Vom Zeugen zum Verdächtigen
Autor: Marian Hamacher
Kronach, Dienstag, 06. Sept. 2016
Eigentlich sollte ein 67-Jähriger vor dem Jugendgericht nur eine Aussage als Geschädigter machen, doch dann ließ er sich zu einer Straftat hinreißen.
So richtig schien es auch Amtsgerichtsdirektor Jürgen Fehn nicht glauben zu können. "Eine Straftat in der Sitzung", sagte er und schaute erstaunt in Richtung Staatsanwältin Carolin Schellhorn. Was für einen 67-Jährigen Kronacher mit einer Zeugenaussage begann, dürfte in Ermittlungen gegen ihn wegen des Tatverdachts der Bedrohung und des Anfangsverdachts der Hehlerei enden. Darauf lassen zumindest die Aussagen des Richters und der Staatsanwältin schließen. "Wahrscheinlich haben wir schon den nächsten Fall für Sie", sagte Fehn etwa zum gleich im Anschluss aussagenden Polizisten.
Geladen war der zuvor angehörte Rentner und Antiquitätenhändler ursprünglich als Geschädigter, da ihm von einem 19-jährigen Kronacher im Dezember vergangenen Jahres fünf wertvolle Rosenthal-Porzellanfiguren und mehrere Schmuckstücke verkauft wurden.
Am Dienstag lag es am Kronacher Jugendgericht, gleich vier Fälle zu verhandeln. Denn angeklagt waren nicht nur der 19-Jährige, sondern auch drei seiner Freunde im Alter zwischen 19 und 21 Jahren. Gegen zwei von ihnen wurde das Verfahren wegen Diebstahls und Beihilfe zum Betrug nach rund zwei Stunden Verhandlung eingestellt. Zwar waren sie zum Teil dabei, als der 19-Jährige Gegenstände an den Antiquitätenhändler verkaufte, allerdings in der Annahme, dass es sich dabei um das Eigentum ihres Freundes handelt - was der 19-jährige Kronacher, der die ganze Schuld auf sich nahm, bestätigte.
Ein "dummer Gedanke"
Auch gegen seinen ebenfalls 19-jährigen Freund aus dem Haßlachtal wurde der Vorwurf fallen gelassen. Verurteilt wurde dieser dennoch. 600 Euro in Raten zu je 100 Euro muss er als Strafe dafür zahlen, dass er Ende Januar zweimal in den Kronacher Jugendtreff "Struwwelpeter" einbrach und dort neben 100 Euro Wechselgeld aus einem Geldbeutel auch eine Flasche Bier, zwei bis drei Flaschen Cola sowie eine Flasche Bananennektar stahl.
"Ich hatte getrunken und bin dann auf den dummen Gedanken gekommen", sagte der junge Mann aus dem Haßlachtal, der zu dieser Zeit als Bedienung im Jugendtreff arbeitete und daher einen Schlüssel besaß.Da ihm Arbeitsstunden in einer sozialen Einrichtung aus beruflichen Gründen nicht zuzumuten seien, forderte die Staatsanwältin 800 Euro als Strafe. "Der Antrag der Staatsanwaltschaft war absolut moderat", sagte Fehn in seiner Urteilsverkündung. "Ich bin in der Gesamtsumme nur aus dem Grund darunter geblieben, weil der Angeklagte eine Ausbildung beginnt und bei ihm dann weniger Geld reinkommt."
Auf den 19-jährigen Kronacher, der wegen Diebstahls und Betrugs in zwei Fällen angeklagt war, kommen 80 Stunden gemeinnützige Arbeit zu. Denn Geld ist bei ihm nicht zu holen. Die angespannte finanzielle Situation sei auch das Motiv gewesen, den Schmuck und das Porzellan zu stehlen. Daher muss er trotz der Verurteilung auch nicht die Kosten des Verfahrens tragen. Beschlossen wurde zudem, ihm für drei Monate einen Sozialpädagogen zur Seite zu stellen. "Um ihm unter die Arme zu greifen", sagte Schellhorn in ihrem Plädoyer.
Eine gefährliche Mischung
Der Angeklagte, der zurzeit obdachlos ist und bei seinem Bruder Unterschlupf gefunden hat, hatte zunächst geplant, mit einem Jugendfreund eine WG zu gründen - in der Wohnung von dessen ins Altersheim gezogenen Großvaters. Dort befanden sich nicht nur die Porzellan- und Schmucksammlung des Seniors, sondern auch die Schlüssel zu den Vitrinen. Zusammen mit der Geldnot des Angeklagten eine offenbar gefährliche Mischung.Nachdem eine erste Bleikristalldeckeldose beim Antiquitätenhändler 20 Euro einbrachte, tauchte der Kronacher immer wieder mit neuen Gegenständen auf. Unter anderem mit einer Rosenthal-Figur, die ihm 960 Euro einbrachte. Insgesamt 1380 Euro waren es laut Anklageschrift, die er vom Händler erhielt. Der tatsächliche Wert der Gegenstände war aber wohl um einiges höher, vermutete Fehn. Allein die vom Angeklagten für 960 Euro veräußerte Figur kostete nach Angaben der Tochter des Besitzers der Gegenstände rund 4000 DM. Dem Händler erzählte der 19-Jährige, dass die Gegenstände seinem eigenen Großvater gehören und er sie veräußern dürfe. Darauf und auf eine unterschriebene Erklärung des Angeklagten, dass es sich um das Eigentum des 19-Jährigen handelt, berief sich der 67-jährige Händler auch auf dem Zeugenstuhl. Eine schriftliche Bestätigung des vermeintlichen Großvaters habe er aber nicht verlangt.