Druckartikel: Bayreuther Missbrauchsprozess: War er's, oder war er's nicht?

Bayreuther Missbrauchsprozess: War er's, oder war er's nicht?


Autor: Stephan Tiroch

Kulmbach, Freitag, 05. Februar 2016

Im dem langwierigen Verfahren wagt auch nach fünf Monaten noch keiner eine Prognose. Am Montag geht es mit einem wichtigen Zeugen weiter.
Im großen Bayreuther Missbrauchsprozess hat sich Justitia noch nicht für eine Seite entschieden.  Symbolbild: David Ebener/dpa


War er's, oder war er's nicht? Eine Frage, die im großen Missbrauchsprozess am Landgericht Bayreuth derzeit keiner beantworten kann. Seit September wird vor der 1. Großen Strafkammer verhandelt, aber ein Ende des komplizierten und langwierigen Verfahrens ist nicht in Sicht. Was die Angelegenheit erschwert: Eine inzwischen völlig zerrüttete Familie bildet den Rahmen für die angeklagten Straftaten. Nach einer längeren Unterbrechung geht der Prozess am Montag mit einem wichtigen Zeugen weiter.

Der Angeklagte schweigt. Die Vorwürfe sind heftig. Immerhin stehen mehrfache Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Kindern im Raum. Die Straftaten sollen laut Anklage hauptsächlich in Westdeutschland begangen worden sein.


Aussage unter Tränen

Belastet wird der 71-jährige Mann von seiner Ex-Frau, zwei Enkelinnen und von seiner Tochter (48). Sie gibt an, schon als Jugendliche von ihrem Vater missbraucht worden zu sein. Bei den mutmaßlichen letzten Vergewaltigungen in den Jahren 2009, 2010 und 2011 ist sie eine erwachsene Frau. "Mir hat keiner geholfen, alle haben nur weggeguckt", erklärt die Tochter unter Tränen vor Gericht.

Zum Bruch mit dem Familienoberhaupt hat sie sich vor zwei Jahren entschlossen. Damals erfährt sie, dass ihr Vater auch die zwei Enkelinnen angegrapscht haben soll. Nach der Anzeige läuft die Maschinerie der Strafverfolgung an: Die Polizei ermittelt, der Beschuldigte wird in Untersuchungshaft genommen, die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage. Es kommt zum Prozess.

Dort lässt sich der erfolgreiche Geschäftsmann von einem Promianwalt verteidigen: Johann Schwenn aus Hamburg. Zuletzt hat er Jörg Kachelmann vertreten, dessen Vergewaltigungsprozess die Medien über ein Jahr lang beschäftigt. Das Ende ist bekannt: Freispruch für den Wettermoderator.


Verteidiger setzt auf Angriff

Der Staranwalt aus Hamburg setzt vor allem auf Angriff als beste Form der Verteidigung. Dabei inszeniert er sich auch ein bisschen selbst: Abteilung Attacke im Gerichtssaal. Besonders knöpft er sich die Belastungszeuginnen vor. Die nimmt er hart ran. Er will deren Glaubwürdigkeit erschüttern und deren Tränen-lügen-nicht-Taktik entlarven. Er betrachtet die Nebenklägerinnen als einen Frauenclan, der sich aus Geldgier gegen den Familienpatriarchen verschworen hat.

Auf Kriegsfuß steht Schwenn mit der Opferhilfeorganisation Weißer Ring, deren Mitarbeiter aktiv in das Verfahren eingegriffen hätten. Teile der Medien kritisiert er, "ein Zerrbild vom Prozessverlauf" zu zeichnen. So würden die Zeugen beeinflusst.

Staatsanwaltschaft und Polizei wirft Schwenn vor, nicht ergebnisoffen ermittelt zu haben. Er spricht von "Schlechtleistung" und erreicht einige Erfolge. Es tauchen Ungereimtheiten bei Tatorten und Zeitangaben auf. Die neue Ehefrau des Angeklagten ermittelt auf eigene Faust und legt Alibis für zwei Vergewaltigungsvorwürfe vor. Die Anklage bröckelt. Das Gericht verneint einen dringenden Tatverdacht und hebt Anfang Dezember den bereits außer Vollzug gesetzten Haftbefehl auf. Der 71-Jährige bekommt 1,5 Millionen Euro Kaution zurück.


Merkwürdige Szenen

Anders als im Mannheimer Kachelmann-Prozess legt sich Schwenn mit der Bayreuther Strafkammer nicht an. Das Gericht geht jedem noch so kleinen Hinweis nach, um der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Dies führt teilweise zu merkwürdigen Szenen im Gerichtssaal. Einmal kramt Vorsitzender Richter Michael Eckstein in einer Frauenhandtasche, für deren Inhalt sich die Verteidigung interessiert. Oder: Ein Weißer-Ring-Mitarbeiter muss seinen Block mit Prozessnotizen vorzeigen.

Die Kammer muss letztlich die schwierige Frage beantworten: Wie glaubwürdig sind die mutmaßlichen Opfer? Objektive Spuren oder neutrale Zeugen gibt es bei den Vier-Augen-Delikten nicht. Deshalb müssen die Belastungszeuginnen in stundenlangen Fragerunden ihr Seelenleben ausforschen lassen.


Was weiß der erste Freund?

Die Nebenklage rüstet im Verlauf des Prozesses auf. Ex- Bundesanwalt Walter Schädler aus Wiesbaden und der bekannte Opferanwalt Frank K. Peter aus Worms steigen in das Verfahren ein. Peter präsentiert am Montag den ersten Freund der Tochter des Angeklagten. Angeblich kann der Zeuge Angaben über das Martyrium seiner damaligen Freundin machen.