Vor 40 Jahren kam der Abrissbagger
Autor: Gerd Fleischmann
Stockheim, Mittwoch, 15. Juni 2016
Das erstmals 1151 erwähnte Waldhaus Traindorf bei Stockheim war eine beliebte Sommerfrische. Doch 1976 ließ die Stadt Kronach das stattliche Gut abbrechen.
Vor 40 Jahren ist das einst idyllisch gelegene Waldhaus Traindorf, das sich unmittelbar an der ehemaligen Zonengrenze nordwestlich von Stockheim befand, geschleift worden. Abrissbagger beendeten innerhalb weniger Tage abrupt eine fast 900-jährige Siedlungsgeschichte. Auch heute noch lebt diese beliebte Sommerfrische in der Erinnerung vieler Menschen weiter.
Die Erhaltung von Traindorf scheiterte schlicht und einfach an Finanzproblemen. Das der Stadt Kronach gehörende Gut war nicht mehr rentabel genug. Zudem fehlten die Versorgungseinrichtungen für Wasser und Strom. Für Wanderer und Spaziergänger war Traindorf - urkundlich erstmals 1151 erwähnt - ein beliebtes Ausflugsziel, hier ließ es sich gut Rast machen. Mit Wehmut nahmen viele am 15.
In einem Brief an die Tageszeitungen machte der Kronacher Peter Engerisser kein Hehl aus seiner Meinung. Er nannte den Abbruch des Kronacher Stadtgutes ein "Meisterstücklein der Scheinheiligkeit". Dabei berief er sich auf ein Verfahren, das immer dasselbe ist, wenn es um den Abriss historischer oder sonst wertvoller Bausubstanz geht: "Das ungeliebte Objekt wird vernachlässigt, heruntergewirtschaftet, um es dann mit Hohn und Spott als nicht mehr zumutbar der Spitzhacke zu überantworten."
Traindorf hätte, wie Engerisser weiter meinte, allein schon wegen seines hohen Freizeitwertes in einer einmalig schönen Waldlage erhalten werden müssen. Das Gutshaus sei schließlich massiv aus Sandsteinquadern errichtet worden. Und dieser Meinung schlossen sich vor vierzig Jahren viele Bürger an, so unter anderem Stockheims 2. Bürgermeister Walter Kämpf, der bereits 1974 leidenschaftlich an die Stadt Kronach appellierte: "Erhaltet unser Traindorf ".
Seit 1909 wurde die "Sommerfrische" von den Familien Lungmuß in drei Generationen bewirtschaftet. Der einstige Besitzer, die Stadt Kronach, versäumte es nach dem Zweiten Weltkrieg im allgemeinen Aufschwung Licht und Wasser ins Waldhaus zu legen. Selbst heute noch stimmt der Gedanke an Traindorf die früheren Besucher wehmütig. Traindorf - das war eine Oase der Beschaulichkeit und Ruhe, fernab vom Lärmterror unserer Zeit.
1976 wurde der in mühevoller dreijähriger Arbeit errichtete stattliche Sandsteinbau aus dem Jahre 1873 innerhalb weniger Tage das Opfer der Spitzhacke. Schon längst hat die Natur das ihr von Menschenhand in vielen Generationen entrissene Land zurückerobert. Nur noch wenig erinnert daran, dass hier über Jahrhunderte hinweg Menschen gelebt haben.
Schon lange, bevor sich Stockheim im 15. Jahrhundert zu einer bescheidenen Dorfgemeinschaft mit Schloss und ein paar Häusern entwickelte, lebten zwischen dem Spitzberg und dem Traindofer Berg in einstmals vier Häusern Menschen, die in zäher Arbeit dem kargen Boden ihr täglich Brot abgerungen haben. Nachdem Kronach zwischen 1632 und 1634 mehrere blutige Angriffe der schwedischen Kriegshaufen mit Verbündeten heldenhaft abgewehrt hatte, schenkte der Bamberger Bischof Franziskus von Hatzfeld als Anerkennung 1639 die Rittergüter Haßlach und Stockheim mit Traindorf den Kronachern. Es folgten mehrere Besitzerwechsel. In einer statistischen Aufstellung von 1792 sind in Traindorf ein Hof, zwei Sölden und ein Häuslein aufgelistet. In jener Zeit herrschten in unmittelbarer Nachbarschaft rege Grabungsaktivitäten. Die Entdeckung der Steinkohle hatte zur Folge, dass zahlreiche Tagschächtlein, so unter anderem St. Wolfgang und St. Michael, angelegt wurden. Aber auch das Minnafeld auf thüringischem Gebiet befand sich in unmittelbarer Nähe zu dem Weiler Traindorf.
