Begriff "Reichsbürger" schwebt über Kulmbacher Prozess
Autor: Stephan Tiroch
Kulmbach, Donnerstag, 10. November 2016
Versuchte Erpressung und Verleumdung: Ein angeklagtes Paar aus dem Landkreis Kulmbach setzte Gerichtsvollzieher massiv unter Druck.
Dieses ominöse Wort wurde in der Verhandlung vor dem Amtsgericht Kulmbach zunächst nicht ausgesprochen. Aber es schwebte immer über dem dreistündigen Prozess. Sind die zwei Angeklagten "Reichsbürger"? Oder sind sie Trittbrettfahrer, die keine Rundfunkgebühren bezahlen wollten, sich aber der Masche dieser spinnerten und - wie wir inzwischen wissen - auch gefährlichen Gruppierung bedienten?
Das Paar aus dem Kreis Kulmbach war wegen versuchter Erpressung in drei Fällen und Verleumdung angeklagt. Die Frau, Renterin, 66, und ihr Mann, 65, hatten einen Gerichtsvollzieher mit einem absurden Briefwechsel drangsaliert und mit exorbitanten Schadenersatzforderungen schikaniert.
Die Auseinandersetzung um den Rundfunkbeitrag zog sich zwei Jahre hin und schaukelte sich hoch. Seit über zehn Jahren höre man kein Radio und sehe nicht fern, weil das Programm nichts taugt, meinte der Angeklagte. Als der Bayerische Rundfunk im Herbst 2015 den Gerichtsvollzieher in Marsch setzte, belief sich der Rückstand auf jeweils 526,96 Euro. Wobei sich herausstellte, dass nur der Mann als Hauseigentümer zur Zahlung verpflichtet war. Die Frau nicht, wie sich später herausstellte - sie unterließ es aber, den vorgesehen Rechtsweg zu beschreiten und sich zu wehren.
Google hilft
Das Ehepaar tat das, was man heute tut, und holte sich Rat bei Google im Internet. Dort traf man offenbar auf die "Reichsbürger"-Szene und die Anleitung, wie Staatsbeamte kleinzukriegen seien. Die Angeklagten setzten sich hin und schrieben an den Gerichtsvollzieher drei erpresserische und ellenlange Briefe, die verlesen wurden.Nach einer verschwurbelten Vorrede wurde der Beamte aufgefordert, Bestallungsurkunde, Dienstausweis, Originalpolice der Berufs- und Privathaftpflichtversicherung vorzulegen. Außerdem eine notariell beglaubigte Gründungsurkunde der Bundesrepublik.
Astronomische Summen
Falls die Legitimation unterbleibe und die Pfändung weiter betrieben werde, drohten sie ihm astronomische Summen als Schadenersatzforderungen an: 200 Euro pro Stunde für ihre gestohlene Zeit; für Telefonate, Verletzung der Privatsphäre, Belästigung durch die Verfolgung von Ansprüchen, Beschlagnahmung von Privateigentum oder unbefugtes hoheitliches Handeln Beträge von 20.000 Euro bis mehrere Millionen. Ein Euro könne alternativ durch ein Gramm Feinsilber ersetzt werden. Schließlich leitete das Paar ein Betreuungsverfahren gegen den Gerichtsvollzieher beim Amtsgericht ein. Der Mann sei mit seiner Arbeit "überfordert". Die Auswahl des Betreuers stellte man ins Ermessen des Gerichts.
Angst und Schlaflosigkeit
Die Drohungen verfehlten ihre Wirkung nicht. Der Gerichtsvollzieher ("In 20 Jahren habe ich einiges erlebt, aber so was noch nicht") bekam es mit der Angst zu tun. Seine Gedanken kreisten um Zahlungsaufforderungen aus dem Ausland, er konnte nicht mehr schlafen. Am Donnerstag nahm er die Entschuldigung der Angeklagten an: "Wir haben mit den Reichsbürgern absolut nichts zu tun. Wir sind da reingeschlittert, es tut uns aufrichtig leid."Staatsanwalt Julius Klug sprach von einem "Grenzfall zur Freiheitsstrafe". Dagegen sah Verteidiger Horst-Hermann Hofmann bei seiner Mandantin keine Strafbarkeit. Angesichts der ungerechtfertigten Beitragsforderung habe sich bei ihr ein Gefühl der Ohnmacht eingestellt.
Geständnis, Einsicht, keine Vorstrafen - trotzdem verhängte das Gericht eine empfindliche Strafe: für beide 145 Tagessätze mal 35 Euro, also jeweils 5075 Euro. "Wir haben keine Reichsbürger vor uns sitzen", sagte Richterin Sieglinde Tettmann. Das Paar sei aber verantwortlich für die erheblichen Drohungen gegen ein Staatsorgan.
Das Urteil löste keine Freude aus. Die Rentnerin sagte mit Blick zum Richtertisch: "Da sitzen lauter Gutverdiener. Wo sollen wir das Geld hernehmen?" Ihr Kulmbacher Anwalt behielt sich Rechtsmittel vor.
"Reichsbürger" im Landkreis: Polizei hält sich bedeckt
Welche Rolle spielen "Reichsbürger" im Landkreis Kulmbach und in Oberfranken? Nach dem Polizistenmord von Georgensgmünd ist die Splittergruppe, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Staatsorgane nicht anerkennt, in den Fokus der Öffentlichkeit geraten.In Hallerndorf bei Forchheim soll am Wochenende ein mutmaßlicher "Reichsbürger" (57) andere Personen bedroht haben. Gibt es auch im Kreis Kulmbach Vertreter der Gruppierung mit den verschrobenen Ansichten? Auf Anfrage hielt man sich beim Polizeipräsidium Oberfranken bedeckt. Zahlen, schon gar nicht für eine bestimmte Region, würden nicht herausgegeben, sagte Polizeisprecherin Anne Höfer. Sie bestätigte aber, dass die Polizei in Oberfranken Personen beobachtet, die der "Reichsbürger"-Szene zuzuordnen seien.
Leitender Oberstaatsanwalt Herbert Potzel, Bayreuth, erklärte, dass keine spezielle Statistik für Strafverfahren gegen "Reichsbürger" geführt werde. Typische Delikte seien Erpressung, Bedrohung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder Beleidigung, sagte er.