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Bürgermeister-Kandidaten debattierten drei Stunden in Thurnau


Autor: Jochen Nützel

Thurnau, Mittwoch, 19. Februar 2014

Drei Bürgermeister-Kandidaten, drei Charaktere: Amtsinhaber Dietmar Hofmann, Veit Pöhlmann und Martin Bernreuther debattierten bei der gemeinsamen Podiumsdiskussion von Nordbayerischem Kurier und Bayerischer Rundschau, wie Thurnau vorankommen soll in den nächsten sechs Jahren.
Martin Bernreuther, Dietmar Hofmann und Veit Pöhlmann (von links) lieferten sich am Dienstagabend ein Rededuell um Themen wie Bahnhofsgelände, Finanzlage, Wohn- und Gewerbegebiete, aber auch Einsparpotenziale beim Winterdienst. Fotos: Barbara Herbst


Politikverdrossenheit sieht anders aus. Das Thurnauer Schützenhaus ist zum Bersten voll am Dienstagabend, geschätzt 220 Besucher drängen sich im Vereinsheim der Schützengesellschaft von 1862, die ungewöhnlich viele Gäste zu bewirten hat. Dutzende finden nur noch Stehplätze an den Längsseiten; heftiges Stühlerücken auch im Durchgang zum Schießstand, ein paar Glückliche ergattern einen Logenplatz und postieren sich seitlich an der Bühne.

Auf der wetteifern die drei Kandidaten um den Chefposten im Rathaus: Amtsinhaber Dietmar Hofmann (SPD/Offene Liste), Martin Bernreuther (CSU) und Veit Pöhlmann (FDP/Unabhängige Bürger) bringen ihre Ideen vor, wie sie die nächsten sechs Jahre in der Marktgemeinde anzugehen gedenken.

Kurz vor Beginn der Debatte, die annährend drei Stunden dauern soll, singt Tom Sauer den Titel "Miss American Pie" und die Liedzeile "This will be the day that I die". So dramatisch wird es zwar nicht, als Tag zum Sterben taugt das Aufeinandertreffen nicht (auch wenn hinter den Kontrahenten eine riesige Zielscheibe der Thurnauer Bogenschützen lehnt). Die Diskutanten wirken gelöst, Veit Pöhlmann legt die Hand auf Dietmar Hofmanns Schulter, während sich Martin Bernreuther als mit Abstand jüngster Bewerber noch einmal Zuspruch holt von seinen Freunden unten im Zuschauerraum.

Später, bei Themen wie Bahnhofsgelände, Winterdienst und der Entwicklung der Gewerbegebiete, wird die verbale Gangart zwar bisweilen etwas ruppiger, verlässt aber nie den Boden der Fairness.

Fairness ist auch das Stichwort, warum die BR diese Podiumsdiskussion zusammen mit dem Nordbayerischen Kurier veranstaltet. Da der Amtsinhaber Mitarbeiter der BR-Redaktion ist, hatten die beiden Gegenkandidaten im Vorfeld Bedenken geäußert, es könnte womöglich wegen der beruflichen Konstellation eine Ungleichbehandlung erfolgen. Die Moderatoren Peter Engelbrecht (Kurier) und Alexander Müller (BR) beseitigen jeden Zweifel und fühlen allen Dreien gleichermaßen auf den Zahn.



Der Rede-Marathon endet um kurz vor 22.30 Uhr mit einer letzten persönlichen Frage, nämlich der nach den wichtigsten Vorhaben. Martin Bernreuther wolle zum einen die Entwicklung des Industriegebiets "als Teil einer aktiven Wirtschaftsförderung" angehen sowie die Ansiedlung junger Familien voranbringen. Dietmar Hofmann nennt als wesentliche Aspekte seiner möglichen zweiten Amtszeit die Verwirklichung des Windparks sowie die Ansiedlung von Gewerbetreibenden. Und Veit Pöhlmann sei daran gelegen, den Ortskern als Einheit zu gestalten - und einen schwelenden Rechtsstreit aus der Welt zu schaffen: "Dass die Kommune mit der Arbeiterwohlfahrt vor Gericht im Clinch liegt, empfinde ich als Schande."


Quo vadis Jugendarbeit?
Detlef Zenk nutzt die Gelegenheit zur Frage aus dem Publikum. "Ich denke mal, dass Thema Jugend in Thurnau ist auch eines, das dem alten oder neuen Bürgermeister wichtig sein sollte, auch wenn es nicht angesprochen wurde. Wie stellen sich die Bewerber denn die Jugendarbeit vor?"