Um 1800 zeichnete Konrad Schirmer für das Gut verantwortlich. Von 1870 bis 1873 erbaute dann Gutsbesitzer Johann Schirmer ein stattliches Sandsteingebäude. In mühevoller Arbeit schaffte er die Sandsteinquader von Gehülz und Theisenort mit seinem Ochsengespann heran.
Tragisch geendet
Sein Sohn Georg, Bauernschorsch genannt, war der nächste Besitzer, der dann 1907 an die Stadt Kronach Traindorf für 70 000 Mark verkaufte. Das Gut umfasste damals 120 Tagwerk, davon 40 Tagwerk Wald.
Der ledige Georg Schirmer konnte sich nicht lange des Geldes erfreuen, denn 1911 wurde er im Bahnhofshotel Pressig erstochen.Laut Ausschreibung vom 31. Oktober 1907 (Anzeige Fränkischer Wald) wurde das Gut von der Stadt Kronach zur Verpachtung ausgeschrieben. Die Argumente der Stadt: "Das Anwesen eignet sich seiner herrlichen Lage wegen inmitten weit ausgedehnter Fichten- und Tannenwälder bei der ozonhaltigen, reinen und gesunden Luft zum gern gewünschten Aufenthalt für Sommerfrischler und ist bei der gegebenen Situation zirka drei Kilometer von der königlich-bayerischen Eisenbahnstation Stockheim, zirka drei Kilometer von der preußischen Eisenbahnstation Neuhaus, zirka zwei Kilometer von dem Pfarrdorfe Neukenroth, bei einer Höhenlage von 450 Meter, entfernt." Den Zuschlag erhielt am 1. Mai 1909 Rudolf Lungmuß, aus Achelstett (Thüringen) stammend. Die sieben Kinder, die Clothilde Lungmuß zur Welt brachte, ließen in der Einsamkeit keine Langeweile aufkommen. Rudolf Lungmuß wandte sich mehr und mehr von der Landwirtschaft ab und konzentrierte sich auf den Fremdenverkehr. Bereits 1910 warb das Waldhaus Traindorf per Ansichtskarten mit seiner wäldlichen Idylle. Vor allem nach 1930 boomte der Fremdenverkehr. Gäste aus Leipzig, Magdeburg, Erfurt, Weimar und Berlin reisten nach Traindorf. Aus den vielen Eintragungen im Gästebuch aus jener Zeit kann man ersehen, dass der Fremdenverkehr eine bedeutende Rolle spielte. Zu den prominentesten Gästen zählte Dr. August Ganghofer, ein Sohn des berühmten Schriftstellers Ludwig Ganghofer. Bekannt waren der Kochkäse, der Traindorfer Schinken im Brotteig sowie die Hausschlachtungen. 1933 musste der Erholungssuchende für eine Vollpension am Tag 3,75 Mark bezahlen.
Rudolf Lungmuß, der 1939 das Anwesen seinem Sohn Karl übergab, verstarb am 2. Februar 1945. Durch die unselige Zonengrenzziehung musste sich nun Karl Lungmuß total umstellen. Die treuen Gäste aus Thüringen blieben zwangsläufig aus. Um so mehr hatten die Einheimischen ihr Herz für Traindorf entdeckt.
Nebenbei betrieb der beliebte Pächter in bescheidenem Umfang Landwirtschaft. Im Stall standen zwölf Kühe. Im Jahre 1966 übernahm dann Sohn Hans in der dritten Generation das Anwesen, für das er bis zur Schließung 1974 verantwortlich zeichnete.