Der gute Geist der Dunkelheit
Autor: Thomas Heuchling
Kulmbach, Sonntag, 28. Dezember 2014
Im neuen Jahr kommt der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro. Die Kulmbacher Zeitungszustellerin Ingrid Heublein freut sich über mehr Geld. Über mangelnde Wertschätzung konnte sie sich auch bislang nicht beklagen.
Ingrid Heublein ist fast unverschämt gut gelaunt. Sie lacht, ist freundlich, obwohl es erst 4 Uhr früh ist und sie jetzt schon anfängt zu arbeiten. In der E.-C.-Baumann Straße packt Ingrid Heublein einen Stapel Zeitungen in ihr kleines weißes Auto und fährt in ihren Bezirk, den Stadtteil Ziegelhütten - Probleme mit dem Verkehr gibt es zu dieser Zeit nicht.
Sehnsüchtig erwartet
Am "Schweizerhof" hält sie an und steigt aus. Dort wird Ingrid Heublein schon sehnsüchtig erwartet. Eine Katze streunt um sie herum. Die Zeitungszustellerin holt eine Dose Futter aus ihrem Auto und serviert dem Vierbeiner ein Frühstück.
Dann geht es los: Ingrid Heublein zählt einige Zeitungen ab, packt sie in ihre Umhängetasche und geht los.
Wer mit der 55-Jährigen auf ihrer Tour durch das hügelige Ziegelhütten mithalten will, darf nicht trödeln. Mit schnellen Schritten geht sie die Straße entlang und steckt die Zeitungen in die Kästen.
Wie die Mehrzahl der rund 300 000 Zeitungsboten in Deutschland wird Ingrid Heublein nach Stück bezahlt. Das mache den Umstieg auf den Mindestlohn, der sich nach Stunden richtet, schwierig. Wie es genau funktionieren soll, weiß Heublein nicht.
Ingrid Heublein hat ihre Zeitungstasche inzwischen am Auto nachgefüllt. "Alle auf einmal zu tragen, wäre zu schwer." Je nach Wetter und Umfang der Zeitungen braucht sie für ihre sieben Kilometer lange Runde unterschiedlich lange. "Am Montag geht es am schnellsten, im Laufe der Woche wird die Zeitung immer dicker, da braucht man dann länger, weil es echt schwer wird", erklärt Heublein.
Sie erzählt von Schüssler-Salzen, merkwürdigen Geräuschen, die sich als Igel entpuppt haben, Alkoholleichen am Bierfestsamstag oder der wunderbaren Ruhe um vier Uhr in der Früh - Meckereien über ihre Arbeit oder die Bezahlung kommen nicht über ihre Lippen. "Ich mache den Job sehr gerne, und natürlich freue ich mich, wenn es mehr Geld gibt", sagt sie. Sie glaubt nicht, dass viele Leute ihre Zeitung abbestellen, wenn der Abo-Preis durch den Mindestlohn erhöht wird.
Kleine Geschenke zu Weihnachten
Über mangelnde Wertschätzung konnte sich Ingrid Heublein vor der gesetzlichen Lohnregelung nicht beklagen. Vor allem in der Vorweihnachtszeit zeigen ihre Kunden - deren Namen und Besonderheiten sie alle kennt - was sie an Ingrid Heublein haben. "Der Klassiker für den Zeitungszusteller ist Mon Chéri", sagt sie und fügt an: "Dann ist die schöne Zeit, wenn die Leute kleine Geschenke an die Briefkästen legen." Sie freue sich besonders über Karten mit ein paar persönlichen Worten.
Ingrid Heublein geht weiter durch kleine Gassen und die Hügel in Ziegelhütten. Nur selten sieht sie auf ihrer Tour die Bewohner der Häuser, aber dennoch hat sie ein wachsames Auge auf sie.
"Wenn bei älteren Leuten die Zeitung mal zwei Tage nicht aus dem Kasten geholt wird, dann macht man sich Sorgen. Ich hab auch schon mal im Krankenhaus angerufen, um so einen Fall aufzuklären", sagt Heublein.
Seit 28 Jahren lebt die gebürtige Ostallgäuerin in Kulmbach und ist nach eigener Aussage bekannt wie ein bunter Hund. Früher hatte sie einen Blumenstand auf dem Kulmbacher Wochenmarkt, das Rosarium. Auch Sprecherin der Marktleute und Kandidatin für den Stadtrat war sie mal.
In ihrer Marktzeit hat sie angefangen, nebenbei Zeitungen auszutragen. Das Rosarium rentierte sich irgendwann nicht mehr. Heute arbeitet sie als Zeitungszustellerin und als Servicemitarbeiterin eines großen Süßwarenherstellers. Dort wird sie am Umsatz beteiligt, da spiele der Mindestlohn keine Rolle. Mehrere Jobs zu haben oder etwas zur Rente dazu zu verdienen, das sei auch bei vielen ihrer Kollegen die Regel. Denn vom Zeitungaustragen allein könne kaum jemand leben. Für ihre nächtliche Runde an sechs Tagen in der Woche bekommt sie vor der Einführung des Mindestlohns rund 500 Euro.
Um 5.19 Uhr landet die letzte Zeitung im Briefkasten. "Normalerweise brauch' ich montags eine Stunde, aber wir haben heute ja viel geratscht, sagt Ingrid Heublein, steigt in ihr Auto und fährt zu ihrer anderen Arbeit.