Beispiel Wallenfels: Wie sieht es 13 Jahre nach dem Umgehungsbau aus?
Autor: Jochen Nützel
Stadtsteinach, Donnerstag, 06. April 2017
Stadtsteinach bekommt sie, Wallenfels (Kreis Kronach) hat sie schon seit 2004: die Umgehung. Über die Erfahrungen berichtet Bürgermeister Jens Korn.
Menschen können sehr kreativ sein, wenn es darum geht, ihre Anliegen publik zu machen. Die Einwohner der Frankenwaldgemeinde Wallenfels hatten die Nase voll von 8000 Fahrzeugen, die täglich auf der B 173 durch den Ort rumpelten. Die Bürger griffen zu ungewöhnlichen Maßnahmen, stellten mal einen Langholzlastwagen in einer Kurve quer oder kehrten freitags demonstrativ raumgreifend die Straße, was zu ordentlichen Rückstaus führte.
"Schließlich hatten wir damit Erfolg", berichtet Wallenfels' Bürgermeister Jens Korn. Er selber ist an der Bundesstraße aufgewachsen, seine Eltern hatten einen Getränkemarkt. "Meine Heimat bestand eigentlich nur aus der Ortsdurchfahrt", sagt der CSU-Politiker. Trauriger Fakt: Neun Menschen fanden an der Trasse bei Unfällen den Tod. Nicht zuletzt das war der Beweggrund für die 4000-Seelen-Gemeinde, sich für eine Umgehung einzusetzen.
Er weiß also, was es bedeutet, den langen Weg zu gehen und schließlich ans Ziel zu kommen. 1992 gründet sich eine Interessengemeinschaft, 2000 kommt der Planfeststellungsbeschluss. 2001 startet der Bau, am 14. Oktober 2004 erfolgt die Verkehrsfreigabe der zweieinhalb Kilometer langen Strecke. "So schnell kann es manchmal gehen", macht der Wallenfelser Bürgermeister seinem Stadtsteinacher Amtskollegen Roland Wolfrum (SPD) Mut.
Alternativen seien freilich auch in Wallenfels lange und mit Verve diskutiert worden. Eine (von der Verkehrsführung betrachtet besonders ausschweifende) Nord-Umfahrung war im Gespräch, wurde aber als technisch zu aufwendig verworfen. Ganz Verwegene, sagt Korn, favorisierten eine Tunnellösung - "auf dreieinhalb Kilometern Länge absolut illusorisch".
Und jetzt, 13 Jahre später? "Es gibt Menschen, die behaupten, wir seien seither als Kommune wie ausgestorben." Jens Korn hat den Vorwurf oft gehört, Wallenfels sei totberuhigt worden. Bankfilialen schlossen, die Post machte dicht, ebenso wie die Quelle-Niederlassung. "Das hat alles nichts mit der Umgehung zu tun, es waren Umstrukturierungsmaßnahmen der jeweiligen Unternehmen." Kleine Geschäfte wie Metzgerei und Bäckereien verschwanden von der Bildfläche. "Da lag es daran, dass geeignete Nachfolger fehlten." Also auch nicht an der Umgehung.
Stattdessen tüftelten die Gemeindeoberen an einer Umgestaltung des Ortskerns. Seit 2008 gibt es ein interkommunales Entwicklungskonzept, in mehreren Etappen soll der Ort attraktiviert werden. Jens Korn verspricht sich davon eine neue Belebung. "Ich jedenfalls wüsste heute keinen, der sagt: Früher, ohne die Umgehung, war alles besser."
Espig "Wunschdenken"
Die Aussagen des Bürgermeisters wollte Knud Espig so nicht stehen lassen. Der SPD-Stadtrat sprach von "reinem Wunschdenken", wenn Jens Korn annehme, weitere Baustellen im Ort würden spurlos am Handel vorübergehen. "Erstens: Ich kenne Wallenfels, und an der Ortsdurchfahrt ist seit 13 Jahren nichts passiert. Zweitens: Jede Baustelle innerorts kostet 30 bis 50 Prozent vom Umsatz, da können sie jeden beliebigen Geschäftsmann fragen."Hier greift der Stadtrat Erhebungen von Thorsten Becker vom Bayerischen Handelsverband auf. Ihm zufolge "sind die typischen Verlierer einer Ortsumgehung Bäckereien, Metzgereien, Tabak- und Zeitschriftengeschäfte sowie die Gastronomie. Wer den Verkehr um eine Stadt herumleitet, der leitet auch die Kunden um die Stadt herum."
Dass sich die Umgehung sehr wohl nachteilig ausgewirkt habe, macht Espig nicht zuletzt an der Einwohnerzahl der Kronacher Gemeinde fest. "Allein zwischen 1995 und 2015 haben Sie, Herr Korn, rund 20 Prozent Rückgang zu verzeichnen. Von 4000 schrumpfte Ihre Kommune auf unter 2800 Einwohner."
Zusammenhänge, die wiederum der Bürgermeister nicht unkommentiert lassen wollte. "Ich lade Sie gerne ein zu mir nach Wallenfels, dann gucken wir in jedes Geschäft. Die Leerstände sind eben nicht der Umgehung geschuldet." Und was den Rückgang bei den Einwohnerzahlen angeht: Der liege in Wallenfels schon in den 1980er Jahren begründet. "Damals sahen vor allem junge Leute keine Perspektive für sich und zogen deshalb fort. Das ist eine Entwicklung, die sich natürlich über Jahrzehnte bis heute auswirkt. Diese Menschen haben folglich keine Familien in ihrer Heimat gegründet. Das sind alles Bürger, die uns heute fehlen."