Die Geschichte vom Blauen Turm
Autor: Matthias Einwag
Kulmbach, Montag, 16. Mai 2016
Langheim hat eine lange Historie, die eng mit Kulmbach verbunden ist. Mit der Säkularisation wurde das Kloster aufgehoben. Wie geht man mit diesem Erbe um?
Es war einmal ein Blauer Turm. In dem saß und schrieb ein Abt namens Mauritius. Er kritzelte seine Kladden voll mit all jenen Dingen, die er vom Firmament klaubte. Kalender um Kalender füllte er Jahr um Jahr, bis er meinte, aus alldem, was in den Sternen steht, das Ewiggleiche auf Erden ableiten zu können. Eine Muse küsste ihn zur blauen Stunde an einem Sommerabend, und so reifte in sternenklarer Nacht in ihm eine Idee. "Heureka!", rief er, setzte sich auf den Hosenboden seiner Kutte und schrieb den Hundertjährigen Kalender.
Soweit das Märchen. Wahr ist, dass in Langheim einst ein Abt namens Mauritius Knauer lebte und seinen Hundertjährigen Kalender schrieb. Knauer war auch der Abst, der den Langheimer Amtshof in Kulmbach erbaute.
Die Erkenntnisse jahrelanger Wetterbeobachtungen flossen in sein Calendarium Oeconomicum Perpetuum Practicum ein - nachmals Hundertjähriger Kalender genannt.
Prägende blaue Schieferhaube
Einen Blauen Turm hat es in Langheim gegeben, sagt Bezirksheimatpfleger Günter Dippold, und auch der Standort oberhalb des Klosterortes ist verbürgt. Seinen Namen habe der Turm wohl von seiner blau verschieferten Haube, die sich farblich von den Ziegeldächern der anderen Gebäude abhob.Zu den Ungewissheiten gehört die zäh sich haltende Anekdote, der Prälat habe in diesem Elfenbeinturm an seinem vielhundertjährigen Nachruhm gestrickt. Mitnichten sei bewiesen, dass der Abt den Turm als Sternwarte nutzte und von hier aus den Lauf der Gestirne beobachtete und daraus obendrein irdische Zyklen ableitete.
Um das Zisterzienserkloster ranken sich heute manche Legenden, sagt Günter Dippold. Halbwahrheiten und Anekdoten sind zu einem rührenden Cocktail zusammengeschüttelt. Damit aufzuräumen wäre ehrenvoll. Etwa mittels des neuen Nutzungskonzepts, das die Stadt Lichtenfels noch in diesem Jahr fürs Heimatmuseum und die Katharinenkapelle vorzulegen beabsichtigt. So ist vor allem vorgesehen, in der Kapelle ein Museum einzurichten, das der Geschichte der Säkularisation in Bayern gewidmet ist.
Deutlich sichtbare Wunden
"Ein Museum lebt von Exponaten", sagt der Bezirksheimatpfleger, "und ein Museum ist ein Ort, an dem ich Geschichten über Dinge und anhand von Dingen erzähle - Dinge, die wir aber in diesem Fall nicht haben". Andererseits: "Langheim ist ein Ort, an dem die Wunden, die die Säkularisation geschlagen hat, noch heute zu sehen sind. Dieser Ort ist gut geeignet, um das Phänomen zu verdeutlichen."
Bei der Neukonzeptionierung dürfe man sich demnach nicht auf einen einzelnen Platz konzentrieren, sondern sollte den ganzen Ort zeigen. Deutlich zu sehen sind die Lücken, wo einst Gebäude standen und die Reste der Terrassen, auf denen Obst angebaut wurde. Wichtiger als ein Museum zu konzipieren, das hohe Betriebskosten nach sich ziehen werde, wäre es, das ehemalige Kloster gut zu erschließen und all das zu zeigen, was man eben vom öffentlichen Raum aus sehen kann.
Großes Lob zollt Günter Dippold dem bürgerschaftlichen Engagement der "Heimatfreunde Klosterlangheim", die "einen tollen Job für den Ort" machen. Er warnte aber, dem Verein zu viel Verantwortung aufzubürden, denn zu viel könne zu einer Last werden. Die Stadt Lichtenfels, sagt er, sollte sich schon genau überlegen, was sie haben wolle und welche Auswirkungen das habe.
Über Bayern hinausblicken
Die Säkularisation sei kein fränkisches oder bayerisches, sondern ein europäisches Phänomen. Wer diese Thematik erklären wolle, müsse über seinen lokalen Tellerrand hinausblicken. Etwa nach Böhmen, wo das Langheimer Tochterkloster Plaß zum Vergleichen einlade. Oder nach Österreich, wo zahlreiche Klöster nach der Säkularisation nicht platt gemacht wurden wie in Bayern, sondern andere Wege nahmen.
Es gehe darum, Zusammenhänge aufzuzeigen und Geschichte verständlich zu machen: Warum reformierte zum Beispiel Kaiser Joseph II. in Österreich die Klöster anders als es nach der Säkularisation im Kurfürstentum Bayern geschah?
"Für die Vermittlung braucht es nicht primär Gelehrte, schon gar keine Stubengelehrten, sondern Begeisterte. Denn nur wer selber brennt, kann andere entflammen", fasst Günter Dippold in seiner metaphernreichen Sprache zusammen.
Und dann wären da noch die Verkehrsadern, die sich veränderten. Wer heute nur zehn Minuten in der Ortsmitte von Klosterlangheim am plätschernden Brunnen sitzt, ist in Gefahr durch den permanent rauschenden Verkehrsfluss einen Tinnitus zu bekommen. Wäre die Geschichte anders verlaufen und stünde das Kloster noch, hätte wohl niemand eine Hauptverkehrsader mitten durch diese Anlage gebaut. So aber veränderten sich die Gewichtungen - die frühere Verbindungsachse von Langheim nach Vierzehnheiligen sank von der Hauptstraße zu einer Feldflur herab.
Gelungen: der Nothelferweg
Manches ist nach Günter Dippolds Ansicht ganz gut gelungen - etwa der Nothelferweg, der die Beziehung Langheims zu Vierzehnheiligen hervorhebt, denn dieser Wallfahrtsort wurde komplett durch die ökonomische Wertschöpfung der Langheimer Zisterzienser finanziert.Was wohl der bärtige Prälat mit dem Birett dazu sagen würde, dass heute mitten durch sein Kloster der Verkehr braust? Und was er wohl raten würde bezüglich eines Museums? Wahrscheinlich würde er sagen: "Das steht in den Sternen. Im übrigen bin ich Wetterexperte, kein Kaffeesatzleser. Macht euch mal schön eure eigenen Gedanken, aber möglichst langfristig."
Wahre Geschichte(n)
Günter Dippold: "Wenn ich kulturell und touristisch 'was reißen will, geht es nicht ums Ausschildern allein. Dafür braucht man Menschen." Leute, die authentisch rüberbringen, was an diesem Ort geschehen ist - die man auf Neudeutsch als Scouts bezeichne oder scherzhaft als Erklärbären. Was sie aber erklären, das dürfe nicht aus dem Reich der Sagen und Fabeln kommen, es müsse wahr sein.
Heute befindet sich ein zylinderförmiges Weidentipi an der Stelle, an der einst der Blaue Turm gestanden haben mag. Durch das Flechtwerk der Installation schimmert der blaue Himmel. Somit besitzt Klosterlangheim noch immer einen Blauen Turm. Und wenn Napoleon nicht gewesen wäre, so lebten die Mönche hier noch heute.