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Warum einem Ludwigsstädter chinesische Handzeichen in Shanghai zum Verhängnis wurden


Autor: Marian Hamacher

Ludwigsstadt, Donnerstag, 20. Dezember 2018

Seit vier Monaten absolviert der Ludwigsstädter Ünal Sengül sein Auslandssemester in Shanghai. Inzwischen hat er festgestellt, in welchem Bereich China Deutschland um Längen voraus ist und welche fatalen Folgen chinesische Handzeichen haben können.
Seit knapp vier Monaten absolviert der Ludwigsstädter Ünal Sengül ein Auslandssemester in Shanghai (China). Foto: privat


Seit knapp zweieinhalb Jahren studiert der Ludwigsstädter Ünal Sengül in Jena an der Ernst-Abbe-Hochschule E-Commerce (Onlinehandel). Sein fünftes Semester verbringt der 24-Jährige jedoch an der renommierten Tongji-Universität in Shanghai. Wie er die bisherigen vier Monate in Chinas drittgrößter Stadt erlebt hat, erzählt er im Gespräch mit infranken.de Der Heiligabend steht kurz bevor. Wie erleben Sie die Adventszeit in Shanghai? Ist Weihnachten dort überhaupt ein Thema?

Ünal Sengül: Weihnachten ist für die Chinesen kein besonderes Ereignis, viel wichtiger ist ihnen das Neujahrsfest. Allerdings ist Shanghai eine Stadt, in der viele Kulturen vertreten sind - weshalb ein Hauch Weihnachten durch die Stadt weht. Es gibt sogar einen Weihnachtsmarkt!

Ludwigsstadt hat 3600 Einwohnern, jetzt wohnen Sie der drittgrößten Stadt Chinas. Haben Sie sich an den Trubel schon gewöhnt?

Shanghai ist wirklich sehr, sehr groß! Gleich bei meiner ersten Fahrt habe ich mich verfahren. Sie haben sich sofort in den Straßenverkehr gestürzt? Mutig!

Ja, als ich mit einem Kommilitonen erstmals in der Stadt war, ist uns aufgefallen, dass hier alle auf Elektro-Mopeds unterwegs sind. Wir sind dann gleich mal in ein Geschäft, um uns zu zu informieren, wie teuer die sind: 2000 Yuan sind für Chinesen zwar unglaublich viel Geld, sind umgerechnet aber gerade einmal um die 250 Euro. Nachdem ich die Verkäuferin auf 1200 Yuan heruntergehandelt hatte, konnten wir uns motorisiert auf den Rückweg machen - und haben uns prompt verfahren. Vergleichbar mit europäischen Straßen ist der Verkehr wahrscheinlich nicht. Wie würden Sie ihn beschreiben?

Als ein großes Durcheinander. Die Straßen von Shanghai sind einfach nur unglaublich! Keiner achtet auf die Regeln, jeder fährt, wie er möchte.

Wie hat sich der Blick auf Ihre Heimat durch das Auslandssemester bislang verändert?

Im Bereich Technologie sind die Chinesen wirklich sehr fortschrittlich. Nicht nur die Mopeds sind elektrisch - auch sehr viele Autos. Der Fokus ist hier wirklich zu 100 Prozent auf die Umwelt gerichtet. Und im Bereich E-Commerce, den ich wegen meines Studienfachs besonders aufmerksam betrachte, sind uns die Chinesen einige Jahre voraus. Da sind sie eine Macht.

In welchen Momenten merken Sie das besonders?

Man bezahlt in China alles mit dem Handy. Hier ist es die App "WeChat", die beim Bezahlen zum Einsatz kommt. Einheimische, die mit Bargeld bezahlen, habe ich bislang noch nicht gesehen. Das sind dann eher die Europäer, die noch Zweifel an der ganzen Technologie haben.

Hatten Sie auch Zweifel?

Bei mit war das nicht viel anders. Allerdings habe ich mich schnell an das bargeldlose Bezahlen gewöhnt. Es erleichtert einem das Leben im Alltag. Den Geldbeutel kann man getrost zu Hause lassen.Ob ein Taxi rufen oder ein Hotelzimmer buchen - es geht alles wahnsinnig schnell. Ich benutze die App täglich und kann es mir ohne gar nicht mehr vorstellen. Das werde ich in Deutschland definitiv vermissen. Denn es wird noch sehr lange dauern, bis sich das alles auch in Deutschland mal durchsetzt.

Kann man sagen, dass Deutschland in diesem Bereich ein Entwicklungsland ist?

