Druckartikel: Baumstreit: Über diesen Wipfeln ist Unruh'

Baumstreit: Über diesen Wipfeln ist Unruh'


Autor: Jochen Nützel

Kulmbach, Mittwoch, 19. Juli 2017

Mesut Berberoglu fürchtet als Anlieger des Steinernen Gässchens, dass Bäume von Nachbarn auf sein Grundstück krachen. Er sieht die Stadt in der Pflicht.
"Mir kann keiner erzählen, dass dieser Baum gesund ist", sagt Mesut Berberoglu. Für ihn müsste die Stadt hier einschreiten. Foto: Jochen Nützel


Ein paar Vertiefungen im Boden zeugen davon: Hier stand noch vor zwei Monaten eine Rutsche. Mesut Berberoglus Tochter hat sie gerne genutzt. Bis eine mächtige Fichte aus Nachbars Garten den Scherkräften des Windes nicht mehr standhält und runterkracht. "Das war knapp an unserem Haus vorbei. Und es war nicht das erste Mal." Mal brechen armdicke Äste ab, dann kommen ganze Kronen runter. "Irrsinn", sagt er kopfschüttelnd.

Seit zehn Jahren wohnt er zusammen mit seiner Frau in der Beethovenstraße. Oberhalb des Grundstücks verläuft das Steinerne Gässchen. Ein Idyll, mitten im Grünen. Allerdings ist das auch sein Problem: "Um mich herum gibt es viele Bäume. Das wäre ja in Ordnung - aber nicht wenige sind, so weit ich das beurteilen kann, gefährlich morsch und gehören beseitigt oder wenigstens eingekürzt."


Bisher Glück gehabt

Der Kulmbacher sagt, er habe immer wieder mit den Nachbarn gesprochen, habe sogar Baumkletterer angefordert. "Die sind meiner Meinung und sagen, dass der Bestand Gefahr birgt." Aber der Nachbar sei stur. Berberoglu fragt sich nun: "Warum unternimmt die Stadt nichts? Es ist reines Glück, dass noch niemand zu Schaden kam. Meinen Schaden mit der kaputten Rutsche musste ich selber zahlen. Aber das kann es doch nicht sein. Ich denke, die Stadt hat eine Sicherungspflicht."

"Die Sicherungspflicht liegt beim jeweiligen Eigentümer", sagt hingegen Hauptamtsleiter Uwe Angermann, denn: "Eigentum verpflichtet." Demnach muss jeder Grundstückseigentümer seinen Baumbestand kontrollieren, pflegen und gegebenenfalls gefährliche Zustände beseitigen. So sieht es auch Paragraf 823, Absatz 1 BGB vor. "Allerdings geht es darum, die Sicherheit für öffentliche Straßen und Wege zu gewährleisten. Wenn zum Beispiel Äste in Kopfhöhe in die Gasse hineinragen, dann hätten wir zumindest die Handhabe und könnten darauf drängen, dass der Grundstückseigentümer die Gefahr für die Allgemeinheit beseitigt."

Wenn öffentlich-rechtliche Anordnungen und entsprechende Zwangsmittel keinen Erfolg haben, könnte - als ultima ratio - die Stadt eine Ersatzvornahme auf Kosten des Pflichtigen vornehmen. "Was wir aber nicht können ist: Einfach auf einem Privatgelände Bäume fällen. Und wir können als Stadt auch keinen privaten Nachbarschaftsstreit schlichten."


Standfestigkeit kürzlich überprüft

Die stadteigenen Bäume sind in einer EDV-gestützten Karte verzeichnet und mit einer Plakette versehen. Der zuständige Bauhof-Mitarbeiter Jürgen Ganzleben habe, so Angermnann, erst vor zwei Tagen die Standfestigkeit überprüft und grünes Licht gegeben. Daran zweifelt auch Mesut Berberoglu nicht. "Was diese städtischen Bäume angeht: Da habe ich keine Bedenken, da macht die Stadt ihre Hausaufgaben."

Allerdings sieht er die Stadt auch in der Pflicht der Gefahrenabwehr, wenn es um potenziell gefährliche Gehölze auf Privatgrund geht. Das hat er auch mehrfach schriftlich im Rathaus mitgeteilt. Erhalten hat er - wie alle Anwohner des Steinernen Gässchens - Anfang Juli ein Schreiben des Tiefbauamts. Darin wird er aufgefordert, seiner Verkehrssicherungspflicht als Grundstücksbesitzer nachzukommen und "den Baumbestand mit möglichen Einwirkungen auf die öffentliche Verkehrsfläche" zurückzunehmen. "Auf meinem Grund steht kein einziger Baum", sagt Berberoglu und vermutet hinter diesem Vorgehen "Arroganz und Willkür".

Uwe Angermann verneint das: "Solche Schreiben werden an alle Anlieger versendet, die in der betreffenden Straße wohnen. Wenn es für jemanden nicht zutrifft, muss er selbstverständlich auch nicht reagieren. Das Schreiben an Herrn Berberoglu diente lediglich zu dessen Information, dass die Stadt Kulmbach entsprechende Hinweise an die Anlieger verschickt hat."


Keine Enteignung

Der Hauptamtsleiter bekundet, die Aufforderung der Stadt könne immer nur auf jene Bäume oder Hecken abzielen, die eine mögliche Gefahr für die Öffentlichkeit darstellen. "Als Stadt können wir rein rechtlich doch nicht einschreiten, nur wenn es jemandem gefällt, hohe Bäume auf seinem Grundstück haben zu wollen. Alles andere käme einer Enteignung gleich."


Baumbestand: Das sind die Pflichten für Anwohner

Die Stadt kann Bürger auffordern, Bäume/Hecken zu schneiden, sollten diese Einwirkungen auf öffentliche Verkehrsflächen haben.

Der Grundstückseigentümer ist angehalten, im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht sowie zur Vermeidung möglicher Schadensersatzansprüche Dritter bei Schäden durch Unterlassung den Baumbestand regelmäßig von Sachverständigen auf Bruchgefahren kontrollieren zu lassen.

Zu unterscheiden gilt, ob es sich um eine abstrakte oder akute Gefahr handelt. Akut bedeutet: Der Ast eines Baumes ist erkennbar brüchig und stellt eine Gefährdung für Leib und Leben dar. Eine Gefahr ist abstrakt, wenn ein gewisses Gefahrenpotenzial zwar besteht, ein sofortiger Handlungsbedarf nicht gegeben ist. jn