Der geschundene Christus von Gärtenroth
Autor: Stephan Tiroch
Gärtenroth, Mittwoch, 16. April 2014
Kunst oder Krempel? Pfarrer Raimund Pretzer hat auf dem Dachboden ein arg ramponiertes Kruzifix entdeckt. Niemand kann sich erinnern, wo es einmal hing.
"Schwer ist er nicht", sagt Pfarrer Raimund Pretzer, als er den hölzernen Christus zur Gärtenrother Kirche trägt. "Etwa zehn Kilo", schätzt er. Pretzer spricht die arg ramponierte Figur - die Arme fehlen, und an der Rückseite hat Tropfwasser größeren Schaden angerichtet - direkt an. Er hat sich mit "ihm" angefreundet.
Nach dem barocken Taufengel von 1688, den er 2011 entdeckt hat(im Urteil der Fachwelt eine "kleine Sensation"), und dem wieder zu Tage geförderten Gärtenrother Kirchen archiv, präsentiert Pretzer seiner Gemeinde in der Passionszeit seinen jüngsten Fund: den Torso einer hölzernen Christusfigur. Das Kreuz dazu fehlt.
"Keiner kann sich erinnern, wo er früher einmal hing", berichtet der Pfarrer.
Nachfragen bei Adolf Müller (85), Schimmendorf, Christian Weihermüller (84), Gärtenroth, und Rosemarie Müller (77), Danndorf, führen nicht weiter. Sie kennen das Kruzifix nicht. Es muss also spätestens in den dreißiger Jahren abgehängt und auf dem Dachboden verstaut worden sein. "In einer Zeit, von der auch unser Alten nichts mehr wissen", so Pretzer.
Der Danndorfer Gerd Öhrlein glaubt in der Gärtenrother Kirchenchronik von 1914 einen Hinweis gefunden zu haben: Dort erwähnt Pfarrer Julius Sammetreuther, dass nach der großen Kirchenrenovierung 1894 im Jahr 1903 ein solches Kruzifix im Altarraum abgenommen und durch "Oberammergauer Dutzendware" ersetzt worden ist.
Die Zeit würde passen, aber Restaurator Uwe Franke aus Wernstein geht davon aus, dass das Kruzifix außen angebracht war. Seine Begründung: der Wasserschaden am Holz und ein Schmutzbogen an der Außenmauer der Kirche, der auf einen Regenschutz für ein Kreuz schließen lässt.
"Wahrscheinlich neugotisch"
Beim Alter der Figur mag sich der Pfarrer nicht festlegen: "Wahrscheinlich neugotisch, 19. Jahrhundert", vermutet er, hält aber wegen der "mittelalterlich gotischen Pose" auch eine Überraschung für möglich. "Das wäre dann ein Hammer!"
Mittelalter schließt die promovierte Kunsthistorikerin Astrid Fick jedoch aus. "Dafür ist die Figur zu naturalistisch ausgearbeitet", sagt die Museumsleiterin auf der Kulmbacher Plassenburg. Der Gesamteindruck spricht nach ihrer Ansicht dafür, dass es sich um eine neuzeitliche Arbeit handelt, spätes 19. oder frühes 20. Jahrhundert. Sie empfiehlt, dass sich ein Skulpturenrestaurator den Christus anschaut.
Uwe Franke rät zu einer konservatorischen Behandlung, um den weiteren Verfall zu stoppen. "Ich würde nichts ergänzen oder verschönern, dann wäre es kein Original mehr." Jahrzehntelang der Witterung ausgesetzt zu sein, habe der Figur Würde verliehen.
Sie ist weder Kunst noch Krempel, sondern wohl von beidem etwas. Jedenfalls aber ein Sinnbild für die Passion Christi. "Eine beeindruckende, ernste Figur, wie sie da so liegt, zerbrochen und geschunden, gar nicht kitschig oder billig", meint Pretzer mit seinem besten "Passionskarwochenpfarrdienstgesicht" und fühlt sich an das Leiden Jesu erinnert: "Am Stamm des Kreuzes zerschlagen."
Karfreitag mit dabei
Deshalb hat er "ihn" als Begleiter bei den Passionsandachten in die Mitte der Gemeinde gelegt. "Er spricht uns an, er hat uns nachdenklich gemacht und einen stillen Impuls ausgelöst." Daher plant der Pfarrer, den Torso in die Karfreitagsfeier zu integrieren. Und auch danach soll der Corpus Christi nicht in der Versenkung verschwinden. Pretzer ist sich sicher, dass ein guter Platz gefunden wird. Er baut auf die heitere Gelassenheit seiner Gemeinde.