Wahrscheinlich schon. Es ist auch ein bisschen verängstigend, wenn man sieht, wie sehr Deutschland in diesen Bereichen hinterherhinkt. Aber ich hoffe, dass wir bald aufholen werden. Es tut sich auf jeden Fall schon etwas und ich bin zuversichtlich.

Die sogenannte Landflucht ist ja ein Dauerthema. Ist es für Sie eine Option, in den Landkreis zurückzukehren?

Natürlich würde ich gerne irgendwie bleiben, aber die Frage ist dann einfach, ob es dort einen passenden Arbeitgeber gibt. Als Student möchte man nach dem Abschluss in der Berufswelt Erfahrungen sammeln. Viele Unternehmen im Kreis Kronach sind allerdings mit dem Bereich E-Commerce nicht vertraut.

Ist die Tongji-Universität mit deutschen Hochschulen vergleichbar?

Im Wesentlichen schon - allerdings um ein Vielfaches größer! Um mal die Dimension klarzumachen: Hier studieren ungefähr 35.000 Studenten. An meiner Uni in Jena sind es gerade mal 4500! Auch der Campus ist unglaublich groß und im Grunde eine eigene Stadt. Es gibt so gut wie alles: verschiedene Shopping-Center, Frisöre, Massagesalons oder Bars. Die Auswahl ist gigantisch. Auch nach vier Monaten habe ich immer noch jeden Tag Probleme mit der Orientierung.

Wie sieht ihr Tagesablauf aus?

Nicht viel anders als in Jena. Da ich direkt auf dem Campus wohne, habe ich keinen allzu langen Weg in die Vorlesungssäle. Der Großteil meiner Veranstaltungen sind englischsprachige Vorlesungen, in denen man auch regelmäßig Vorträge halten muss. Daher arbeite ich eigentlich jede Woche an einer Präsentation. Durch die recht gering gehaltene Anzahl an Studenten in fast allen Kursen oder Vorlesungen hat man die Möglichkeit, Fragen zu stellen und diese auch vollständig zu besprechen. Und außerhalb der Uni?

Da verbringe ich die meiste Zeit in den Gemeinschaftsräumen der verschiedenen Wohnheime, in denen immer eine sehr freundliche und familiäre Atmosphäre herrscht. Dadurch ist man auch im ständigen Kontakt mit Studenten aus den verschiedensten Ländern und erweitert seinen kulturellen Horizont.

Englisch hilft Ihnen außerhalb des Campus' wahrscheinlich nicht überall weiter.

Ja, leider. Weil chinesisch eine so schwierig zu erlernende Sprache ist, in der es auf die Betonungen ankommt. Wird ein Wort falsch betont, bedeutet es auf einmal etwas ganz anderes. Ich kann daher nur "Hallo" und zwei, drei weiteren Wörter sagen. Aber damit kommt man hier schon durch. Was man beherrschen sollte, sind aber die Zahlen! Das klingt, als hätten Sie schon ein einschlägiges Erlebnis gehabt.

Ja, die blöden Zahlen sind mir bereits zum Verhängnis geworden. Das war, als ich vor einigen Wochen mit einem Freund in einem Restaurant war und für uns zwei Cocktails bestellen wollte. Die Kellnerin konnte kein Englisch und hat mich nicht verstanden. Anschließend habe ich mit meinen Fingern die Zahl 2 und auf den Cocktail auf der Karte gezeigt - woraufhin mich die gute Frau ganz entgeistert angeschaut hat. Woran lag's?

Naja, sie kam nicht mit zwei, sondern gleich mit acht Cocktails an. Als wir ihr erklären wollten, dass sie uns sechs Cocktails mehr als bestellt gebracht hat, schaltete sich nach einiger Zeit ein Chinese ins Gespräch ein, der Englisch konnte. Er hat uns dann erklärt, dass wir der Kellnerin die Zahl 8 gezeigt hatten. Für die Zwei müsse man Zeigefinger und Mittelfinger zeigen. Nutzt man Daumen und Zeigefinger, meint das die Zahl 8. Wir haben die acht Cocktails natürlich alle brav getrunken.

Von deutschen Ärzten gegründet

Die Tongji-Universität ist eine von 33 Universitäten, die China mit Hilfe ihres Staatsbildungsprogramms "Projekt 985" zu weltbekannten Universitäten aufbauen möchte. Bekannt ist die Hochschule vor allem für ihre Ausbildung in Ingenieurwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und Architektur. 1907 wurde sie von deutschen Ärzten als "Deutsche Medizinschule für Chinesen in Shanghai" gegründet. Mit knapp über 23 Millionen Einwohnern ist Shanghai nach Chongqing (28,8) und Shenzhen (28) die drittgrößte Stadt Chinas.