Auch Carmen Schmidt wird dies als Betriebsratsvorsitzende nicht aussprechen. Dennoch wirkt sie mitgenommen, als sie klagt: "In diesem Insolvenzverfahren wurde nicht fair mit den Mitarbeitern umgegangen." Sie verurteilt scharf, dass die Entscheidungsträger die Belegschaft aus den Augen verloren hätten: "Wir werden hier wie Schachfiguren hin und her geschoben." Auch deshalb sei man hier, um dem Richter und den Gläubigern zu zeigen, wen diese Entscheidungen betreffen. Nämlich die rund 450 Mitarbeiter. Ohne die bleibe nichts als eine leere Hülle. Und die sei nichts wert. "Wir sind am Ende die Leidtragenden, wir fordern ein faires und offenes Verfahren."
Um diese Forderung auch akustisch zu untermauern, hat sich Betriebsseelsorger Eckhard Schneider bereits am Morgen mit seiner Mahnglocke auf den Weg gemacht. "Wir zeigen unser Gesicht - auch wenn die Situation zum Davonlaufen ist." Er betont während der Kundgebung, dass er keineswegs die Totenglocke läuten will - sondern vielmehr das Symbol zur Mahnung anschlagen.
Eine traurige Stunde
Ermahnt werden sollen Politiker, Wirtschaftsbosse, aber auch die Verhandlungsführer, "immer auch auf die Kleinen zu schauen". Was eine Aktion wie diese bringe, wisse er selbst nicht. Aber man spüre die Nähe. Denn was den "kleinen Leuten" bleibe, sei das solidarische Beisammensein.
Um "die Solidarität aller Gewerkschaften" zu überbringen, ist auch Mathias Eckardt, DGB-Regionsgeschäftsführer vor Ort. "Die Betroffenheit der Menschen kann nicht einfach mit einem Federwisch der Chefetage beseitigt werden", sagt er. Die Zweite Bürgermeisterin Angela Hoffmann sprach bei der Kundgebung für die kommunale Familie Kronachs. Doch vor allem als langjährige Loewe-Mitarbeiterin. Auch wenn es eine traurige Stunde sei und das Fortbestehen des Unternehmens auf der Kippe stehe, zeigte sie sich hoffnungsvoll, dass es mit einem Investor aus der Branche eine Zukunft in Kronach gebe.
Seite an Seite mit den Mitarbeitern steht natürlich auch Jürgen Apfel. "Was hier passiert, ist zutiefst ungerecht - deshalb dieser Protest", sagt er vor Ort. Vor allem das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung hatte Apfel am Tag zuvor schon scharf kritisiert (wir berichteten).
Nach der Mitteilung, dass die Regelinsolvenz zum 1. Juli eröffnet wird, sagt er: "Wir bleiben bei unserer Kritik. Das hätte anders laufen können, wenn man früher auf unsere Einwände gehört hätte." Er ist überzeugt: Mit einem Regelverfahren von Anfang an hätte man ganz andere Optionen gehabt. "Der Schritt heute kam aus unserer Sicht viel zu spät."
Aus Sicht der Beschäftigten sei die Situation natürlich bitter. Diese würden widerruflich freigestellt und beziehen ab dem 1. Juli Arbeitslosengeld. Auch wenn bei der Demonstration Frust und Enttäuschung vorherrschten, seien die Mitarbeiter aufrecht und mit einem Rest Hoffnung in die Betriebsversammlung gegangen. Mit den Erklärungen der Verantwortlichen sei aber Ernüchterung eingezogen. "Als dann alles vorbei war, hatten viele Tränen in den Augen und lagen sich in den Armen", schildert Apfel die bedrückende Stimmung.
Die Uhr tickt: Loewe-Verantwortliche glauben weiter an erfolgeiche Investorensuche
Um 12.33 Uhr blinkte die Mail von Loewe im Redaktionspostfach auf. Etwa zwei Stunden nach dem Ende der Demonstration stellte das Unternehmen Klarheit her, was in den kommenden Monaten mit dem TV-Gerätehersteller und seinen Angestellten passieren wird: Das Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung soll zurückgenommen und in ein Regelinsolvenzverfahren gewechselt werden.
