Druckartikel: Aus Altersgründen: Rugendorfer Wirtin dreht Zapfhahn zu

Aus Altersgründen: Rugendorfer Wirtin dreht Zapfhahn zu


Autor: Sonja Adam

Rugendorf, Donnerstag, 04. Oktober 2018

Der Gasthof "Zum Schwan" in Rugendorf hat seine Pforten geschlossen. Am 3. Oktober schenkte Sieglinde Nützel ihren Stammgästen das letzte Bier ein.
Sieglinde Nützel (81) konnte auf ihre Stammkunden bauen: Täglich schauten die Rugendorfer bei ihr "auf ein oder zwei Bier" vorbei.  Foto: Sonny Adam


Kaum ist das Glas leer, greift Sieglinde Nützel in die hohe Vitrine, holt ein Neues heraus und füllt es mit frischem Gerstensaft und perfekter Schaumkrone. "Du trinkst doch noch eins?", fragt sie - wobei die Worte der Wirtin eher wie eine Feststellung klingen als wie eine Frage. Sieglinde Nützel kennt ihre Stammgäste. Doch diese alltägliche Szene ist Geschichte.

Für Sieglinde Nützel ist der 3. Oktober letzte Tag, den sie in der kleinen Ausschanknische verbringen möchte. Im Alter von 81 Jahren setzt sie sich zur Ruhe. "Ja, ich habe mir das gut überlegt", sagt sie.

Abschied fällt nicht leicht

Natürlich fällt der Wirtin der Abschied von "ihren Rugendorfern" nicht leicht. Doch nach dem Tod ihres Mannes möchte und kann sie die Gastwirtschaft nicht alleine weiter betreiben. Die Arbeit ist ihr zu viel.

"Es ist so schade. Wir waren täglich da", sagt Altbürgermeister Dieter Oertel. Die anderen Stammgäste pflichten dem ehemaligen Gemeindeoberhaupt bei. Das Wirtshaus war immer schon Kommunikationsmittelpunkt im Herzen des Dorfes. Zum Abschied schauen alle vorbei: die Nachbarn, die, die nicht jeden Tag kamen, die Karter und natürlich die Stammgäste, die für Sieglinde Nützel wie eine Familie waren.

Mit dem Aus des Gasthauses "Zum Schwan" geht eine Ära zu Ende. Schon seit 1843 existierte das Traditionslokal in Rugendorf. "Früher gab es sogar eine eigene Brauerei. Friedrich Nützel aus Lanzendorf hat hier sein eigenes Bier gebraut", kennt Sieglinde Nützel die Familiengeschichte ihres Mannes.

Nicht aus dem Krieg zurückgekehrt

Allerdings musste der damalige Braumeister und Wirt in den Krieg - und kehrte nicht zurück. "Nach dem Krieg hat die Mutter meines Mannes, die Kuni, die Wirtschaft weitergeführt", erzählt Sieglinde Nützel. Und seit 1956 half ihr ihr inzwischen verstorbener Mann Fritz.

"Ach Gott, was haben wir hier früher für Kerwas gefeiert", erinnert Altbürgermeister Dieter Oertel an die großen Zeiten der Wirtschaft. "Ich habe hier zum ersten Mal Entenjung probiert. Erst traute ich mich nicht ran, dann habe ich es geliebt", schwärmt Dieter Oertel.

"Das waren noch Zeiten"

"Früher haben wir die Enten selber aufgezogen und geschlachtet. Das waren noch Zeiten", muss die Wirtin schmunzeln. Die Kerwa in Rugendorf dauerte früher drei Wochen: Erst wurde eine Woche Schlachtfest gefeiert, dann gab es einen Tanz. Und schließlich wurde in Zettlitz und Feldbuch weitergefeiert. "Da gab es Musik. Hier war immer volles Haus", erinnert sich Franz Lamnek.

Fritz Nützel konnte Klavier spielen. Es gab in der Wirtschaft einen Saal. Und auch die Kegelbahn, die schon jahrelang nicht mehr in Betrieb ist, war legendär.

Früher fünf Wirtshäuser im Ort

Schon seit 2002 tischt die Wirtin kein Essen mehr auf, trotzdem liebten die Rugendorfer ihr Wirtshaus im Ort. Man konnte ein Bier trinken, anschließend zu Fuß nach Hause laufen. Dass das Bier bis heute nur 2,20 Euro gekostet hat, war den Stammgästen recht. "Ich muss ja keine Pacht zahlen. Da konnte ich den Preis halten", sagt Nützel.

Bürgermeister Ralf Holzmann (parteilos) zeigte sich unserer Zeitung gegenüber "sehr traurig darüber, dass nun die Rugendorfer Traditions-Gaststätte Nützel schließt". Mit sehr großer Freude denke er an die großartigen Veranstaltungen oder an die Möglichkeit der Einkehr nach dem Kirchgang beim Nützels Rudi und seiner Frau. "Hier konnte man sich treffen und sich gut unterhalten."

Holzmann weiter: "Leider ist ja unser beliebter Gastwirt Rudi Nützel in diesem Frühjahr viel zu früh verstorben - und seine Frau kann die Gastwirtschaft verständlicherweise aus Altersgründen alleine nicht weiterführen." Für Rugendorf, so Holzmann, "wäre es schon sehr begrüßenswert, wenn sich wieder ein Gastwirt im Ort ansiedeln möchte. Als Gemeinde sind wir dabei gerne behilflich und bieten unsere Unterstützung an."

Dennoch hat jeder für die Situation der betagten Wirtin Verständnis. Auch die Gäste sind in die Jahre gekommen.

Bis zum Zweiten Weltkrieg gab es in Rugendorf vier Brauereien und zudem fünf Wirtschaften. Jetzt existiert nur noch die "Edelherbstub'n" - und die hat nur donnerstags geöffnet.