"Damit ist die Altlast ja nicht weg"
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Mittwoch, 10. Februar 2021
Einige Gebäude in der Blaich fußen auf belastetem Boden. Ein Gutachten besagt: belastet ja, aber nicht so dramatisch wie befürchtet. Jürgen Meins sieht das anders.
Das Erbe der Ahnen ist kein schönes: Im Untergrund der Blaich schlummert Unrat aus Jahrzehnten. Geht es nach einem Gutachten, das die Stadt in Auftrag gegeben hat, ist die Gefahr gering: Trotz der alten Mülldeponie muss laut Expertise der Boden nur oberflächlich ausgetauscht werden. Klingt harmlos. Ist es das? Der frühere Chefjustiziar am Landratsamt und Fachmann für Umweltrecht, Jürgen Meins, sieht einige Fallstricke für die Betroffenen.
Herr Meins, wie bewerten Sie die Diskussion um die Altlasten in der Blaich? Die Baugenossenschaft versucht dort seit Jahren, Bauvorhaben umzusetzen und sozialen Wohnraum zu schaffen, zögerte aber bislang aufgrund der ungeklärten Lage, was die Schadstoffe im Boden anlangt.
Jürgen Meins: Hier kommt das sogenannte Bundesbodenschutzgesetz zur Anwendung, ergänzt durch das bayerische Pendant. Nach Paragraf 4, Ansatz 3 des Bundesbodenschutzgesetzes liegt eine klare Abfolge von Verantwortlichkeiten für eine Altlast vor. In erster Linie ist der Verursacher verantwortlich. Solange dieser bekannt und wirtschaftlich potent ist, muss er die entsprechenden Untersuchungen veranlassen und bezahlen, um herauszufinden, wie groß die belastete Fläche ist, welche potenziellen Giftstoffe im Boden lagern etc. Und: Er muss auch die spätere Sanierung des Grundstücks bezahlen. Hier ist der Verursacher offenkundig die Stadt Kulmbach.
Es ging um Beprobungen auf Privatgrund. Müssen Grundstückseigentümer das dulden?
Ja, das müssen sie. Wenn es "renitente" Bürger gibt, die den Zutritt verweigern, kann das Landratsamt sie per Bescheid zur Duldung verpflichten. Was überhaupt nicht geht, ist seitens der Stadt zu sagen: Weil der eine oder andere Eigentümer sich sperrt, die Messtrupps aufs Grundstück zu lassen, muss derjenige selber später die Kosten tragen. Dafür besteht keine rechtliche Grundlage.
Das heißt: Wenn die Stadt bekundet, man mache allen Betroffenen das Angebot zur Untersuchung - und wer das nicht in Anspruch nehme, der könne sich auch nicht auf eine Übernahme der Kosten des Sanierungsprozesses berufen: Dann ist das falsch?
So leid es mir tut, das Gesetz ist da klar formuliert und sieht diese Ausnahme nicht vor. Der Verursacher trägt die Kosten. Und er muss eben dafür sorgen, dass alle mit im Boot sind. Wie gesagt: Geht das nicht freiwillig, dann mit Zwang.
Die Baugenossenschaft hat bereits vor Jahren eigene Untersuchungen anstellen lassen, weil sie - sagen wir mal - dem Braten nicht getraut hat, und beklagte, die Stadt würde auf Zeit spielen. Setzen die genannten Gesetze Fristen, in denen wiederum Zeiträume vom Verursacher einer Altlast einzuhalten sind, was die Sanierungsfrage angeht?
Da gibt es keine Fristen. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn der Verursacher nicht will, man aber von ihm eine Entscheidung braucht, müsste man ihn notfalls verklagen. Für gewöhnlich werden Altlasten nach Dringlichkeit angegangen. Es wird also begutachtet: Welche mögliche Gefährdung geht von ihnen aus? Meine Erfahrung ist: Ehemalige Hausmülldeponien sind nicht so gefährlich wie etwa stark genutzte ehemalige Industrieflächen mit Verwendung chemischer Substanzen. Es können bei einer Deponie natürlich Giftstoffe im Boden sein, keine Frage. Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), wie im vorliegenden Gutachten der Stadt ebenfalls nachgewiesen, trifft man häufig an, weil diese Deponien oft gekokelt haben und sich über die Zeit Verbrennungsrückstände ansammeln. Das ist im Vergleich zu anderen Standorten nicht so gravierend - eine Altlast ist und bleibt es trotzdem.
