Druckartikel: Das "Siedlerheim" in Kulmbach ist Geschichte

Das "Siedlerheim" in Kulmbach ist Geschichte


Autor: Stephan Tiroch

Kulmbach, Freitag, 04. April 2014

Aus dem einstigen Wirtshaus in der Hohen Flur wird ein Büro- und Wohnhaus. Aber die Siedler halten weiter ihre Kerwa.
Die siebziger und achtziger Jahre sind die Blütezeit des Gasthauses "Siedlerheim" (im Hintergrund) - hier beim Kerwa-Rumspielen 1979. Die Wirtschaft des legendären Gastwirts Gerhard Birk ist seinerzeit das beste Lokal der Reichelbräu mit dem größten Bierausschank.Fotos: BR


Zwar ist das Wirtshaus schon fast drei Jahre geschlossen, aber ein bisschen Wehmut kann man in der Siedlung schon spüren. Handwerker gehen ein und aus, die "Siedlerheim"-Aufschrift halb überstrichen - unverkennbar, das Traditionslokal ist nach fast 80 Jahren Geschichte, der Umbau zum Büro- und Wohnhaus voll im Gang.
"Man wird schon oft angesprochen", sagt Hennig Wagner, seit vier Jahren Vorsitzender der Siedlergemeinschaft. "Die Leute bedauern, dass das ,Siedlerheim' weg ist."

Aber offenbar hat es für das Wirtshaus keine Zukunft gegeben. Roland Bergbauer ist der letzte Wirt gewesen. 2010 übernimmt er auch das Gasthaus "Zum Petz" und fährt ein Jahr zweigleisig - bis Mitte 2011: "Vielleicht hätten wir sogar weitergemacht, aber das Rauchverbot hat viel kaputtgemacht." Nachmittags sei fast niemand mehr gekommen.

Nach Bergbauer findet sich kein Pächter mehr für das ehemals beste Lokal der Reichelbräu, die hier in den siebziger und achtziger Jahren zu Zeiten des legendären Wirts Gerhard Birk das meiste Bier verkauft.

Das Gebäude gehört inzwischen dem Kulmbacher Softwareunternehmer Michael Ihnen. "Unsere Firmengruppe mit knapp 40 Mitarbeitern wächst stark. Das neue Gebäude in Petzmannsberg reicht nicht mehr aus. Wir brauchen mehr Platz", sagt er. Im "Siedlerheim" wird nach seinen Worten die Buchhaltung der Ihnen Consulting Group untergebracht. In der ehemaligen Gaststube entsteht eine Eigentumswohnung, oben sind vier Mietwohnung untergebracht.

Von der in den dreißiger Jahren konzipierten Funktion des Platzes in der Mitte der Hohen Flur als Nahversorgungszentrum ist nichts mehr zu erkennen. Nach Bäckerei, Lebensmittelladen und Metzgerei ist auch das Gasthaus verschwunden.

Was aber nicht verschwinden soll, ist die Siedlerkerwa, die bereits zum 77. Mal gefeiert wird. "Wir machen es heuer im vierten Jahr in Eigenregie", erklärt der "Siedlerbürgermeister". Gefeiert wird vom 8. bis 11. August. Die "Stadtschänke" ist fürs Essen zuständig, Organisation, Aufbau und Getränkeverkauf übernehmen die Siedler. "Das Fest stand auf der Kippe, weil es schwer war, Helfer zu finden, aber uns ist klar: Wir können die Kerwa nicht sterben lassen", betont Wagner, der künftig vermehrt auf Information und Beratung setzt und entsprechende Veranstaltungen wie Baumschnittkurse und ähnliches für die Mitglieder anbieten will.


Stammtisch ist umgezogen

Neben der Kerwa existiert auch der Stammtisch Gemütlichkeit weiter. "Wir sind geschlossen zum TSV 08 Kulmbach abgewandert", sagt Manfred Ramming. "Unser Stammtisch einmal im Monat erfreut sich größter Beliebtheit, es kommen auch viele Frauen."

Der Plan, im ganzen Deutschen Reich in Stadtrand-lagen Siedlungen für meist kinderreiche Familien mit geringem Einkommen zu bauen, stammt aus der späten Phase der Weimarer Republik, also um 1930. Der Kulmbacher Stadtrat mit 1. Bürgermeister Hans Hacker an der Spitze fasst 1932 den Beschluss, die Siedlung zu errichten.


Keine Idee der Nationalsozialisten

"Die Siedleridee war eine ganz hervorragende Sache aus der Ära von Reichskanzler Heinrich Brüning. Entgegen einer weit verbreiteten Annahme handelt es sich also keineswegs um ein Projekt der Nationalsozialisten. Sie haben später diese Idee lediglich aufgegriffen und sich damit gebrüstet", betont der frühere Kulmbacher Kulturreferent Ruprecht Konrad.

Konrad: "Die vorstädtische Kleinsiedlung in Kulmbach entstand ab Anfang der dreißiger Jahre. Die Bebauung wurde bis zum Beginn des Krieges fortgeführt." Dem Projekt, so Konrad, lag der Gedanke zugrunde, dass sich die Bewohner größtenteils selbst ernähren sollten. Bei allen Häusern gab es einen Stall, wo Kleintiere, Hühner, Ziegen oder ein Schwein gehalten wurden. Außerdem war der Garten groß genug für den Anbau von Obst und Gemüse.


Hausvergabe per Los

Beim Bau der Häuser war Nachbarschaftshilfe fest eingeplant. Manfred Ramming zufolge, der viele Jahre "Siedlerbürgermeister" gewesen ist (so wird der Vorsitzende der 1935 gegründeten Siedlergemeinschaft genannt), sind an der Thurnauer Straße die ersten zwölf Objekte errichtet worden. "Die späteren Bewohner haben unter Anleitung eines sachkundigen Baumeisters zusammengeholfen. Aber erst hinterher wurde per Los entschieden, wer wo einzieht. Damit sich keiner bei den Häusern der anderen auf die faule Haut gelegt hat", berichtet Ramming.