Sollte jeder ein Jahr Pflichtdienst leisten?
Autor: Martin Kreklau, Jochen Nützel
Kulmbach, Mittwoch, 06. Juli 2022
Die allgemeine Dienstpflicht spaltet die Republik und sogar die Parteienlandschaft.
Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, dazu seit Jahren bekannte Baustellen wie Pflegenotstand und marode Militärstrukturen: Sowohl im Gesundheitswesen als auch bei der Bundeswehr fehlt es offenkundig an Personal. Könnte ein verpflichtendes Jahr für junge Menschen im Rahmen einer allgemeinen Dienstpflicht Abhilfe schaffen? Zuletzt hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen neuen Anlauf dafür gestartet. Doch das Thema spaltet. Befürworter versprechen sich neben besagter Entschärfung dünner Personaldecken eine soziale Komponente in Form einer Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Kritiker hingegen führen einen nicht zu rechtfertigen Einschnitt in individuelle Freiheitsrechte an.
Nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nahm die Debatte um eine allgemeine Dienstpflicht wieder Fahrt auf. Die Idee dahinter: quasi eine Nachfolge für die seit (unter CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg) ausgesetzte Wehrpflicht finden - und damit auch für den Zivildienst. Schon 2018 hatte die damalige Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) eine allgemeine Dienstpflicht vorgeschlagen mit der Möglichkeit, diese auch bei Sozialorganisationen oder Umweltverbänden abzuleisten. Doch selbst im konservativen Spektrum ist die allgemeine Dienstpflicht nicht unumstritten. Ministerpräsident Markus Söder sieht einerseits ein verfassungsrechtliches Problem und fürchtet zudem ein überbordendes Maß an zusätzlicher Bürokratie.
Rein rechtlich ist ein solches Pflichtjahr für alle ohnehin nicht leicht durchsetzbar, schließlich geht es um eine Zwangsverpflichtung. Der Zwangsdienst ist nach der Freiheitsstrafe der größte Eingriff in die Persönlichkeitsrechte. International hat sich Deutschland mit der sogenannten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie dem Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation eindeutig gegen Zwangsarbeit positioniert. Vor diesem Hintergrund äußern Verfassungsrechtler große Bedenken gegen eine Verankerung einer Dienstpflicht im Gesetz.
Pro Dienstpflicht
von Martin Kreklau
Wenn im Zusammenhang mit der Diskussion um die Einführung einer Dienstpflicht von "Zwangsarbeit" die Rede ist, kann man als vernünftig denkender Mensch nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Als ob die Generationen, die noch Wehr- oder Zivildienst leisten mussten, im Joch der Knechtschaft gequält worden seien und noch Jahre später unter den bleibenden Schäden zu leiden hätten. Das Gegenteil ist doch der Fall: Viele berichten, dass diese Zeit im Dienst für die Allgemeinheit zu den besten ihres Lebens gehört.
Die wenigsten jungen Menschen haben nach dem Abschluss ihrer schulischen Laufbahn schon eine genaue Vorstellung davon, wohin die Reise gehen soll. Die Erfahrungen, die man in dieser Selbstfindungsphase macht, sind prägend für das weitere Leben. Und ein soziales Dienstjahr bietet die Möglichkeit, diese Erfahrungen mit Gleichaltrigen aus unterschiedlichen sozialen Schichten zu teilen. Das sorgt für soziale Durchlässigkeit - man lernt andere Menschen kennen, andere Perspektiven und Horizonte.