80 Jahre altes Kulmbacher Poesiealbum: Zeitreise in Versen und Bildern
Autor: Dagmar Besand
Kulmbach, Montag, 06. Mai 2019
Mehr als 80 Jahre alt ist Marianne Müllers Poesiealbum. Es steckt voller liebevoller Erinnerungen, die noch heute das Herz der Besitzerin berühren.
Es wurde acht Jahrzehnte lang gehütet wie eine Kostbarkeit - ein kleines Büchlein, die Blätter an den Rändern ein wenig vergilbt, aber ansonsten makellos. Sein Wert: rein ideell und doch hoch. Es ist Marianne Müllers Poesiealbum aus den 1930er Jahren, ein Schatzkästchen der Erinnerungen an liebe Menschen. Familie, Schulfreunde, Lehrer, Nachbarn: Wer der jungen Marianne nahestand, durfte sich mit ein paar Zeilen, Zeichnungen und nostalgisch anmutenden Klebebildchen darin verewigen.
Liebevoll und individuell
Marianne Müller, geborene Hereth, ist eine waschechte Kulmbacherin aus der Pörbitsch. Noch bis vor einem Jahr hat die heute 92-Jährige in ihrem Elternhaus gelebt, nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 2001 allein. Heute ist sie im Heiner-Stenglein-Senioren- und Pflegeheim der Arbeiterwohlfahrt Am Rasen zu Hause.
Und noch immer besitzt sie das Freundschaftsbuch aus ihren Kindertagen. Wenn sie darin blättert, ist das für sie wie eine Zeitreise in die Vergangenheit.
Poesiealben sind heute wieder in Mode, doch Marianne Müllers Exemplar ist etwas Besonderes. 08/15-Verse, Witze oder abgedroschene Floskeln liest man hier nicht, sondern liebevoll ausgewählte Sinnsprüche sowie sorgsam formulierte individuelle Zeilen, ergänzt von Tuschezeichnungen.
Anrührend wirkt heute, was damals mit Herz und Verstand getextet wurde. Der erste Eintrag vom 13. Januar 1935 stammt von der Mama: "Ein Kinderaug', ein Maientag, das sind zwei Himmelsgaben, an denen unser Herz sich mag in Ewigkeit erlaben."
Gottvertrauen möchte der Vater seiner kleinen Marianne mit auf den Lebensweg geben: "Zu allen Zeiten möge Gott dich leiten, an jedem Orte mit seinem Worte, auf jedem Pfade mit seiner Gnade, auf allen Wegen mit seinem Segen."
Sie habe eine schöne Kindheit gehabt und ein gutes Leben, sagt die 92-Jährige und blickt dankbar zurück. Ihr Vater sei ein ruhiger, geduldiger Mensch gewesen. Nur einmal sei ihm "die Hand ausgerutscht", erzählt sie mit einem Schmunzeln: "Es war Jahrmarkt, und ich habe dort mit einer Freundin herumgestöbert. Meine Begleiterin hat dann jemanden getroffen und ist heimgegangen. Ich nicht. Ich hab mir schön Zeit gelassen, bin noch herumgegondelt und erst spät nach Hause gekommen. Das gab Ärger!" Die Eltern hätten sich große Sorgen gemacht. "Eigentlich war ich meistens ein folgsames Kind."