Zwei Generationen, eine Partei: Von Marx und Martin Schulz
Autor: Anna-Lena Deuerling
Kronach, Donnerstag, 11. Juli 2019
Reinhard Autolny (76) und Julian Wachter (26) sprechen über Fehler, Erfolge und die Zukunft der SPD. Dabei bleibt nur einer der beiden durchweg optimistisch.
Die Marx-Büste fürs Bücherregal ruht ein Stockwerk höher, verrät Reinhard Autolny. Es waren auch andere große Namen, die ihn vor gut 50 Jahren zum roten Parteibüchlein greifen ließen. Willy Brandt gehörte zweifelsohne dazu. Doch vor allem sei es doch das große Ganze, das Ordnungsbild und die Geschichte der SPD gewesen, die ihn überzeugt hätten. "Die SPD war immer Begleiter der Schwächeren", sagt er. Doch kann die Partei das heute noch bieten? Daran hat der 78-Jährige zwar seine Zweifel, sagt aber recht abgebrüht dazu: "Ich bin noch nicht ausgetreten." Zu viel Herzblut sei in den vergangenen Jahrzehnten in die Partei geflossen.
"Ein kerniger Typ"
Julian Wachter ist noch keine zehn Jahre Mitglied, mit 18 ist er eingetreten. "Ich war da auch familiär vorgeimpft", sagt der 26-Jährige aus Nordhalben. Ganz unabhängig davon sei die SPD inhaltlich klar die Partei seiner Wahl. "Hier steht nicht das Interesse eines Einzelnen im Mittelpunkt, die Partei trägt eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung." Was Brandt für Autolny war, könnte vielleicht Martin Schulz für ihn sein, überlegt er. Ja, Schulz, der hätte ihn begeistert. "Der war offensiv, ein kerniger Typ", sagt Wachter. "Von ihm hat man kaum verallgemeinerte Antworten bekommen."
Er spricht in der Vergangenheit, denn der sogenannte Schulz-Zug ist ja bekanntlich abgefahren, wenn nicht gar entgleist. "Es fehlt mir momentan an klaren Ansagen. Die Partei zensiert sich selbst." Kaum wird eine Aussage getroffen, rudere man schon wieder zurück. "Wir müssen wieder Standpunkte vertreten!"
Wie das geschehen soll, weiß Autolny: "Politik muss wieder so sein, dass auch die kleinen Leute sie verstehen." Als ehemaliger Gewerkschaftler brennt er natürlich für gerechte Arbeitspolitik. Missstände, durch deren Beseitigung sich seine Partei in Zukunft wieder einen Namen machen könnte, fallen ihm reichlich ein. Ein Beispiel - für ihn Unwort und untragbarer Umstand zugleich - ist die Beitragsbemessungsgrenze. Die Anhebung dieser hätte zur Folge gehabt, dass ein Besserverdiener prozentual weniger Pflegebeitrag leisten muss. Wer werde benachteiligt? Der kleine Mann. Ebenso kritisch seien zahllose Bemühungen, das immer größer werdende Wohnungsproblem zu lösen. Baukindergeld? "Da profitiert am Ende doch nur die Bauindustrie!"
Fehlendes Augenmaß
Auch Wachter fehlt hier das richtige Augenmaß. "Wer kann sich denn heute selbst mit durchschnittlich gutem Einkommen noch leisten, ein Haus zu bauen?", fragt er. Die SPD dürfe in diesem Zusammenhang nicht davor zurückschrecken, über Umverteilung zu sprechen, sagt Autolny. Ganz im Sinne von Kevin Kühnert? Der Kevin - wie er den Juso-Vorsitzenden nennt - sei ein Segen für die Partei. Er könnte als Antreiber für hitzige Diskussion sein, den Funktionären Kontra geben, sie anstacheln. Und so dafür sorgen, dass letztlich die inhaltliche Auseinandersetzung nicht nur am Kronacher Küchentisch, sondern auch auf großer Ebene stattfindet.
Dort ist man momentan noch damit beschäftigt, die jüngste Wahlschlappe aufzuarbeiten. Und sich auf bundespolitischer Ebene neu zu finden. Während manche nach Erneuerung in der Opposition rufen, klammern sich andere an die Macht in der Regierungsverantwortung.
Ideologische Gefechte
Doch das Grundproblem der SPD sitze weit tiefer und habe nicht erst mit der jüngsten Episode der GroKo begonnen, sagt Autolny. Während die SPD in den letzten 15 Jahren ideologische Gefechte ausgetragen habe, hat sich die soziale Markwirtschaft dem wachsenden Fortschritt gebeugt. "Das hat die SPD versäumt."