Warum Tettau ein Wirtschaftsmotor im Kreis Kronach ist
Autor: Hendrik Steffens
Tettau, Freitag, 12. Dezember 2014
Tettau ist ein wirtschaftlicher Motor des Landkreises. Dennoch ist die Marktgemeinde nicht frei von Sorgen. Die Bevölkerung schrumpft. Um entgegenzuwirken, will der Bürgermeister endlich eine Schule am Rennsteig.
Aus dem Backsteinturm der Glashütte Heinz ziehen Rauchschwaden und vermischen sich mit dem Nebel überm Frankenwald. Der Qualm ist ein Indikator für die wirtschaftliche Vitalität Tettaus. Mit mehr Arbeitsplätzen als Einwohnern ist die Marktgemeinde eine industrielle Triebfeder des Landkreises.
Vor Einwohnerschwund ist auch Tettau nicht gefeit. Doch er schreitet etwas langsamer voran als in anderen Kommunen des Landkreises Kronach: Auf sieben Geburten kamen im laufenden Jahr zwölf Sterbefälle. Allerdings macht die Anzahl der bis 18-Jährigen (287, alle zahlen Stand: 5. Dezember) nur etwas mehr als die Hälfte der über 65-Jährigen (527) aus. In den letzten zehn Jahren verlor die Marktgemeinde 353 Einwohner, das sind fast 16 Prozent der aktuellen Gesamtzahl.
Höchste Industriedichte Europas
"Seit ich Bürgermeister bin (2013), haben wir so wenige Sterbefälle wie lange nicht", witzelt Bürgermeister Peter Ebertsch (Bündnis für Tettau) mit einem wehen Lächeln. Ebertsch ist sich der Gefahr der Überalterung in seiner Kommune bewusst. Aber er weiß auch, dass es keinen Grund gibt, den Kopf hängen zu lassen. Tettau hat etwas, das viele Kommunen neiden und das viel Sicherheit gibt: eine solide Industrie. Wenn man Ebertsch in dieser Sache Glauben schenken darf, hat der Markt "die höchste Industriedichte europaweit". Vor allem die alteingesessenen Glashütten Gerresheimer und Heinz, aber auch die zahlreichen Mittelständler sind ein Motor, der nicht stottert. Tettau hat sogar mehr Arbeitsplätze (2600) als Einwohner (2265).
Damit hat der Markt im nördlichen Landkreis auch zuverlässige Einnahmen aus der Gewerbesteuer: 2,1 Millionen Euro sind es heuer. Das klingt viel. "Aber glauben Sie nicht, dass wir die auch bekommen", meint Ebertsch. Rund 1,3 Millionen fließen allein in die Kreisumlage. Nur über ein Drittel seiner Gewerbesteuereinnahmen darf Tettau frei verfügen. Es gibt keine Stabilisierungshilfen, keine Schlüsselzuweisungen, wie sie klammere Kommunen bekommen. Das ergebe zwar einen vitalen Haushalt, aber relativ wenig Geld für Investitionen, so Ebertsch.
"Es muss doch Anreize geben für Kommunen, sauber hauszuhalten. Aber die sehe ich nicht", sagt er. Es ärgert ihn, wenn er sieht, dass hochverschuldete Kommunen mehr Geld zur Verfügung haben, weil sie Förderungen erhalten, die der seinen verwehrt bleiben. Nicht zuletzt weil wenig Fördermittel zur Verfügung stünden, seien innerorts die Straßen in einem "jämmerlichen Zustand", so Ebertsch.
Ein Radweg müsste her
Trotz klammer Finanzen hat Tettau einige Projekte, die Alleinstellungsmerkmale im Landkreis darstellen. Das Tropenhaus etwa, das seit Eröffnung im April schon 20 000 Gäste gelockt hat. Und das Europäische Flakon-Glasmuseum. Die touristische Erschließung könne allerdings noch verbessert werden, sagt Ebertsch - und appelliert an den Freistaat. Ein Radweg durch das Rennsteig-Gebiet sei für die Aufwertung der Region "dringend notwendig". Um die Landflucht in Richtung der Mittelzentren zu stoppen, reiche es nicht, Arbeitsplätze zu bieten. Da brauche es auch einen attraktiven Lebensraum. Ein Haus für drei oder vier Generationen etwa ist nicht mehr zeitgemäß. Davon gibt es aber noch viele in Tettau.
