei den Streitkräften sind, es seien beispielsweise aber auch kulinarische Gewohnheiten, die sie missen würden. Wie bei Bogdana, die statt den deutschen Bratkartoffeln viel lieber den Eintopf Borschtsch oder die Teigtasche Pelmeni essen würde, die in ihrer Heimat traditionelle Gerichte sind.
Sehnsucht nach der Heimat
Sehnsucht nach der Ukraine hat auch eine Schülerin, die in der Thurnauer "Willkommensklasse" eigentlich fehl am Platz ist: die 17-jährige Alina, die sich mit Grundschulkindern ein Klassenzimmer teilt. "Etwas peinlich" sei es ihr, sagt Alina, die in der Ukraine die elfte Klasse besucht hat und Krankenschwester werden will. Inna Barbacari, die sich auf den Lehrstoff der ersten bis vierten Klasse konzentriert, kann der 17-Jährigen nicht viel weiterhelfen. Doch Alina, die aus der Nähe von Kiew kommt, legt sich nicht auf die faule Haut. "Ich bekomme das Übungsmaterial von meiner ukrainischen Lehrerin. Bei uns findet der Unterricht ohnehin nur online statt", sagt die junge Frau, die sich wünscht, ihre Klassenkameraden bald wieder zu treffen. Alina, die mit Tante und Cousine geflüchtet ist, will schon im Mai in die Ukraine zurück. Sie möchte zu ihrer Mutter, die in der Heimat geblieben ist, um sich um ihre Eltern zu kümmern. Ob Alina keine Angst hat, in die Kriegsregion zurückzukehren? "Nein. Ich will lieber bei meiner Mutter in der Ukraine sein als in Deutschland." Inna Barbacari ist davon überzeugt, dass viele junge Flüchtlinge ähnlich empfinden. "Die meisten wollen zurück in die Ukraine", sagt die 41-Jährige, die in Thurnau eine "Pädagogische Willkommensklasse" betreut, von der mit Alina zumindest eine Schülerin wohl bald wieder Abschied nehmen wird.