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Was Kronacher Gastarbeiterkinder über die Flüchtlingskrise denken


Autor: Veronika Schadeck

Kronach, Freitag, 12. Februar 2016

Serkan Kemah und Adem Elkol sind Söhne türkischer Gastarbeiter. Die derzeitige Flüchtlingskrise sehen sie mit gemischten Gefühlen.
Serkan Kemah wohnt mittlerweile in Kronach. Der Frankenwald ist für den 40-Jährigen mit türkischen Wurzeln längst Heimat geworden. Foto: Veronika Schadeck


Vor etwa 60 Jahren warben deutsche Betriebe Arbeitskräfte im Ausland an, um die Wirtschaft anzukurbeln. Ähnliches erhoffen sich derzeit Unternehmer und Politiker von den Flüchtlingen. Der Kronacher Serkan Kemah, dessen Vater und Onkel einst aus der Türkei in den Frankenwald kamen, sieht die derzeitige Entwicklung eher mit gemischten Gefühlen.

Die türkischen Gemeinden und Familien würden derzeit viele Fragen beschäftigen, meint er. "Wohin führt das alles? Wie sollen wir uns verhalten? Werden wir mit den Flüchtlingen gleichgesetzt?"

Serkans Vater und sein Onkel gehörten in den 1960iger-Jahren zu ersten türkischen Männern, die in die Rennsteig-Region kamen, um dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen und auch bessere Arbeitsbedingungen vorzufinden.

Noch heute muss Serkan Kemah schmunzeln, wenn er die Erlebnisse seines Onkels bei der Anwerbeaktion in der Türkei wiedergibt.


Flüchtlinge keine Gastarbeiter


Serkan Kemah ist in Steinbach am Wald aufgewachsen. Mit Aussagen wie "Einst kamen die Türken und jetzt die Flüchtlinge" kann der 40-Jährige nichts anfangen. Die Gastarbeiter seien einst nach Westdeutschland gekommen, weil die Industrie ihren hohen Arbeitskräftebedarf nicht mit einheimischen Beschäftigten abdecken konnte.

Adem Elkol kam als kleiner Junge nach Tettau. Heute ist er fest in der Gemeinde integriert. Er ist im Sportverein ATSV Kleintettau aktiv und Mitglied im Betriebsrat bei der Firma Heinz-Glas.

In den Familien Kemah und Elkol war Integration schon immer ein Thema. Sowohl Serkan Kemah als auch Adem Elkol räumen ein, dass sie sowohl mit der deutschen als auch mit der türkischen Kultur nie Probleme hatten. Nicht ohne Stolz erzählt Kemah: "Mein Vater spielte Fußball und war der erste türkische Dolmetscher am Gericht." Und Adem Elkol ergänzt: "Ich habe auf dem Spielplatz die deutsche Sprache gelernt."

Beide sind in der Rennsteigregion zur Schule gegangen. Beide haben danach eine Ausbildung im oberen Frankenwald absolviert. Die beiden Männer leben mit ihren Familien gerne im Frankenwald. Und sie betonen: "Wir haben nie Anfeindungen erlebt!"


Angst, dass die Stimmung kippt


Mittlerweile befürchtet Serkan Kemah und Adem Elkol, dass sich die Stimmung auch im Landkreis ändern könnte, dass ihre Religion, der Islam, mit Gewalt gleichgesetzt wird. Dass die Gesellschaft einen Menschen nicht nach dem Wesen und Charakter beurteile, sondern nach Religion, Haar- und Hautfarbe. Er habe feststellen müssen, dass nicht zwischen Flüchtlingen, Asylanten und Deutschen mit Migrationshintergrund unterschieden wird, so Serkan Kemah "Dabei erbringen viele Nachkommen der einstigen Gastarbeiter ihre Arbeitsleistungen."

Die Deutschen seien zwar überwiegend freundlich zu den Flüchtlingen. Fakt sei aber auch, dass es die meisten aufgrund der deutschen Geschichte nicht wagen, sich offen über das Pro und Contra zum Thema Flüchtlinge zu äußern. "Die Gesellschaft ist gespalten", meint Serkan Kemah. Er hat Angst davor, dass rechte Gruppierungen noch mehr an Zulauf gewinnen und Straftaten von Einzelnen pauschaliert werden. "Kriminelle Einzelfälle repräsentieren weder eine Nation noch eine Religion."

Adem Elkol engagiert sich zusammen mit seinem Chef Carl-August Heinz für die Flüchtlinge. Als Carl-August Heinz die Einwanderer vor Weihnachten ins Glascafé eingeladen hatte, fungierte er als Dolmetscher.
Während sich Serkan Kemah gegen Obergrenzen ausspricht, ist Adem Elkol dafür. In Tettau, so erklärt er, seien zurzeit etwa 30 Flüchtlinge untergebracht. Wenn zu viele Asylberwerber in den Kommunen angesiedelt werden, würden die Ängste in der Bevölkerung zunehmen.


Angst um den Arbeitsplatz


Dazu zählt Adem Elkol auch Angst um den Arbeitsplatz. Klar spricht er sich gegen eine zentrale Unterbringung aus. Er ist der Überzeugung, dass es früher oder später zu Streitigkeiten kommen wird, wenn 20 Flüchtlinge verschiedener Nationalitäten für längere Zeit im gleichen Haus untergebracht sind,

Sowohl er als auch Serkan Kemah sind Moslems. Beide fühlen und denken sowohl türkisch als auch deutsch. Ihre Familien haben seit ihrer Ankunft in der Rennsteig-Region immer gearbeitet und Steuern bezahlt. Ihre Kinder wurden hier geboren. Beide hoffen, dass deutsche und ausländische Bürger auch weiterhin in Frieden leben können. Serkan Kemah meint: "Die Bundeskanzlerin hat falsche Signale an die Flüchtlinge gesendet. Die denken jetzt, sie sind hier willkommen."

Für Serkan Kemah und Adem Elkol bedeutet die Flüchtlingskrise eine große Herausforderung. Die einzige Lösung sei Integration. Damit die gelingt, müssten zeitnah Strukturen geschaffen werden. Vor allem seien Schulen und Vereine gefordert. Zudem sollte der Dialog zwischen Christen und Moslems gestärkt werden. Für Serkan Kemah ist noch etwas anderes wichtig: Industrieländer sollten keine Waffen in Krisenregionen verkaufen.