In einem Jugendzentrum? Hatte Thurnau schon, im alten Rathaus, erinnert Veit Pöhlmann. "Es ist schlicht eine Frage der Kosten und nicht zuletzt der Personalvorhaltung. Das geht wohl über das Budget der Kommune. Aber in den Vereinen findet die eigentliche Jugendarbeit statt, also verdienen die Vereine auch Unterstützung."


Erst die Bedürfnisse ermitteln
Dietmar Hofman pflichtet bei: "Trotz laufender Haushaltskonsolidierung leisten wir uns als Marktgemeinde Zuschüsse für die Jugendbetreuung in Vereinen." Was das Konzept für eine offene gemeindliche Jugendarbeit angeht, werde aktuell an einem Konzept gefeilt. "Ich bin da für jeden Vorschlag offen."

Martin Bernreuther warnt davor, den Jugendlichen etwas vorzugeben, was keiner will und nicht ankommt. "Wenn wir uns über Angebote für Kinder und Jugendliche Gedanken machen, dürfen wir das nicht an der Zielgruppe vorbei tun. Dazu müssen wir die Bedürfnisse der Jungen und Mädchen aber kennen."

Kontroverse Ansichten herrschen bei Thurnaus Kandidaten, wenn es um Ideen zur Entwicklung des Bahnhofsareals geht. Dietmar Hofmann trauert dem gescheiterten Dienstleistungszentrum nach. Veit Pöhlmann kontert: Das hätte ein nötiges Gesamtkonzept auf Jahre beeinträchtigt.

Es ist das Thema mit dem größten Zündstoff-Potenzial: das Bahnhofsgelände. Bei Amtsinhaber Dietmar Hofmann schwingt immer noch große Enttäuschung mit: Enttäuschung darüber, dass sich das von ihm forcierte Dienstleistungszentrum, in dem unter anderem die neue Zweigstelle der Sparkasse sowie die BRK-Wache untergekommen wären, nicht hatte umsetzen lassen. "Ich bleibe dabei: Dieses Projekt hätte viele Vorzüge gehabt. Ich empfinde es als verpasste Riesenchance für die Entwicklung einer Fläche, in der seit 25 Jahren entgegen aller Bekundungen kein Stein umgedreht wurde. Die Beweggründe der Gegner dieses Zentrums verstehe ich bis heute nicht, zumal die Sparkasse auch das Nebengrundstück erworben hätte, so dass wir unsere Hochwasserfreilegung dort hätten reinbauen dürfen."


Rettungswagen bleibt im Ort
Besonders als der 50-Jährige auf den kurzzeitig drohenden Verlust des Standorts für den BRK-Rettungswagen zu sprechen kommt, wird er hörbar emotional und auch wütend: "Bei einem Herzinfarkt zählen Sekunden, die über Leben und Tod entscheiden. Allein Hans Schwender und seiner Bereitschaft, Geld in die Hand zu nehmen, ist es zu verdanken, dass der Rettungswagen nicht in Kasendorf steht, sondern im Notfall gleich um die Ecke."
Veit Pöhlmann gehört zu den erklärten Gegnern des Dienstleistungszentrums und hatte vor Jahresfrist mit einer Aktion zunächst verhindert, dass dafür Bäume auf dem Gelände gefällt wurden. Für ihn war und ist klar: "Der große Wurf wäre es nie geworden. Wir haben nichts verloren, sondern eine Fehlentwicklung aufgehalten - und das ist gut so. Ein solches exponiertes Einzelobjekt, noch dazu ohne Bebauungsplan mitten reingesetzt, hätte eine Gesamtentwicklung des Areals über Jahre beeinträchtigt."

Was diese Konzeption angeht, so plädiert der FDP-Kandidat dafür, die Pläne aus der Ära von Bürgermeister Rudi Hofmann aufzugreifen und auf die Areale der Spedition Müller sowie des Baugeschäfts Müller auszudehnen. Eckpunkte seien dabei die Schaffung einer Bushaltestelle am alten Postgebäude sowie die Wiederherstellung des Baum- und Grüngürtels um die Bahnhofskreuzung. "Mir schwebt dazu ein offener Arbeitskreis ,Thurnau 21' vor - in Anlehnung an die Bürgerbewegung beim umstrittenen Stuttgarter Bahnhof. Denn ohne die Bürger geht es nicht."

