Wenn Kinder ihre Unschuld verlieren
Autor: Sandra Hackenberg
Kronach, Freitag, 17. Januar 2020
Fälle, bei denen Unter-14-Jährige schwere Gewaltverbrechen begehen, erschüttern die Gesellschaft. Die CSU-Landesgruppe hat nun gefordert, das Alter für die Strafmündigkeit herabzusetzen. Experten erklären, ob eine Gesetzesänderung Sinn macht.
Fünf Jungen locken eine 18-Jährige in ein entlegenes Waldstück nahe eines Spielplatzes. Dort fallen sie über ihr Opfer her, vergewaltigen es. Gegen die Brutalität der fünf Freunde hat die junge Frau keine Chance.
Kinder kommen unschuldig zur Welt und sind von Natur aus gut. Umso mehr verstört es die Gesellschaft, wenn Ereignisse wie das im Juli vergangenen Jahres in Mülheim an der Ruhr auf die erschütterndste Art und Weise diese allgemeine Annahme ins Wanken bringen. Zwei der mutmaßlichen Täter waren gerade einmal zwölf Jahre alt, als sie die Tat begangen haben sollen.
Während sich ihre drei Freunde - sie waren zum Tatzeitpunkt 14 Jahre alt - derzeit vor Gericht verantworten müssen, wurde die Anklage gegen die Kinder fallengelassen. Sie gelten vor dem deutschen Gesetz als strafunmündig: "Nach Paragraf 19 ist schuldunfähig, wer bei Begehung der Tat noch nicht vierzehn Jahre alt ist." Im Fall einer Verurteilung drohen den Angeklagten mehrjährige Haftstrafen in einem Jugendgefängnis. Die kindlichen Mittäter entgehen Justitias Urteil.
Zustimmung aus Bevölkerung
Der Fall von Mülheim an der Ruhr war das Benzin, das die Debatte um die Altersgrenze der Strafmündigkeit erneut entfachte. Nachdem die AfD bereits 2016 gefordert hatte, bereits Zwölfjährige juristisch zu belangen, springt nun auch die CSU auf den Zug auf: "Wir müssen auch Täter unter 14 Jahren einzelfallgerecht sanktionieren können. Bei schweren Gewaltverbrechen darf für die Bestrafung allein die Einsichtsfähigkeit des Täters und die Schwere der Tat entscheidend sein - nicht eine starre Altersgrenze", heißt es in einem Maßnahmenpapier, das die CSU-Landesgruppe anlässlich ihrer Klausurtagung vor wenigen Tagen ausgearbeitet hat.
Die Forderung stößt in der Bevölkerung auf große Zustimmung, wie auch eine Umfrage auf der Facebook-Seite des Fränkischen Tags belegt: 726 Menschen haben bis Freitagnachmittag abgestimmt. Das Ergebnis ist eindeutig: 692 Teilnehmer der Umfrage sprechen sich für eine Herabsetzung des Strafmündigkeitsalters aus, lediglich 34 sind dagegen. "Wer mit 14 oder jünger in der Lage ist, ein Mädchen zu vergewaltigen oder einen Jungen halb totprügeln, dann ja", äußert sich Francesco I.. "Die junge Generation ist schon sehr früh reif und die wissen genau, was sie machen und welche Folgen es haben kann." Zu mehr Rechten gehören auch mehr Pflichten, findet Mathias M.: "Sie sollen mit 15 Moped fahren, dürfen mit 17 Auto fahren, das Wahlalter soll sinken, etc. - also sind sie auch voll strafmündig!"
Haft macht es nicht besser
Urteile ergehen "im Namen des Volkes". Doch ist das, was sich das Volk wünscht, auch richtig? Das glaubt der Kronacher Strafverteidiger Ulrich Guggelmus nicht: "Ich bin der festen Überzeugung: Jugendliche werden in der Strafanstalt nicht besser. Was der junge Straftäter noch nicht kann, lernt er dort." Im schlimmsten Fall werde der Täter nach ein paar Jahren entlassen - mit noch mehr Wut im Bauch und Hass im Herzen als zuvor. "Ob ein Gefängnisaufenthalt zur Besserung seines Verhaltens beiträgt, wage ich stark zu bezweifeln."
Der Kronacher Jugendrichter Jürgen Fehn betrachtet vor allem die CSU-Forderung nach "einzelfallgerechten" Sanktionen skeptisch. "Strafbarkeit ist Strafbarkeit - wir können nicht sagen, dass ein 12-Jähriger bei einer Vergewaltigung strafmündig ist und bei Delikten wie Diebstählen oder Mofa fahren ohne Führerschein nicht."