80er-Serie: Als die Zukunft eine strahlende war
Autor: Jochen Nützel
Kulmbach, Sonntag, 22. Sept. 2019
"Atomkraft? Nein danke": Unter diesem Banner hat auch Jürgen Öhrlein Kundgebungen organisiert .
Wackersdorf - ein Wort wie Donnerhall in den Ohren jener, die sich in den 1980er Jahren auflehnten gegen den Staat und die Atomkraft. Die Wiederaufbereitungsanlage (WAA) inmitten eines Kiefernwaldes nahe dem oberpfälzischen Schwandorf war für die Gegner Sinnbild einer verfehlten Energiepolitik, zu Tausenden gingen die Menschen auf die Straßen. Dazu zählte auch Jürgen Öhrlein, seit langem engagierter Verfechter einer AKW-freien Republik. Im Interview erinnert sich der Architekt und Baugutachter an die Jahre im Widerstand. Herr Öhrlein, die Anti-Atomkraft-Sonne strahlt seit den 1970er Jahren über der Bewegung gegen die Kernkraft. Was hat bei Ihnen dazu geführt, sich gegen die "saubere Form" der Energiegewinnung zu stellen?
Jürgen Öhrlein: Die Gefährlichkeit der Atomenergie war für mich aufgrund meiner technischen Ausrichtung frühzeitig erkennbar. Nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl wurde die Bevölkerung massiv belogen, die Gefahr für die Menschen wurde bagatellisiert und es zeigte sich deutlich, dass es seitens der Politik keine Vorsorge gibt. Dieses Vorgehen konnte man nicht ignorieren. Ein Besuch in Wackersdorf und die dortigen Gespräche mit den Einheimischen über die Gewalt der Staatsmacht waren für mich weitere Schlüsselerlebnisse. Das brutale Vorgehen der Polizei in Wackersdorf war mit meinen demokratischen Werten nicht zu vereinbaren. Der Glaube an den Segen der Atomenergie, der uns von den Stromerzeugern versprochen wurde, war für mich nach Wackersdorf endgültig zerstört.
Sie haben auch vor Ort in Kulmbach Demonstrationen organisiert. Wie war die Beteiligung, wie groß der Widerspruch oder gar die persönliche Anfeindung?
Blieb dieser Protest auf Kulmbach/die Region beschränkt oder reichte er weiter (Beteiligung in Wackersdorf, etc?)
Wir haben uns mit einer starken Gruppe in Schweinfurt an einer Großdemo gegen das AKW Grafenrheinfeld beteiligt; auch in Berlin waren wir bei einer Großkundgebung im Regierungsviertel gewaltig vertreten. Solche Aktionen mit Zehntausenden gleichgesinnter Menschen waren eindrucksvoll; unser Banner war stets ein Highlight. Wir waren beim Atomausstieg immer "Überzeugungstäter" und haben dies auch bei jeder Gelegenheit gezeigt.
In nicht wenigen Ländern genießt die Kernenergie nach wie vor einen guten Ruf (Frankreich) oder erlebt eine Renaissance (Japan). Sie wird auch hierzulande in Zeiten von CO2-Reduktionen angesichts des Klimawandels als das "geringere Übel" angesehen. Stimmen Sie dem zu?