Druckartikel: Als Kind satt und gesund - und trotzdem arm

Als Kind satt und gesund - und trotzdem arm


Autor: Katrin Geyer

Kulmbach, Sonntag, 13. Januar 2013

Armut ist auch im reichen Deutschland ein Thema. Acht von hundert Kindern müssen dauerhaft auf Dinge verzichten, die für andere Kinder selbstverständlich sind - und die eine Kindheit erst ausmachen. Die Arbeiterwohlfahrt will etwas dagegen tun.
Ein Herz für Kinder hat das neue Kinderhilfswerk der Arbeiterwohlfahrt. Mitarbeiter der Einrichtungen und sogar die Kinder haben sich an der ersten großen Spendenaktion beteiligt. Unser Bild zeigt (von links) Dominik Bieringer, Jannas Müller, Tanja Heißinger und Hannes Fladt mit Praktikantin Christina Häsner.. Foto: privat


Elisabeth Weith war Anfang zwanzig und stand als Leiterin der Tagesstätte der Arbeiterwohlfahrt am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn, als sie zum ersten Mal mit dem Thema Kinderarmut konfrontiert wurde: "Unter unseren Kindern waren auch zwei Buben, die in einfachsten Verhältnissen aufwuchsen", erinnert sie sich. "Die Eltern bemühten sich nach Kräften, aber das Geld reichte hinten und vorne nicht. Da haben wir schon einmal Winterstiefel gekauft oder kleine Geschenke zu Weihnachten."

Etwa 30 Jahre ist das her. Mittlerweile ist Elisabeth Weith Geschäftsführerin der Kulmbacher Arbeiterwohlfahrt. Und das Thema Kinderarmut ist aktueller denn je. Aber während es seinerzeit reichte, immer einmal etwas Geld "aus irgendwelchen Töpfen" abzweigen zu können, wie die Geschäftsführerin sagt, erscheint es ihr mittlerweile nötig, die Unterstützung für bedürftige Familien auf solide organisatorische Füße zu

stellen.

Erschreckende Zahlen

Der Kreisverband Kulmbach der Arbeiterwohlfahrt hat deshalb im Herbst des letzten Jahres ein Kinderhilfswerk gegründet. "Kinderarmut ist ein so genanntes Begleitthema, mit dem wir es bei unserer Arbeit in den verschiedensten Bereichen immer wieder zu tun haben", sagt Elisabeth Weith. "Mit dem Kinderhilfswerk haben wir es jetzt ganz offiziell zum Thema gemacht."

Zahlen bestätigen ihre Einschätzung der Situation. So kommt etwa eine Vergleichsstudie des Internationalen Kinderhilfswerks Unicef aus dem Jahr 2012 zu einem erschreckenden Ergebnis: Rund 30 Millionen Kinder wachsen in den 35 reichsten Staaten der Welt in relativer Armut auf - 1,2 Millionen von ihnen leben in Deutschland. Deutschland nimmt im Ranking der 35 Staaten gerade einmal Platz 13 ein. Die Zahl der "armen" Kinder, gemessen an der Gesamtbevölkerung und deren Einkommen, ist hier höher als etwa in Island oder Finnland - und höher als beispielsweise in Tschechien, das gemeinhin als ärmer gilt als Deutschland.

Zwar verhungern in Deutschland keine Kinder und Kindersterblichkeit wegen mangelnder medizinischer Versorgung ist kein Thema - aber "Armut" definiert Unicef nicht allein über die Versorgung mit Lebensmitteln. 14 Kriterien listet die Studie auf. Sie fragt zum Beispiel danach, ob ein Kind drei Mahlzeiten am Tag bekommt, ob es altersgerechte Bücher und Spielzeug für Aktivitäten im Freien besitzt, ob es einen ruhigen Platz für die Hausaufgaben hat, ob es Freunde zum Spielen oder Essen nachhause einladen oder an Schulausflügen teilnehmen kann. Fehlt es an mehr als zwei dieser Dinge, so sagt Unicef, ist ein Kind arm.

Gemessen an diesen Kriterien, sind viele Kinder in Deutschland "arm" dran. 8,8 Prozent der Buben und Mädchen mangelt es an diesen Dingen und Möglichkeiten. Das sind weit mehr als etwa im wirtschaftlich schwächeren Irland (4,4 Prozent) - und genau so viel wie in unserem Nachbarland Tschechien. Betroffen sind nicht nur Familien, in denen die Eltern keine Arbeit haben. Betroffen sind vor allem diejenigen, die einer Beschäftigung im so genannten Niedriglohnsektor nachgehen: Zum Leben zu wenig - aber um ein weniges zu viel, um noch Anspruch auf staatliche Unterstützung zu haben.

"Armut heute ist gleichzusetzen mit mangelnder Teilhabe an dem, was eine Kindheit ausmacht", sagt deshalb auch Elisabeth Weith. Armut erleben sie und die Mitarbeiter in den Einrichtungen der Kulmbacher Arbeiterwohlfahrt tagtäglich. Da gibt es Kinder, die keine Freunde einladen können, um mit ihnen ihren Geburtstag zu feiern. Da gibt es Buben und Mädchen, die zu gerne an einer Ferienaktion teilnehmen oder beim Hortausflug mitmachen würden - deren Eltern aber das Geld dafür nicht aufbringen können. Da gibt es Kinder, die ohne Frühstück in die Schule kommen, oder die noch im November in Turnschuhen laufen, weil kein Geld für Winterstiefel da ist. "Und es gibt Kinder, die haben in ihrem ganzen Leben noch nie ein neues Kleidungsstück bekommen, sondern tragen immer nur abgelegte Sachen von anderen auf."

Einmal Schuhe kaufen gehen

Hier setzt die Arbeit des Hilfswerks an: Wann immer die Mitarbeiter in den Awo-Einrichtungen auf solche Fälle von Armut aufmerksam werden, wird geprüft, ob und wie die Familie unterstützt werden kann. "Es gibt ausschließlich Sachleistungen", betont Elisabeth Weith. Das heißt: Das Hilfswerk übernimmt die Kosten für eine Freizeit oder für den neuen Schulranzen. "Oder wir gehen mit einem Kind Schuhe kaufen."

Finanziert werden soll all das aus Spenden. Die kommen zu 100 Prozent dem Hilfswerk zugute; die Verwaltungskosten trägt der Awo-Kreisverband. Besonders willkommen sind dort Paten, sagt die Geschäftsführerin: "Wir haben bereits etliche Einzelpersonen oder auch Awo-Ortsvereine, die eine solche Patenschaft übernommen haben und ein bestimmtes Kind regelmäßig mit einem bestimmten Betrag unterstützen."

Damit ist der Grundstein gelegt für Hilfe, die bei den Buben und Mädchen ankommt, die im reichen Deutschland Armut leiden.