Wirtshaus war das Herz des Stockheimer Dorflebens
Autor: Gerd Fleischmann
Stockheim, Donnerstag, 24. November 2016
Der Gasthof zur Eisenbahn war Keimzelle des Unteren Dorfes von Stockheim. Der bedeutende Treffpunkt ist jetzt das Stockheimer Betreuungszentrum.
Die Entstehungsgeschichte des einstigen Gasthofs Zur Eisenbahn in unmittelbarer Nähe des Stockheimer Bahnhofs reicht bis 1862 zurück. Damals herrschte hektische bauliche Betriebsamkeit im Haßlachtal. Der Grund: Der Bau der Eisenbahn von Gundelsdorf nach Stockheim wurde mit aller Kraft vorangetrieben.
Das Eisenbahnfieber hatte schon längst den Frankenwald erfasst. Seit Jahren warteten Bergwerksbesitzer Henry Freiherr von Swaine und sein Sohn Richard sehnlichst auf diese Transportmöglichkeit. Ebenso waren an diesem "rollenden Fortschritt" die Schieferbrücher in Lehesten stark interessiert.
Das finanzielle Wagnis erwies sich für die Eisenbahnpioniere als wirtschaftlicher Volltreffer, denn beim Frachtaufkommen rangierte die Bergwerksgemeinde bereits 1877 bayernweit mit 1,4 Millionen Zentnern Frachtaufkommen an 15. Stelle. Der Bau der Hauptstraße von Neukenroth nach Haßlach bei Kronach von 1868 bis 1870 erhöhte zusätzlich die Attraktion des Wirtschaftsstandorts Stockheim.
Mit dem Bau einer modernen Champagnerflaschen-Fabrik 1886 in Bahnhofsnähe durch die Unternehmer Sigwart, Möhrle und Böhringer aus Buhlbach im Schwarzwald begann eine rasante bauliche Entwicklung. Nach 1880 wurde das Bahngelände beträchtlich erweitert, der Bau der Drahtseilbahnen nach Neuhaus in Thüringen sowie zur Maxschachtgrube taten ein Übriges. In jener Zeit waren zwischen 600 und 700 Berg- und Hüttenleute in Stockheim beschäftigt. Innerhalb von 23 Jahren schnellte die Einwohnerzahl von 500 auf 1000.
Der Aufschwung ging nach 1901 mit dem Bau der bedeutsamen Nebenstrecke nach Neuhaus-Sonneberg-Coburg weiter. Damit wurde die Station Stockheim ganz entscheidend aufgewertet und schließlich auch der Gasthof Zur Eisenbahn. Immerhin standen damals elf Gleise für einen problemlosen Bahnbetrieb zur Verfügung. Nach der Realisierung der Doppelgleisigkeit 1905 in Richtung Ludwigsstadt-Berlin waren schließlich auch zwei Stellwerke erforderlich.
Vor diesem rasanten wirtschaftlichen Aufschwung muss die Entwicklung des Gasthofs gesehen werden, der im Zug der industriellen Expansion kontinuierlich an Bedeutung zunahm. Innerhalb weniger Jahre entstand ein kultureller, geselliger und kommunikativer Treffpunkt für Jung und Alt.
Zunächst stand nur eine Bierhütte, errichtet nach 1861 vom Kronacher Zimmermeister Crispin Jaser. In einer Bekanntmachung heißt es 1868, dass der Gastronom Gustav Jakobi aus Coburg das inzwischen unweit des Stockheimer Eisenbahnhofs errichtete Wohnhaus nachsucht. Der Stockheimer Gastwirt Johann Schwalb protestierte gegen das Gesuch Jakobis. Allerdings befürwortete der Königliche Post- und Bahn-Expeditor Theodor Jödike einen gastronomischen Betrieb, denn ein solcher werde immer öfters von den Bahnkunden verlangt.
Trotz aller bürokratischen Hürden wurde Jakobi die Konzession erteilt. Und der Coburger ging mit Feuereifer ans Werk. Er veranstaltete Bälle "mit gut besetzter Tanz-Musik sowie gutem Bier, Bratwürsten und sonstigen warmen und kalten Speisen und Getränken".
Drei Jahre später erwarb Braumeister Georg Herzog die Gastwirtschaft mit Metzgerei, Kegelbahn, Gartenwirtschaft und Stallungen, blieb aber nur zwei Jahre. Anfang 1879 erwarb Hermann Zangerle aus Coburg das Anwesen. Wenige Monate später wurde es versteigert und und kam 1881 in die Hände des Gastwirts und Metzgermeisters Gorg Zwingmann aus Neuses.
Nach ebenfalls nur einem Jahr folgt Johann Lang aus Redwitz als Wirt - seine Frau Karoline, geborene Hofmann, stammt aus Oberlangenstadt. Endlich ging es mit dem Betrieb mächtig aufwärts: Bahn, die Schieferleute und die Glasbläser sorgten für Betriebsamkeit und gute Geschäfte.
Schließlich bot der Saal im zweistöckigen Nebengebäude viel Platz für gesellschaftliche Aktivitäten. Gern benutzten die Stockheimer Kegelbahn und Sängerpavillon. Vor allem fand der 1895 gegründete Gesangverein Sängerlust im Nebengebäude ein Domizil.
Nach dem Tod Johann Langs übernahm sein Sohn Karl, ebenfalls Metzgermeister, den Gasthof bis1938. Danach zeichnete seine Tochter Erna für den Betrieb verantwortlich.
1956 kauft die Frankenbräu Lorenz Bauer in Neundorf bei Mitwitz das Anwesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte der Gasthof einen beträchtlichen Aufschwung. Gastwirt und Metzgermeister Fritz Berndt aus dem Riesengebirge sorgte von 1949 bis 1965 für großen Aufschwung. Die Bergmannskapelle, der FC Stockheim, die Soldatenkameradschaft, der Gesangverein, die SPD, der Gartenbauverein sowie Stammtische waren im Gasthof präsent.
Dann folgten zahlreiche Wirtewechsel und Umbauten. Mit dem Kauf des Anwesens in der Kronacher Straße 31a durch Elisabeth Baierlein aus Haßlach bei Kronach brach 2015 endgültig eine neue Ära an.
Mit ihrem Mann Bernd hat sie ein Betreuungszentrum konzipiert. In der Tagespflege finden pflegebedürftige Menschen (Demenzkranke) einen Ort zum Wohlfühlen. Am 5. Juni 2016 wurde diese Einrichtung der Öffentlichkeit vorgestellt.