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Abstandsregel bei Windrädern: Das Rätselraten um 10H


Autor: Jürgen Gärtner

Schimmendorf, Donnerstag, 16. Januar 2014

Die von Horst Seehofer ins Gespräch gebrachte neue Abstandsregel sorgt für Unsicherheit bei den Planern der Anlagen. Die Gegner freuen sich, die Energieagentur warnt vor höheren Stromkosten.
Foto: Michael Gründel


Die Einen hoffen, die Anderen bangen: Während Ministerpräsident Seehofers Entschluss, die Abstandsflächen zu Windrädern drastisch zu erhöhen, von den Gegnern der Anlagen mit Freude aufgenommen wird, schütteln die Befürworter nur verständnislos den Kopf. Was passiert mit bereits geplanten Anlagen? Werden die noch genehmigt? Gilt ein Vertrauensschutz? Es herrscht Unsicherheit.

25 Anlagen geplant

Derzeit liegen im Landratsamt Anträge für insgesamt 25 Windkraftanlagen auf sieben Vorrangflächen zur Genehmigung vor, erklärt Umweltingenieur Hans-Dieter Vießmann. Die würden nun geprüft und nach geltendem Recht abgearbeitet. "Wir lassen die Anträge nicht ruhen." Das Genehmigungsverfahren dauere etwa ein halbes Jahr.

Rund 30 Stellen werden an dem Verfahren beteiligt und geben ihre Stellungnahmen ab.

Dabei geht es auch um die Abstandsflächen zur Bebauung. Ministerpräsident Horst Seehofer strebt die sogenannte 10H-Regelung an. Das bedeutet: Der Abstand eines Windrads zur Wohnbebauung muss das Zehnfache der Höhe des Windrads betragen. Bei einem Windrad mit 200 Metern Höhe sind das also zwei Kilometer.

Die Frage, ob diese Regelung noch in den Regionalplan eingearbeitet wird, ist für Vießmann der Knackpunkt. Denn der Regionalplan ist die Grundlage für die Genehmigung der Anlagen. "Wenn die 10H-Regelung kommt, wären alle Windkraft-Flächen im Landkreis weg." Derzeit seien vier Anlagen bei Kasendorf genehmigt.

Viele fragen sich, was mit den Anlagen ist, die zwar noch nicht genehmigt sind, dem Landratsamt aber schon zur Prüfung vorliegen. Diese Frage treibt auch Siegfried Münch um, den Sprecher der Interessengemeinschaft in Schimmendorf, die Flächen für sieben Windkraftanlagen auf der Kirchleuser Platte verpachtet hat. "Hier geht es um viel Geld, denn die Firmen haben ja in gutem Glauben geplant, als es noch keine 10H-Regelung gab."
Wegen dieser unklaren politischen Situation wurde auch eine für den Dezember angedachte Info-Veranstaltung in Schimmendorf aufgeschoben, bis Klarheit herrscht.

Die Planungssicherheit ist jedoch gegeben, stellt der Abteilungsdirektor für Wirtschaft und Landesentwicklung an der Regierung von Oberfranken, Thomas Engel, fest. Zwar gebe es eine Bitte aus München, eine anstehende Rechtsänderung bei den Anträgen zu berücksichtigen, dabei jedoch die Aspekte des Vertrauensschutzes nicht aus den Augen zu verlieren. "Es gibt keine Weisung, dass nichts mehr genehmigt werden soll."

In der Praxis bedeute das für die Landratsämter, die angestrebte gesetzliche Abstandsregelung in die Überlegungen einzubeziehen, sprich gegebenenfalls mit dem Antragsteller über den Standort zu sprechen. Ziel: einen Konsens erzielen. "Wenn das nicht geht, dann ist geltendes Recht anzuwenden", stellt Engel klipp und klar fest.

"Fast zynisch"

Enttäuschung wegen der 10H-Regel herrscht bei der Energieagentur Oberfranken. Der Pressesprecher der unabhängigen Beratungseinrichtung in Energiefragen mit Sitz in Kulmbach, Markus Ruckdeschel, erklärt: "Diese Entscheidung wird den Ausbau der Windkraft in Bayern von einem Tag auf den anderen beenden. Alles andere ist Augenwischerei. Wenn jetzt gesagt wird, man wolle den Ausbau, aber mit größeren Abständen, dann ist das fast zynisch. Es bleiben fast keine Flächen mehr übrig, weder bei uns noch anderswo."

Die Mär, dass sich Windräder in Bayern nicht wirtschaftlich betreiben lassen, ist nach den Worten Ruckdeschels Unfug. Keine andere Form der erneuerbaren Energie könne so günstig Strom erzeugen wie Windkraft an Land, das gelte auch für den Freistaat. "Eine Wende ohne Windkraft wird also sicher eines: teurer!" Die Staatsregierung habe Angst bekommen vor ihrer eigenen Courage, ist Ruckdeschel überzeugt.

"Das Energiekonzept von 2011 enthielt viele gute Ansätze. Wir waren hoffnungsvoll, weil gerade wir im ländlichen Raum wirtschaftlich von dieser Wende hätten profitieren können. Dass nun die Uhren wieder zurückgedreht werden sollen, stimmt nachdenklich. Der nächste konsequente Schritt wäre dann eigentlich eine Verlängerung der Laufzeit für Grafenrheinfeld."

Vor überzogener Panikmache zu den Überlegungen der Staatsregierung warnt die Bayreuther CSU-Landtagsabgeordnete Gudrun Brendel-Fischer. Schließlich müsse die gesamte Energiewende ganzheitlich bewältigt werden. Sie verstehe die Aufregung nicht, schließlich sei in den Beschlüssen des Kabinetts von keiner pauschalen Abstandsregel die Rede.

Zwischenbilanz ziehen


"Ich halte es für absolut sinnvoll, nach dem zügigen bayernweiten Zubau (650 fertige, 460 im Genehmigungsverfahren), der ja über den Erwartungen liegt, innezuhalten, um eine Zwischenbilanz zum Stromaufkommen, zum weiteren Bedarf und zu den Kosten zu ziehen", so die stellvertretende CSU-Fraktionsvorsitzende.
Zu beachten sei auch, dass laut Koalitionsvertrag bei neuen Windkraftanlagen der Referenzertrag mehr Gewichtung erhält. "Die damit einhergehende Effizienzsteigerung kann zur Folge haben, dass wir mit weniger Windrädern auskommen und keine 1500 brauchen."

Einer, den der Vorschlag des Ministerpräsidenten dagegen richtig gefreut hat, ist Hans Limmer aus Kirchleus. Er ist Sprecher der IG Siedlung Kirchleus, die durch den Bau der Anlagen auf der Kirchleuser Platte um das Landschaftsbild fürchtet. Als er von der 10H-Regelung Seehofers gehört habe, habe er gedacht: "Endlich ein vernünftiger Mensch in der Republik." Allerdings ist er davon überzeugt, dass die Sache damit noch nicht erledigt ist. "Wenn Seehofer in Ruhestand geht, kann sich das sofort wieder ändern. Für mich ist das nur eine Entscheidung auf Zeit." Dass durch das Schimmendorfer Windkraftprojekt der Dorffrieden in Kirchleus gestört wurde, bedauert er. "So wie früher wird`s nie mehr. Das ist schade."