AOK wirft Fitness-Studio-Kunden Betrug vor
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Dienstag, 29. November 2016
Haben AOK-Versicherte sich des Abrechnungsbetrugs schuldig gemacht, weil sie sich unlauter Kosten für Gesundheitskurse von ihrer Kasse erstatten ließen?
Sie sind zwischen 60 und 75 Jahre alt, wollten etwas für ihre Gesundheit tun - so, wie es ihre Krankenkasse, die AOK, sich für ihre Mitglieder wünscht. Also gingen sie ins Fitness-Studio, buchten Kurse, stärkten Rückenmuskeln und Kreislauf. Jetzt stehen diese Senioren als Betrüger da, haben sogar Post von der Staatsanwaltschaft Bayreuth in Form eines Strafbefehls bekommen.
Zwei von ihnen vertritt Alexander Schmidtgall. Der Fachanwalt für Strafrecht bekundet, dass seine Mandanten den Strafbefehl nicht akzeptiert haben. "Sie sollten wegen angeblichen Abrechnungsbetrugs einen vierstelligen Betrag zahlen. Sie haben das verweigert - der Großteil der Betroffenen aber hat wohl gezahlt: weil sie sich schämen, sich als Rentner öffentlich vorm Strafgericht rechtfertigen zu müssen."
Der Vorwurf laute auf fünffachen Betrug. Es geht um Gesundheitskurse in den Jahren 2009 bis 2013, die Zeiten davor seien verjährt, so Schmidtgall. Die Versicherung erkläre in ihren Vorgaben, dass besagte Gesundheitskurse gefördert werden - allerdings dürfe die Bezuschussung durch die Kasse nicht mit der monatlichen Gebühr fürs Fitness-Studio verrechnet werden. Ab 2013 habe die AOK das explizit in ihren Bescheinigungen erwähnt.
Für den Versicherer besteht der Betrug eben genau in jener Querfinanzierung. Die besuchten Gesundheitskurse müssten, so steht es in den Vorgaben, einen definierten Start- und Endtermin haben und in einer festen Teilnehmergruppe ablaufen. Mindestens 75 Prozent der Kursstunden müssen nachweislich absolviert und vom Kursleiter bestätigt worden sein.
Diese Mindeststundenzahl ist ein Punkt, den auch die Staatsanwaltschaft moniert. Der gravierendere aber ist für die Juristen, dass es offenbar die geforderte Trennung zwischen Kursgebühr einerseits und dem normalen Mitgliedsbeitrag fürs Studio andererseits nicht gegeben habe. Jene Kursteilnehmer, die ohnehin Mitglied im Studio sind, hätten die Teilnahmegebühr für die AOK-Kurse laut Rechtslage nicht erstattet bekommen dürfen. Es sei denn, das Studio und der Teilnehmer bescheinigen per Unterschrift, dass Gebühr und Beitrag nicht miteinander verrechnet werden. Da im besagten Studio aber offenbar diese Trennung der Gebühren nicht vorliege, hätten die Betroffenen bei der AOK die Erstattung unter falschen Voraussetzungen und mit falschen Angaben beantragt - strafbar als Betrug, so sehen es die Juristen.
Anwalt sieht Schuld beim Betreiber
Schmidtgall sieht, wenn überhaupt, das Vergehen nicht bei den Versicherten, sondern dem Studiobetreiber. "Er hat den Vertrag über das Kursangebot mit der AOK geschlossen. Er muss auch explizit gewusst haben, dass eine Verrechnung nicht möglich ist." Der Anwalt glaubt, dass durch eben jene Konstellation den potenziellem Kunden eine Mitgliedschaft schmackhaft gemacht werden sollte. "54 Euro Beitrag ist sehr viel. Wenn ich aber anpreise, dass über die AOK ja gerundet 25 Euro erstattet werden, dann klingt das wesentlich freundlicher."Insofern hat sich nach Dafürhalten des Anwalts der Studiobetreiber einen unlauteren Wettbewerbsvorteil verschafft. "Das Angebot solcher Gesundheitskurse über die Kasse soll nicht aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus erfolgen."
Das aber ändert vorerst nichts daran, dass Schmidtgalls Mandanten juristisch belangt werden sollen, auch wenn noch keine Anklage erhoben wurde. Am kommenden Dienstag werden seine beiden Widerspruchsfälle vor dem Amtsgericht Bayreuth verhandelt. "Die Staatsanwaltschaft sieht das so: Jede Vorlage der jeweiligen Teilnahmebescheinigung pro Jahr wird jeweils als eine Tat gewertet. Fünf Jahre - macht fünf Straftaten. Aber es steht ja nicht nur die Summe des Strafbefehls im Raum, sondern womöglich auch erhebliche Rückforderungen der AOK."
Dennoch sieht er gute Chancen für die Beschuldigten. "Ich sehe den Betrug nicht, meine Mandanten sind vorher nie über irgendwelche möglichen Fallstricke aufgeklärt werden. Es kam auch keine Belehrung seitens der Kasse zu Stande Und ehrlich: Niemand kommt auf die Idee, einen Anwalt für Sozialrecht einzuschalten, bevor er einen Gesundheitskurs bucht."
Als die AOK auf die Bescheinigungen extra draufschreiben ließ, dass Gebühr und Monatsbeitrag nicht gegengerechnet werden können - ab dem Zeitpunkt seien seine Mandanten nicht mehr im Fitness-Studo gewesen. Schmidtgall geht von insgesamt 50 bis 60 Betroffenen aus, die die besagte Gesundheitsgruppe über Jahre besucht hatten.
"Jede Kasse handelt das anders"
Und was sagt der Studiobetreiber? Er möchte aufgrund der Vorwürfe ungenannt bleiben, könnte aber wegen Beihilfe zum Betrug belangt werden. "Ich habe noch nicht viele Informationen dazu. Was die Bezuschussung angeht: Jede Krankenkasse handelt da anders - und das ist das Problem. Die AOK sieht die Regeln offenbar sehr eng." Ob er sich etwas vorzuwerfen hat? Der Betroffene spricht von einem möglichen Formfehler. "Ich sage mal so: Wir bescheinigen die Kursteilnahmen. Das jeweilige Versicherungsmitglied sollte freilich vorher abklären, ob seine Kasse auch die Zuschüsse unter den gegebenen Voraussetzungen akzeptiert und zahlt. Vom Ausmaß hatte wir keine Ahnung - aber mir erscheint das kein vorsätzlich betrügerisches Verhalten."Und er ergänzt: Dem Studio sei definitiv kein geldwerter Vorteil entstanden. Ihm sei aber nicht klar, weswegen er Mitglieder schlechter stellen sollte als jene, die nur für einen Kurs ins Studio kommen. Offenbar gebe es wegen der Abrechnungspraxis bislang nur Ärger mit der AOK; andere Kassen, die ebenfalls Kurse anbieten, hätten sich demzufolge nicht bei ihm gemeldet.