Das Raketenauge aus dem Schloss: Als die Nazis in Neudrossenfeld forschten
Autor: Jochen Nützel
Neudrossenfeld, Freitag, 28. Sept. 2018
Der Bayreuther Autor Peter Engelbrecht widmet sich in seinem neuen Buch einem weithin unbekannten Kapitel der NS-Zeit.
Der Name? Unverdächtig, beinahe putzig: "Projekt Büroklammer" (im Original "Operation Paperclip"). Doch dahinter verbirgt sich ein höchst umstrittenes Vorgehen der US-Amerikaner kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs: die Verlegung deutscher Kriegs- und Zivilgefangener im großen Stil in die USA, mehr als 1500 an der Zahl. Darunter drei Namen, die in enger Verbindung mit Oberfranken stehen: Werner Rambauske, Richard Orthuber und Hans Ziegler. Forscher, die für Hitlers Waffenarsenal an Zielgeräten für ferngelenkte Bomben bauten sowie an Infrarotzellen für die Steuerung von Raketen tüftelten.
Nazis also, die die Seiten wechselten und für den Feind in Übersee dessen Rüstungsprogramm verfeinerten: Diese zweifelhafte "Anschlussverwendung" führender Köpfe wie Wernher von Braun ist hinlänglich bekannt. Doch welche Rolle unsere Region dabei spielte?
Dem hat der Bayreuther Autor und Journalist Peter Engelbrecht nachgespürt. Für sein neues Buch "Geheimwaffen für die Nazis - Kriegsforschung in Oberfranken" wühlte der 59-Jährige in Archiven, gelangte an Jahrzehnte unter Verschluss gehaltene Akten und wertete Aussagen von Zeitzeugen aus. Mehr als 20 Jahre Recherche stecken in seinen Ausführungen.
Berüchtigtes "Institut"
Eine Spur, die der Autor dabei aufnahm, führt nach Neudrossenfeld. Genauer gesagt ins Schloss. Wer weiß schon, dass der imposante Bau aus dem Mittelalter, mit seinen Terrassengärten und dem exquisiten Restaurant, einst Schauplatz geheimer technischer Experimente war? Es beherbergte nach Kriegsende das "Institut für physikalische Forschung".
Zur Einordnung: Jenes "Institut" war zunächst von Juni 1944 bis April 1945 in einem Gebäude der Neuen Baumwollspinnerei in Bayreuth untergebracht - einer Außenstelle des Konzentrationslagers Flossenbürg. "Hier mussten 85 KZ-Häftlinge unter SS-Bewachung für eine kameragestützte Gleitbombe forschen", schreibt Peter Engelbrecht.
Bombenhagel zwingt zum Umzug
Leiter der Rüstungsschmiede war ein gewisser Bodo Lafferentz, seines Zeichens VW-Direktor, Chef des Arbeitsfront-Programms "Kraft durch Freude", Träger des SS-Totenkopfrings - und zu Beginn der 1940er Jahre der starke Mann des Familienunternehmens Bayreuther Festspiele (er war Wolfgang Wagners Schwager). Nach einem Bombenangriff am 11. April 1945 musste das Areal in Bayreuth geräumt werden. Während die Häftlinge zu Fuß nach Flossenbürg marschierten, zogen die zivilen Wissenschaftler, Ingenieure und Handwerker kurzerhand ins Schloss Neudrossenfeld um.
Übrigens: Nach der Einnahme durch die US-Army wurden dort, im großen Saal des ersten Stocks, die Forschungen bis Oktober 1945 unter NSDAP-Mitglied Werner Rambauske aus Breslau als Leiter des "Instituts Teleoptik" fortgeführt! Doch was genau wurde da erforscht, wo man heutzutage fein speisen und Hochzeiten feiern kann?