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Böse Kommentare nach Freibad-Unfall: Enthemmt durchs Netz


Autor: Christian Pack

Kulmbach, Montag, 27. Juli 2015

Nach dem Unglück im Kulmbacher Freibad ist die Bestürzung groß. Im Internet drücken viele User ihr Mitgefühl aus. In einigen Kommentaren machen sich Nutzer aber auch über die Opfer lustig und verspotten sie.


Das Freibadunglück, bei dem zwei junge Männer vom Sprungturm in Kulmbach in den Tod gestürzt sind, bewegt die Menschen in der Region. Ebenso schnell wie die Nachricht am Sonntagvormittag öffentlich wurde, verbreiteten sich im Internet auch die Kommentare zu dem tragischen Unfall. Alleine auf den verschiedenen Facebookseiten von infranken.de wurden bis zum Montag über 100 Kommentare registriert.

Die meisten User drückten dabei ihr Mitgefühl für die Opfer und deren Hinterbliebenen aus. Doch es gab auch Kommentare, die in die entgegengesetzte Richtung zielten. Teilweise wurde sich über die Verunglückten sogar lustig gemacht. "Wie kann man nur so bescheuert sein?", "Dummheit muss bestraft werden" oder "Die beiden hatten da nichts zu suchen", waren noch die harmlosesten Einträge, die veröffentlicht wurden.

Die Kommentare waren teilweise so zynisch und spekulativ, dass die Online-Redaktion von infranken.de einschreiten musste: "Ein tragisches Unglück ist passiert. Dies ist weder der Zeitpunkt für Spekulationen, Schuldzuweisungen oder schlechte Witze".

"Viele denken, sie können im Netz die Sau rauslassen"
Aus Sicht von Johanna Haberer hat dieses Kommentier-Verhalten viele Ursachen. Grundsätzlich, so die Professorin für Christliche Publizistik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, habe der Medienwandel dazu beigetragen, dass sich die Nutzer im Netz meist anonym austoben können. "Jeder ist heutzutage ein Medienschaffender und kann sich scheinbar ohne Konsequenzen äußern. Viele denken, sie können im Netz die Sau rauslassen."

Aus der Anonymität heraus würden sie sich dann freier fühlen und sich auch ehrlicher äußern. Und da der Großteil die Verunglückten und deren Familien nicht kennt, falle ihnen das ehrverletzende Kommentieren viel leichter. "Der Mensch ist leider so. Wir stellen uns über die anderen und sagen: Das wäre mir nicht passiert."

Ähnlich sieht dies Claus-Christian Carbon vom Lehrstuhl für Allgemeine Psychologie und Methodenlehre der Universität Bamberg. Die fehlende Empathie rühre daher, dass bei derartigen Berichten vor allem kognitive Aspekte angeführt werden. "Dieses Phänomen ist nicht auf das Netz beschränkt, sondern ist immer dann vorzufinden, wenn wir die Personen dahinter nicht kennenlernen können." Besonders im Internet könne man gut auf Fakten abzielen und Emotionales ausblenden. Dann seien Menschen, die eigentlich in furchtbarer Weise zu Tode gekommen sind, schnell selber schuld. "Eine sehr schlimme Schlussfolgerungen, aber eben wissenschaftlich nachvollziehbar."

Verhaltensregeln für das Netz
Unabhängig von der wissenschaftlichen Erklärbarkeit fordert Johanna Haberer Benimmregeln für das Internet. Denn derartige Kommentare seien keineswegs die Ausnahme. Besonders die sogenannten Trolle mischen sich online immer wieder destruktiv in Diskussionen ein, vorzugsweise bei beliebten Reizthemen wie Antisemitismus, Homophobie oder Feminismus. "User, die derart Ehrverletzendes posten, müssen gestellt werden", sagt Haberer. Es bedürfe allgemein gültiger Normen und Verhaltensregeln fürs Netz. "Und daran muss sich jeder, der dort unterwegs ist, halten."

Ein erster wichtiger Schritt sei es, dass Online-Redaktionen Diskussionen - auch in sozialen Netzwerken - moderieren, Einträge kontrollieren oder die Kommentarfunktion gänzlich ausschalten. Zudem könne es auch hilfreich sein, wenn die Netzgemeinde bei derart bösen Kommentaren selbst eingreift. "Wenn die Reaktionen argumentativ stichhaltig sind, haben sie teilweise eine größere Wirkung als das Löschen der Einträge."

Tragisches Unglück im Kulmbacher Freibad: Zwei junge Männer sterben, als sie in ein abgelassenes Becken springen. (jgö)

Posted by inFranken.de on Sonntag, 26. Juli 2015