Bereit, diskriminiert zu werden?
Autor: Dagmar Besand
Kulmbach, Dienstag, 29. November 2016
Die Adalbert-Raps-Stiftung ermöglicht Interessierten ein ungewöhnliches Erlebnis - am eigenen Leib zu spüren, wie leicht man Opfer oder Täter werden kann.
Wie werden in unserer Gesellschaft diskriminierende Strukturen geschaffen und kultiviert? Welche Auswirkungen hat das auf die Diskriminierten, aber auch auf diejenigen, die Privilegien genießen, derer sie sich oft selbst gar nicht bewusst sind?
Die Antwort darauf gibt ein außergewöhnliches Trainingskonzept: das "Blue Eyed - Brown Eyed"-Programm. Die Adalbert-Raps-Stiftung ermöglicht aufgeschlossenen Menschen aus Kulmbach und Umgebung die kostenlose Teilnahme an einem solchen Selbsterfahrungs-Tagesseminar mit dem Duisburger Trainer Jürgen Schlicher. Drei Termine für jeweils mit zu 30 Teilnehmern werden angeboten: am 8., 9. und 10. Dezember, jeweils von 9 bis 16 Uhr, in den Räumen der Kreuzkirchengemeinde in der Tilsiter Straße. Der Termin am Donnerstag ist bereits ausgebucht, für Freitag und Samstag gibt es noch freie Plätze.
Das Seminarkonzept "Blue Eyed" wurde kurz nach der Ermordung des schwarzen Bürgerrechtlers Martin Luther King von der amerikanischen Grundschullehrerin Jane Elliott entwickelt, die ihren (weißen) Schülern die Folgen von Ausgrenzung und Diskriminierung verdeutlichen wollte.
Wie Vorurteile wirken
Die Übung basiert auf der willkürlichen Aufteilung einer Gruppe von Menschen aufgrund ihrer Augenfarbe in Blauäugige und Braunäugige. Die Blauäugigen werden so behandelt, wie Nicht-Weiße, Migranten und Nicht-Christen häufig in unserer Gesellschaft behandelt werden. Alle negativen Stereotype, die wir kennen, werden auf die Gruppe der Blauäugigen angewendet. Sie werden als unterlegen eingestuft und wie Unterlegene behandelt. Im Ergebnis beginnen die Betroffenen, sich tatsächlich unterlegen zu fühlen und bestätigen die Vorurteile.Jürgen Schlicher wurde von Jane Elliott als Trainer für "Blue Eyed" ausgebildet. Als weißer Mann beschäftigt er sich beruflich und privat seit mehr als 20 Jahren mit den Themen Rassismus und Diskriminierung. Als Diplom-Politologe hat er das Dokumentations- und Informationszentrum für Rassismusforschung gegründet. Vor 16 Jahren hat er das Projekt "Schule ohne Rassismus" nach Deutschland geholt und 2005 die Firma Diversity Works gegründet, die dazu beitragen will, interkulturelle Kompetenz und Toleranz zu entwickeln - in Unternehmen und in der Gesellschaft.
Menschen bewusst zu machen, wie stark sie sich in ihrem Alltag von Vorurteilen leiten lassen, ist Schlicher ein Herzensanliegen. Warum ist ihm das so wichtig? "Die Frage müsste eigentlich lauten, warum es anderen weniger wichtig ist", sagt er. "Wenn ich mir überlege, was Diskriminierung auslöst, wie völlig willkürlich, sinnlos und destruktiv jede Form von Diskriminierung ist, dann wundert es mich, dass das noch kein Schulfach ist."
In seinen Workshops praktiziert Schlicher das Originalkonzept von Jane Elliott. "Diskriminierung ist überall gleich. Die Falle funktioniert dort, wo wir Macht über andere Menschen haben." Es gebe immer wieder Situationen, in denen Menschen dazu neigen, bestehende Klischees für sich selbst zu bestätigen.
"Wir können uns nicht vorurteilsfrei bewegen, aber wir können uns wenigstens bemühen, uns dieser Vorurteile bewusst zu sein. Unsere Methode sorgt dafür, dass Leute anfangen zu begreifen, dass wir darüber nachdenken müssen, wie wir Fairness und Chancengleichheit organisieren, weil wir sonst einen massiven sozialen Unfrieden schaffen."
Lernerfahrung im Mikrokosmos
Genau darin liegt die Stärke der Übung: "Die Leute verstehen anhand eines Mikrokosmos, wie die ungerechten Mechanismen funktionieren, und sie lernen, wie man dafür sorgen kann, dass sie künftig nicht mehr funktionieren." Das sei wie beim Mobbing. Es sind immer viele dabei, die solche Sachen mitbekommen, ohne selbst Opfer zu sein. "Von denen hängt es oft ab, wie sich die Situation weiter entwickelt. Wir brauchen Menschen, die sich trauen, den Mund aufzumachen. Unser Konzept ermutigt dazu, Stellung zu beziehen, wenn Diskriminierung entsteht."Schlicher selbst schlüpft nicht gerne in die Rolle dessen, der andere diskriminiert. Doch er tut es im Workshop trotzdem: "Die Lernerfahrungen legitimieren es, die Teilnehmer einmal kurz dieser unangenehmen Erfahrung auszusetzen."
Diskriminierung und Rassismus seien erlernte Fähigkeiten, sagt der Trainer.Wie verlernen wir die wieder?