Später am Nachmittag erläuterten Sachwalter Rüdiger Weiß und Ralf Vogt, Vorsitzender der Loewe-Geschäftsführung, was das für den TV-Gerätehersteller und die 450 Angestellten konkret bedeutet. "Der Fortgang der Produktion wird höchstens im homöopathischen Bereich stattfinden", räumte Weiß ein. Das Ziel: Die Kosten werden auf das Nötigste heruntergefahren. Allerdings soll die Marke am Markt wahrnehmbar bleiben, denn die Hoffnungen auf einen Investor haben die Verantwortlichen noch längst nicht aufgegeben. "Wir kämpfen weiter und sind guter Dinge", betonte Weiß. Ein Interesse an Loewe sei unverändert zu spüren.
Dennoch stehen die Mitarbeiter zunächst vor einer ungewissen Zukunft. 90 bis 95 Prozent von ihnen werden freigestellt, wie Weiß bestätigt. Das bedeutet, dass sie weiter bei Loewe unter Vertrag stehen, allerdings eine so genannte Gleichwohlgewährung von Arbeitslosengeld statt des Gehaltes erhalten. Mit der Verfahrenseröffnung steht laut Weiß auch die Aufnahme von Verhandlungen mit dem Betriebsrat über einen Sozialplan an. Danach werden Kündigungen folgen. In der Phase, bis diese greifen - vermutlich bis Oktober -, hoffen die Verantwortlichen, doch noch einen Investor präsentieren zu können, der zumindest einen Teil der Arbeitsplätze in Kronach erhält.
Im Ermessen eines Investors
Wie groß ein solcher Anteil ausfallen könnte, ist nach Ansicht des Sachwalters zur jetzigen Zeit blanke Spekulation. "Das Konzept, das wir mal entworfen haben, hat 220 Arbeitsplätze vorgesehen, das war die realistische Ausgangsgröße", geht Weiß auf ein Grundlagenpapier ein, das die Geschäftsführung vor einigen Monaten vorgelegt hatte. Ob sich ein Investor daran orientiert, liegt allerdings in dessen Ermessen. Somit könnten am Ende auch deutlich weniger Jobs erhalten bleiben.
Dass es überhaupt soweit kommen kann, erfordert allerdings erst einmal das besagte Einsteigen eines Investors. Doch Vogt versprüht in dieser Hinsicht ungebrochen Zuversicht: "Wir sitzen hier alle mit hochgekrämpelten Ärmeln und werden den Investorenprozess auch entsprechend angehen." Und was die kürzliche Meldung über einen konkreten Interessenten angeht, ergänzt er: "Gehen Sie mal davon aus, dass das Interesse weiter da ist."
Zentrale Rolle
Aus diesem Grund distanziert er sich weiterhin von Spekulationen, möglicherweise den Verkauf der Markenlizenz zu wählen und dafür die Produktion schleifen zu lassen. "Natürlich müssen wir schauen, dass wir im TV-Geschäft bleiben und es auf vernünftige Beine stellen. Wir werden das bestimmt nicht aufgeben. Und da spielt der Standort Kronach weiter eine zentrale Rolle." Darüber hinaus wolle man aber noch andere Bereiche angehen und eine Vermarktung in Ländern erreichen, in denen Loewe noch nicht präsent ist. Für Letzteres brauche es starke Partner, welche dort auch die Markenwerte weitertragen.
Vor diesem Hintergrund sieht der Vorsitzende der Geschäftsführung das Verhalten der Gewerkschaft durchaus kritisch. "Wir sind ein absolut anfassbares Management", betont er. Die Verantwortlichen hätten für Anfragen der Angestellten stets ein offenes Ohr. Weiß vermutet in der Demonstration eine gewisse Instrumentalisierung der Situation von Seiten der Gewerkschaft. Diese sei schließlich regelmäßig in die Schritte bei Loewe eingebunden worden. Doch den "Schicksalsschlag für Kronach" nutze die Gewerkschaft nun zum Flaggezeigen.