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Zur Seite räumen, was Menschen trennt


Autor: Dagmar Besand

Kulmbach, Freitag, 04. März 2022

Warum Friedrich Hohenbergers Herz für Minderheiten schlägt, und wie Grenzerfahrungen den Werdegang den neuen Kulmbacher Dekans prägten.
Als Dekan ist Friedrich Hohenberger auch Herr übers Burggut und wohnt dort vorübergehend in einer kleinen Wohnung, bis das Dekanat fertig renoviert ist.


Der erste Eindruck? Aufmerksam, offen, entspannt. Friedrich Hohenberger ist neugierig auf die Menschen, mit denen er es als neuer evangelischer Dekan zu tun bekommt. Und die Kulmbacher möchten ihn kennenlernen. Die Bayerische Rundschau hat den 58-Jährigen getroffen - zum Gespräch über Gott und die Welt. Beides ist dem Geistlichen wichtig: der Glaube und die Menschen, die ihn leben.

Ein Weg mit Nebenwegen

Als Jugendlicher fest verwurzelt in der Kirche, geprägt von den großen Kirchentagen und der Friedensbewegung, hatte der Schüler Friedrich Hohenberger zwar gemeindliches Engagement, aber nicht die Theologie als Berufswunsch im Sinn. Physik wollte er studieren. Es kam anders - und lief nicht ganz so geradlinig wie bei manch anderem Theologiestudenten. Er spricht von Brüchen in seiner Biografie, die sich letztlich als wertvoll erwiesen, um den für ihn richtigen Weg zu finden und zu gehen.

Hohenberger ist verheiratet und hat drei Kinder. Er studierte zunächst in Erlangen, dann in Freiburg: "Das war schon etwas Ungewöhnliches, ein angehender evangelischer Pfarrer, der im katholischen Umfeld Theologie studiert", sagt er mit einem Schmunzeln. Weiter ging es nach Basel zum nicht minder außergewöhnlichen Studium der Calvinistischen Theologie und dann schließlich nach Berlin.

Grenzerfahrungen sind Teil von Friedrich Hohenbergers Biografie - und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Zu DDR-Zeiten reiste er oft zwischen den beiden deutschen Welten, in seinem Studium lotete er Grenzen aus, suchte und fand Gemeinsamkeiten und Widersprüche.

"Ich will nach Oberfranken!"

Und von dort dann: wohin? Der angehende Pfarrer war recht sicher, dass Bewerbungen auf attraktive Stellen für ihn als Einsteiger nicht erfolgreich sein würden. Also wünschte er sich gleich dorthin, wohin selten jemand freiwillig geht: "Ich will nach Oberfranken in ein kleines Dorf an der Grenze!"

Diesen Wunsch erfüllt ihm die Landeskirche prompt - froh, damit einen Vikar für Burggrub im Landkreis Kronach gefunden zu haben. "Ich hatte das zwar ganz und gar nicht erwartet, als ich mich so bestimmt dafür beworben habe, aber es war ganz wunderbar dort. Ich hatte schnell eine gute Beziehung zu dem Ort und den Menschen."

Grenzen überwinden - das blieb auch in Burggrub ein Thema für den jungen Vikar. Er erzählt vom Bau einer Friedenskapelle auf dem ehemaligen Todesstreifen. Zur Einweihung 1992 veranstaltete die Kirchengemeinde ein Fest gegen Grenzen: "24 Nationen waren da. Es war eine einzigartige Atmosphäre, viele Kontakte blieben."

Nach dem Vikariat war er Pfarrer in Schwandorf, ehe er 1998 nach Regensburg wechselte. Dreimal wurde er in die Landessynode gewählt. Und jetzt mit Ende 50 noch einmal etwas Neues? "Ich war 24 Jahre Hochschulpfarrer in Regensburg. Mir war auf dieser Stelle nicht langweilig. Und doch war da auch der Wunsch, noch einmal eine neue Aufgabe auszufüllen, am liebsten in einer evangelischen Gegend, nach einem ganzen Berufsleben in der Diaspora."

Sein Wunsch hat sich erfüllt. Aus drei Kandidaten durften die Kulmbacher wählen und entschieden sich für den in Straubing geborenen Geistlichen, den eine Eigenschaft besonders auszeichnet, die im persönlichen Gespräch sofort angenehm auffällt: Er kann nicht nur reden, sondern auch zuhören, mit echtem Interesse für sein Gegenüber. "Das Schöne an meinem Beruf sind die Menschen", sagt der 58-Jährige. "In jedem Menschen steckt ein Stück Schöpfung. Das zu entdecken, das ist für mich sehr reizvoll. "

Sein erster Eindruck von Kulmbach? Die Menschen sind unaufgeregt, freundlich, sehr zugewandt", beobachtet Friedrich Hohenberger: "Sie wirken geerdet, standfest." Das gefällt ihm. In der Gesellschaft solcher Menschen fühlt er sich wohl.

Aufeinander achtgeben

Ein Thema, das sein Denken und Handeln prägt, ist der Umgang mit Minderheiten. "Ich werde immer hellhörig, wenn Menschen, die am Rand stehen, von Mehrheiten und deren Meinungen überrollt werden." Das bedeutet für den Dekan: Meinungen hören und gelten lassen, auch wenn sie sich nicht mit den eigenen Überzeugungen decken. "Wir müssen die Menschen mitnehmen, Ängste ernst nehmen und in allen Dingen gut aufeinander achtgeben. In diesem Sinne sieht er auch die Arbeit der Diakonie, die Anwalt derer ist, die sich nicht allein helfen können.

Auch wenn der Pfarrer jetzt für die evangelische Mehrheit arbeitet - auch deren starke Strukturen zeigen Auflösungserscheinungen. Kirchengemeinden werden kleiner, im Alltag vieler Menschen hat sich an Bedeutung verloren. Kann sie dem etwas entgegensetzen?

Hohenbergers erste Antwort ist eine theologische: "Es geht um den Glauben, nicht um eine kirchliche Struktur. Aus dem Glauben entsteht Gemeinschaft. Nicht wir bauen Kirche, sondern Gott tut das. Und ob das sichtbar wird oder nicht, liegt nicht in unserer Hand."

Dann wird der Geistliche aber doch konkret und findet deutliche Worte für das, was unsere Gesellschaft braucht, was ihr Stück für Stück zu entgleiten droht: Zum Christsein gehört, dass ich nicht allein bin, dass ich in einer Gemeinschaft bin, die zusammensteht. Und so ist auch der Gottesdienst kein Kunstprodukt. Er ist nicht Selbstzweck, er dient dem Menschen."

Was wären wir ohne die Kirche?

Und so stellt Friedrich Hohenberger die Gegenfrage: "Ist es denn ersprießlich für uns alle, wenn es in 20 Jahren keine Kirche mehr gibt? Was gibt es denn dann?" Deshalb ruft der Dekan jeden dazu auf, sich zu überlegen, wo wir hin wollen als Gesellschaft. "Soll der Staat alles richten? Wir leben nicht von Gleichmacherei. Wir müssen den Menschen gerecht werden." Für Hohenberger gipfeln diese Überlegungen in der Kernfrage: "Will ich nur noch billig leben oder wertvoll?"