Alle Wege führen nach Presseck
Autor: Klaus Klaschka
Presseck, Montag, 28. März 2016
Nach vier Jahren Kriegswirren und Flucht haben sich Dana und Majed in der Oberland-Gemeinde Presseck wieder getroffen - ein unglaublicher Zufall.
Die Überraschung war für Majed Alhammad emotional sehr bewegend, als er vor einer guten Woche das Klassenzimmer im Pressecker TSV-Heim zum Antritt seines Deutschkurses betrat. Er bekam feuchte Augen, denn plötzlich saß Dana auf der Schulbank. Sie hatten sich vor vier Jahren zuletzt in ihrer Heimatstadt Deir Ez-Zor gesehen. Der Syrer war dort Rektor einer Schule und Danas Mutter Lehrerin im Kollegium, dem Majed vorstand. Zwischen ihren Familien bestanden freundschaftliche Kontakte.
Seit 2011 war ihre Heimatstadt jedoch Ziel in einem Drei-Fronten-Krieg geworden; sie ist inzwischen fast völlig zerstört. Sowohl Dana und ihre Familie als auch Majed mit seiner Frau und fünf Kindern flohen aus der Region. Sie hielten sich zunächst in anderen syrischen Städten auf, von wo aus sie ebenfalls fliehen mussten, um zu überleben - bis sie schließlich ihr Heil in Europa erhofften. In der Türkei, der ersten Station, fanden sie keine Existenzmöglichkeit. So blieb ihnen nur der Weg mit Schleppern (Majed nennt sie nur "Mafia") übers Meer nach Griechenland und dann über die sogenannte Balkan-Route bis nach Deutschland.
Einst eine blühende Stadt
Deir Ez-Zor, das im Jahr 2010 knapp 300 000 Einwohner hatte, war eine blühende Stadt im östlichen Zentral-Syrien; am Euphrat gelegen, von fruchtbarem Boden umgeben, auf dem Getreide und Baumwolle angepflanzt wurden. Seit Erdöl in der Region gefunden wurde, war es ab Mitte der 1990er-Jahre ein Zentrum der syrischen Erdölförderung. Es gab eine starke Oppositionsbewegung (Freie Syrische Armee) gegen das herrschende Regime in Damaskus. Im Zuge des Bürgerkriegs wurde die Stadt am 1. August 2011 durch Scharfschützen und Panzerverbände des Regimes besetzt. Im März 2012 zog sich die Freie Syrische Armee nach mehreren Angriffen durch Regierungstruppen zurück. Am 22. November 2012 jedoch eroberten die Aufständischen Teile der Stadt erneut.
Von IS-Truppen brutal getötet
Gleichzeitig will - nach Meldungen des englischen Dienstes des Nachrichtensenders al-Jazeera in Qatar - die seit Anfang 2013 auch einen Großteil des Umlands kontrollierende Terrorgruppe islamistischer Rebellen - der IS oder Daesh - das Gouvernement Deir Ez-Zor an der Grenze zum Irak fortan auf der Grundlage der Scharia regieren. Mitte August 2014 berichteten Aktivisten, dass Angehörige der IS 700 Mitglieder des regionalen Stammes der Sheitat gefangen genommen und brutal getötet hätten.Nachdem zwischen September und November 2014 Regierungstruppen erneut große Teile der Stadt zurückerobert und von Deir ez-Zor aus Angriffe gegen IS-Stellungen geflogen hatten, verübten IS-Terroristen am 4. Dezember 2014 einen Selbstmordanschlag auf den Flughafen und begannen am 15. Januar 2016 eine Offensive gegen die belagerte Stadt. Ein Teil der Stadt befindet sich bereits in den Händen des IS. Ende Januar 2016 zog der IS nach russischen Meldungen 2000 Kämpfer zusammen, um die Stadt ganz einzunehmen; die russische Luftwaffe flog Angriffe auf Stellungen des IS.
Die 20-jährige Dana hatte in Syrien begonnen, Computerwissenschaften zu studieren, so lange es noch Universitäten gab. Ihr Bruder wurde im Krieg getötet, ihre Eltern leben an wechselnden Orten in Syrien. Dana hatte sich allein auf den langen Weg gemacht. Sie lächelt auf die Zwischenfrage, was es mit ihrem Kopftuch auf sich hat. "In der Regel tragen alle Mädchen ein Kopftuch, sobald sie 15 Jahre alt sind, sie müssen es aber nicht", erzählt sie. Es sei halt so üblich, wenn man eine gute Muslima sein wolle; mehr Gründe gebe es nicht. Es liege wohl an der Tradition in der Familie, aus der man komme. Ein Kopftuch sei einfach Teil ihrer Kleidung.
Dana spricht fließend Englisch, in Presseck lernt sie nun Deutsch.