Zwei Jahrzehnte neue Rechtschreibung

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Lehrerin Mirjam Fuchs erklärt der Ganztagsklasse 7b an der Gottfried-Neukam-Mittelschule die s-Laut-Regeln. Foto: Gottfried-Neukam-Schule
Lehrerin Mirjam Fuchs erklärt der Ganztagsklasse 7b an der Gottfried-Neukam-Mittelschule die s-Laut-Regeln.  Foto: Gottfried-Neukam-Schule

Vor 20 Jahren wurde die Wiener Absichtserklärung zur "Neuregelung der deutschen Rechtschreibung" unterzeichnet. Befürworter und Gegner ziehen Bilanz.

Wenn sich Minister zu Vertragsunterzeichnungen treffen, ist das in der Regel nur ein letzter formaler Akt. Gesetze, die vorher Bestandteil einer öffentlichen Debatte waren, werden schriftlich fixiert.

Anders in Wien vor 20 Jahren, als die Vertreter Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, Liechtensteins, Belgiens, Rumäniens, Ungarns und der italienischen Provinz Bozen/Südtitrol ihre Unterschriften unter die Absichtserklärung zur "Neuregelung der deutschen Rechtschreibung" setzten.


Intensive Debatte

Der 1. Juli 1996 war nicht Endpunkt, sondern vielmehr Auslöser einer Debatte, die den gesamten deutschsprachigen Raum in Befürworter und Gegner der umfangreichsten Rechtschreibreform der jüngeren Geschichte teilte.

Da ist zum Beispiel Armin Grötzner. Der ursprünglich aus Niederbayern stammende Deutsch-, Latein- und Archäolgielehrer, der in Kronach zunächst zwölf Jahre am Kaspar-Zeuß- und anschließend 24 Jahre am Frankenwaldgymnasium unterrichtete, fühlte sich vor 20 Jahren ziemlich überrumpelt. "Wir Fachbetreuer waren in den Konferenzen ja gar nicht dabei", erinnert er sich an die Zeit, als vieles nicht mehr galt, was er vorher Generationen von jungen Leuten beigebracht hatte.

Seit 1996/97 kamen die neuen Regeln an den Schulen zur Anwendung, Gesetz wurden sie ab 1998. Die Folge: In der ersten Phase wusste man - so Grötzner - nicht mehr, was richtig war. Die Lehrbücher wurden nach und nach ersetzt, viele mit alter Schreibweise noch einige Jahre verwendet. Und auch in den Köpfen vieler Lehrkräfte haben sich die neuen Regeln nicht festgesetzt. "Wir wollten die sogenannten Fehler nicht anstreichen", sagt Armin Grötzner, der bis heute so schreibt, wie es ihm Gefühl und Gehör vorgeben.

"Bei Schifffahrt höre ich keine drei F", sagt Grötzner, dem es auch nicht ums "Recht haben" geht, wenn er für "recht haben" plädiert. "Adverbien sollte man niemals groß schreiben, Substantive jedoch konsequent", sagt der pensionierte Lehrer aus Gehülz. Und auch die wohl bekannteste Regel - "ss" statt "ß" - ist für ihn nicht nachvollziehbar. Das Problem der Schüler, zwischen Konjunktion und Personalpronomen mit einem "s" zu unterscheiden, bestehe schließlich immer noch.

"Die Sprache hätte sich auch ohne Reform selbst entwickelt", kritisiert Grötzner. Ein Dorn im Auge sind dem studierten Germanisten vor allem die vielen Fälle, in denen nun Doppelschreibungen möglich sind. Zwei Beispiele aus unserem Diktat-Test (siehe unten): Die Wörter "Zuhause/zu Hause" oder "Tunfische/Thunfische". "Sprache muss reglementiert sein", sagt Grötzner, der nicht glaubt, dass nach der Reform weniger Fehler gemacht würden. "Die Sprache ist nicht einfacher geworden."


Rektorin verteidigt Reform

Eine Meinung, der Anita Dauer widerspricht. Die Rektorin der Kronacher Gottfried-Neukam-Mittelschule findet, dass die Rechtschreibreform vieles logischer gemacht habe. "Für Schüler, die von Anfang an die neuen Regeln gelernt haben, ist es eine große Erleichterung", sagt Dauer, die den Beginn der Reform vor 20 Jahren als Konrektorin ebenfalls schon in verantwortlicher Position miterlebt hat.

Schwierig fand sie lediglich die ersten Monate, "als sich die neuen und alten Regeln gegenüberstanden". Je mehr dann die Schulbücher ausgetauscht wurden, desto besser sei auch das Verständnis gewesen. "Die Verlage haben damals gute Angebote gemacht", erinnert sie sich. Und auch die Diskussionen hätten sich ihrer Meinung nach "relativ schnell beruhigt".

Vor der Umstellung hätten sich Anita Dauer und ihre Kolleginnen und Kollegen beispielsweise schwer damit getan, den Schülern zu erklären, warum "Kuß" und "Buße" gleichermaßen mit "ß" geschrieben wurden. Da sei die jetzige Regel, die sich nach kurzem oder langem Vokal richtet, wesentlich eindeutiger.

Ihrer Meinung nach habe die Umstellung vor allem Ältere, die die Schule bereits verlassen hatten, vor Probleme gestellt. "Für uns Lehrer, die sich nach den Interessen der jungen Generation richten, war es aber in Ordnung, wie es abgelaufen ist."


Schreiben nach eigenen Regeln

Ganz anders hat das Ingo Cesaro wahrgenommen. Der Kronacher Schriftsteller erinnert sich an die große Aufregung, die damals in Fachkreisen herrschte. "Im Schriftstellerverband gab es viel Frust."

Der riesige Organisationsaufwand, den die Reform mit sich brachte, wäre seiner Meinung nach nicht notwendig gewesen. "Sprache verändert sich von ganz alleine, das war schon immer so", sagt Cesaro.

Er selbst lasse sich von der Rechtschreibreform ohnehin nicht beeinflussen. Bei seinen Gedichten, die er oft in der japanischen Haiku-Form, der kürzesten Gedichtform der Welt, schreibt, leite ihn eher der Drang nach einem schönen Reim als die Rechtschreibung. Und zusätzlich hat der Künstler noch sein ganz eigenes Markenzeichen. "Ich schreibe eigentlich fast alles klein, oft sogar in Mails und Briefen."