CSU-Kandidat Martin Bernreuther spricht im Zusammenhang mit dem gescheiterten Zentrum von einem "Riesenvertrauensverlust in die kommunale Führung". Man solle sich zunächst definitiv über die Machbarkeit eines solchen Projekts im Klaren sein und erst dann mit vollmundigen Versprechungen an die Öffentlichkeit gehen. "Erst hieß es Ärztehaus, dann Dienstleistungszentrum. Seit 2008 wurden immer wieder Hoffnungen geweckt, die immer wieder enttäuscht wurden."

Bernreuthers Überlegungen, wie das Areal künftig genutzt werden könnte, tendierten Richtung Wohnbebauung. "Das muss man sich natürlich erst im Detail ansehen, denn mir geht es darum, den gesamten Innenstadtbereich aufzuwerten, eventuell zusammen mit einem Busbahnhof."


Was passiert mit Edeka?
Im Zuge der Debatte um das Bahnhofsgelände kommt auch das Thema Handel aufs Tablett. "Wenn Edeka erweitert, brauchen wir den Bahnhof als Parkfläche", sagt Dietmar Hofmann. Er erntet ein lautes "Oho" von den Besuchern, als er ausführt, Edeka würde 200 Stellplätze benötigen. Es sei eine schwierige Entscheidung für den Marktgemeinderat, man wolle aber definitiv nicht, dass an der Autobahn gebaut werde.

Martin Bernreuther sieht den Fall so: "Es ist klar, dass es im Ortskern immer mehr Leerstände gibt, je weiter der Handel nach außen in die Peripherie zieht. Wenn aber ein Unternehmen wie Edeka auf die grüne Wiese drängt, dann können wir das als Kommune wohl nur schwer aufhalten." Dem entgegnete Veit Pöhlmann, der Markt dürfe sich nicht von vornherein das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lassen.



Gewerbegebiet: Erschließung in drei Akten
21 Hektar - selbst die Regierung von Oberfranken hält das Gewerbegebiet an der Autobahn für überdimensioniert. Darüber hinaus bleiben Kernfragen zu beantworten: Zu welchem (Einheits-)Preis sollen die Parzellen möglichen Investoren angeboten werden? Wie viel kann die Gemeinde den Eigentümern der Flächen zahlen? Wer kommt für die Erschließung auf?

"Es ist gut, dass das Thema zurück im Gemeinderat ist", sagt Martin Bernreuther und spricht sich für eine Entwicklung des Areals in drei Abschnitten aus. "Die Erschließung sollten wir als Kommune unbedingt über einen Träger vergeben. Es bleibt auch so eine Herkulesaufgabe für den Markt, denn wir müssen jetzt dringend die Phase der Akquise einläuten."

"Ich hoffe, dass wir noch 2014 Baureife bekommen. Interessenten sind ja da", betont Dietmar Hofmann. Auch wenn Firmen, unter anderem aus Bayreuth, absprängen, weil der ÖPNV nicht gewährleisten könne, dass die Arbeiter zu den geforderten Zeiten im Betrieb sind. "Die Rahmenbedingungen sind klar verbessert, neben der Autobahnanbindung können wir unter anderem durch den Erdgasanschluss punkten." Was die Kostenseite angeht, so gibt der Amtsinhaber als Ziel aus: "Wir müssen einen einheitlichen Preis mit den Grundstückseigentümern aushandeln und die verschiedenen Abschnitte angehen, wenn entsprechende Firmen auch da sind."

Das Pferd von der falschen Seite aufgezäumt hingegen sieht Veit Pöhlmann in Sachen Gewerbegebiet. "Das Vorgehen ist schon verkehrt: Die Akquise gehört an den Anfang - wir haben aber noch keine betrieben. Und es kann nicht sein, dass die Alteigentümer der Flächen die Grundstücke selber erschließen müssen. Das belastet manche mit Kosten von über 100.000 Euro." Der FDP-Kandidat warf in dieser Angelegenheit Hofmann vor, im Alleingang vorgeprescht zu sein. "Mal ganz abgesehen davon, dass es das Gebot der Stunde ist, bei den Erlösen auch eine gewisse Spanne für die Gemeinde auszuhandeln."