Ebertsch würde sie gern umgestaltet sehen - in kleinere, moderne Wohneinheiten. Deshalb werkelt der Markt Tettau in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität München und der Regierung Oberfranken an einem Städtebaukonzept. "Die Anforderungen junger Menschen und Familien haben sich geändert. Da müssen wir reagieren", sagt auch Ebertschs Geschäftsführerin Katharina Morgenthum. Auch eine Art "Wohnen in der Heimat" nach Teuschnitzer Vorbild würde man in Tettau gern realisieren.
Eine laufende vorbereitende Untersuchung nimmt Konzepte zur Errichtung von Mietwohnungen in den Fokus. Anschließend werden Förderungen des Freistaats sowie über das "Integrierte Regionale Entwicklungskonzept" der Europäischen Union angepeilt. "Private Investoren werden aber ebenso wichtig sein", weiß Katharina Morgenthum.
Um Tettau für Familien attraktiver zu machen, sind Ebertsch und Morgenthum einig, brauche es auch Bewegung in der Bildungslandschaft. "Es geht nicht, wenn Kinder des Marktes Tettau in Kronach um 15 Uhr Schulschluss haben und um 17.45 Uhr zu Hause sind", klagt er. Das vergraule potenzielle neue Bürger.
Den Spieß umdrehen
Das Thema weiterführende Schule am Rennsteig wurde viel diskutiert und für problematisch erklärt. Wenn es nach Ebertsch geht, muss aber eine kommen. Steinbach am Wald könne ein geeigneter Standort sein. "Im Rahmen der Gleichberechtigung wäre es doch nur fair, wenn auch Kinder aus dem Süden in den Norden zur Schule fahren müssen." Ein Schulzweig könne in Kronach bestehen bleiben, ein zweiter in Steinbach etabliert werden. Und je nach Schwerpunktsetzung könne dann gependelt werden.
"Endlich", meint Ebertsch, nimmt nun der 4,5-Millionen-Ausbau der Straße von Schauberg über Judenbach/Jagdshof Fahrt auf. 25 Jahre waren Bemühungen darum nicht von Erfolg gekrönt. Wenn sie 2016 fertig ist, ist die Autobahn in Rödental von Tettau aus in 30 Minuten erreichbar. Das könne den Verfall der Immobilienpreise abdämpfen und Zuzug generieren, meint Ebertsch. Der Zukunft "seiner" Marktgemeinde sieht er hoffnungsvoll entgegen.
"Aufstrebende Gemeinde"
Helmut Heinz kann man als privaten Archivar Tettaus bezeichnen. Der 69-Jährige arbeitete von der Lehre bis zum Ruhestand 2010 in der Glasindustrie. Er weiß: "Der Markt für Glas hat sich verlagert." Viel Industrie sei vor Jahren erst nach Tschechien und dann nach China abgewandert. Das billige, das Spühlmaschinenglas, hätte in Deutschland keine Zukunft. Porzellan aus Tettau sieht er nicht bedroht: "Wir sind eine aufstrebende Gemeinde." Die Glashütten seien mit ihren qualitativ hochwertigen Angeboten global etabliert. Heinz verweist auf einen Schrank im Bürgermeisterbüro, hinter dessen Glastür Parfum-Flakons namhafter Marken aufgereiht sind. "Was die Verarbeitung angeht, haben wir kaum Konkurrenz."
"Müssen mehrgleisig fahren"
Wolfgang Hammerschmidt war lange Geschäftsführer des Vereins Asco, dessen Ziel es ist, im oberen Frankenwald Arbeitsplätze für Menschen mit Handicap, Langzeitarbeitslose und ältere Arbeitnehmer in der Nähe ihres Wohnorts zu schaffen. Tettau, meint er, habe so gut wie keine Probleme mit Arbeitslosigkeit. Als Schwächen "seines" Marktes identifiziert der tief verwurzelte Tettauer das Fehlen der weiterführenden Schule und guter Autobahnanbindung: "Wenn wir uns auf Dauer behaupten wollen, müssen wir mehrgleisig fahren." Hammerschmidt sieht aber eine "gute Entwicklung, an deren Anfang wir stehen", durch steigende touristische Attraktivität Tettaus - Tropenhaus und kultureller Angebote sei Dank.
Die Serie (2 von 18)
Wie sind die Kommunen im Landkreis für die Zukunft aufgestellt? In unserer Serie "Demografie im Kreis Kronach" beleuchten wir die aktuelle Lage in den 18 Gemeinden: Wie steht es um die Alters- und Infrastruktur? Wie wird die Zukunft aussehen? Lesen Sie selbst.