Haben Sie Verständnis dafür, dass die Baugenossenschaft so genau hinterfragt, was es mit möglichen Konsequenzen aus der Bodenbelastung auf sich hat?
Natürlich. Da gibt es auch ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse. Sie verwaltet ja Gelder ihrer Mitglieder und würde im Fall eines Fehlverhaltens haften. Das Dilemma fängt aber viel früher und bereits bei der Geldbeschaffung an: Die Genossenschaft will bauen und fragt dafür einen Kredit bei einer Bank nach. Meinen Sie, die Bank gibt so einfach einen Kredit, wenn es um ein Bauvorhaben auf einer Fläche geht, die im Altlastenkataster eingetragen ist? Die Baugenossenschaft hat hier klar mit Nachteilen zu kämpfen. Das nächste Problem ist das spätere Risiko: Man baut auf eine Altlast, die noch im Boden ist, und irgendwann heißt es seitens der Regierung etwa: So geht das nicht, das müsst ihr sanieren. Also dann, wenn neu gebaut wurde. Um die Häuser herum ausheben, den Dreck auf eigene Kosten entsorgen: Das ist kein Pappenstiel. Man kann sich nicht sicher sein, dass diese Bebauung tatsächlich Bestandsschutz hätte.
Was würden Sie aus fachlicher Sicht der Baugenossenschaft raten?
Das ist eine schwierige Abwägung. Was ich ehrlich gesagt nicht verstehe, ist: Warum legte sich die Stadt so lange quer, was eine umfangreiche Sanierung der Fläche angeht? Es gibt gerade für ehemalige Hausmülldeponien eine Spezialvorschrift: den Artikel 13a im bayerischen Bodenschutzgesetz, wonach solche Flächen in Kooperation mit dem Staat saniert werden können. Es ist hierfür ein spezieller Fonds aufgelegt, der die Kosten mindestens zur Hälfte übernimmt. Da kämen auf die Stadt geringere Kosten zu, wobei einige hunderttausend Euro natürlich trotzdem hängenbleiben würden, aber eben keine Millionenbeträge. Es wäre zu prüfen, ob diese Sondermöglichkeit hier gegeben wäre.
Was wäre das Resultat?
Am Ende eines solchen Prozesses würde eine Altlast komplett "aus der Überwachung entlassen", wie es heißt. Sie wird also aus dem Kataster getilgt. Damit hätten auch die Grundstückseigentümer - egal ob Baugenossenschaft oder Privatmann - ein Maß an Sicherheit für die Zukunft. Denn dann ist etwa auch für die Banken klar: Das betreffende Grundstück, das vielleicht beliehen werden soll, gilt offiziell als unbelastet. Dann kann sie dafür auch wieder Kredite ohne Risiko vergeben. Doch für diese Freistellung braucht es einen Beschied des Landratsamts. Knackpunkt: Diesen Bescheid wird das Amt erst dann erlassen, wenn alle andere Fachbehörden, wie etwa das Wasserwirtschaftsamt, zugestimmt haben. Der Gesetzgeber verlangt deswegen einen genauen Plan.
Laut Auftragsgutachten für die Stadt genügt es, in der Blaich auf einigen Grundstücken den Oberboden bis in eine Tiefe von 35 Zentimetern auszutauschen oder die Oberfläche mit unbelastetem Material zu überdecken. Genügt das Ihrer Meinung nach?
Es muss bei einer ehemaligen Hausmülldeponie nicht der ganze Unrat tatsächlich entfernt werden, da herrscht vielleicht ein falsches Bild in der Öffentlichkeit vor. Es gab zu meiner aktiven Zeit Fälle, in denen das Wasserwirtschaftsamt von sich aus gesagt hat: Es genügt, wenn der Boden darüber versiegelt wird - etwa mit Teer oder Pflaster -, so dass kein Wasser mehr nachsickern kann und die Schadstoffe nicht weiter ins Grundwasser eindringen können. Ich hatte einen vergleichbaren Fall, da kam oben auf die Fläche ein Parkplatz drauf.
In der Blaich stehen Häuser, haben Menschen Gärten, spielen Kinder im Freien. Nutzen die Hochbeete, die die Stadt den Eigentümer errichten will, um direkten Bodenkontakt zu vermeiden?
Schwierig. Damit ist die Altlast nicht weg. Und rein rechtlich könnte der Eigentümer, etwa beim Verkauf des Hauses, in die Haftung gehen für den Fall, dass er dem Käufer nicht erzählt, dass sich im Boden eine Altlast befindet.