Darf ein Psychiater aus der Region weiter Patienten behandeln?
Autor: Stephan Tiroch
Kulmbach, Mittwoch, 18. Januar 2017
Ein heikler Fall für das Verwaltungsgericht Bayreuth: Muss der Facharzt, der selbst an einer psychischen Erkrankung leidet, seine Approbation abgeben?
Ein ganz heikler Fall für das Verwaltungsgericht Bayreuth. Es muss die Frage beantworten, ob ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie weiter seinen Beruf ausüben und Patienten behandeln darf, obwohl er selbst an einer psychischen Erkrankung leidet. Hier stehen sich zwei Rechtsgüter gegenüber: einerseits das Recht auf Berufsausübung - andererseits das Patientenwohl und die Patientengesundheit.
Die mündliche Verhandlung am Mittwoch vor der 4. Kammer mit der Vorsitzenden Angelika Janßen dauert dementsprechend lange: fast drei Stunden. Die Sache ist verzwickt, und es ist auch nicht das erste Mal, dass man sich in dieser Angelegenheit trifft.
1. Um was geht es bei der Streitsache?
Geklagt hat ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, der im Landkreis Kulmbach wohnt und in der Region seine Praxis betreibt. Der 75-Jährige, gegen den nicht zum ersten Mal ein approbationsrechtliches Verfahren läuft, soll seine Zulassung verlieren, weil er nach Auffassung der zuständigen Regierung von Unterfranken selbst an einer psychischen Erkrankung leidet. 2015 hat ein Amtsarzt eine komplexe Persönlichkeitsstörung und erhebliche Verhaltensauffälligkeiten festgestellt. "Seine Frechheiten haben wir selbst schon erlebt", erklärt ein Regierungsvertreter. Die Anwältin des Klägers, Doris Benker-Roth aus Bayreuth, hält dagegen: "Ich bin entsetzt, wie man meinem Mandanten aufgrund der Stellungnahme eines Amtsarztes, der keinerlei Qualifikation hat, die berufliche Grundlage entziehen kann."
2. Was sagt die Sachverständige?
Um eine gesicherte Entscheidungsgrundlage zu bekommen, holt die Kammer ein fachpsychiatrisches Gutachten ein. Susanne Lausch, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Bezirkskrankenhaus Straubing, schließt nach ihren Untersuchungen eine Persönlichkeitsstörung aus. Es liege auch keine organische Erkrankung - wie eine Demenz - bei dem Kläger vor, dem sie eine überdurchschnittliche Intelligenz attestiert. Allerdings diagnostiziert sie eine unregelmäßig auftretende affektive Störung. Dabei komme es - verstärkt noch durch seinen "streitbaren Charakter" - zu Kompetenz- und Selbstüberschätzung und Grenzüberschreitungen. Ihm selbst fehle die Krankheitseinsicht. Das Krankheitsbild könne man jedoch durch eine medikamentöse Behandlung in den Griff kriegen. Fazit der Straubinger Sachverständigen: Wenn er bei der Prophylaxe mitmacht, kann er seinen Beruf ausüben.
3. Welche Position vertritt der Kläger?
Die Prozessbevollmächtigte des Arztes sieht die Position ihres Mandanten durch das Gutachten gestärkt. "Er will noch vier Jahre arbeiten", sagte die Anwältin. "Entscheidend ist die Aussage der Sachverständigen, dass sie ihn - nach ihrem Eindruck hier und heute - für tauglich hält, seinen Beruf auszuüben." Nach Rücksprache mit seiner Rechtsanwältin erklärt sich der Kläger dazu bereit, sich der vorgeschlagenen medikamantösen Behandlung zu unterziehen. Er stimmt auch zu, im Bezirkskrankenhaus Bayreuth regelmäßig überprüfen zu lassen, dass die Behandlung wirksam ist.
4. Wie sieht die Behörde die Sachlage?
"Eine Aufhebung des Bescheids kommt für uns nicht in Betracht", erklärt Leitender Regierungsdirektor Thomas Weingart aus Würzburg. Rechtsgrundlage für den Entzug der Approbation sei nicht nur das diagnostizierte Krankheitsbild. Es seien über Jahre hinweg immer wieder Verhaltensauffälligkeiten mit Auswirkungen auf die Patienten aufgetreten. "Eine Approbation unter Auflagen gibt es für uns nicht", sagt er und beantragt Klageabweisung.
5. Wie entscheidet das Gericht?
"Nachdem eine Einigung der Parteien nicht zustande kommt, müssen wir entscheiden", so die Richterin. Die Kammer zieht sich zur Beratung zurück, um nach kurzer Zeit das Urteil zu verkünden. Der Bescheid der Regierung wird aufgehoben - der Arzt hat gewonnen. Janßen: "Aufgrund des Gutachtens der Sachverständigen ist eine neue Tatsachengrundlage da, es gibt einen Erkenntnisfortschritt. Der Bescheid ist nicht rechtmäßig." Das Gericht geht davon aus, dass der Kläger die Prophylaxe einhält. Wenn nicht, könne die Regierung erneut tätig werden. Janßen: "Dann hoffe ich mal, dass er bis zum Ende seiner Berufstätigkeit prozessfrei bleibt."