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Verfolgungsfahrt durch Kronach nachgestellt


Autor: Corinna Igler

Kronach, Mittwoch, 06. März 2013

Knapp ein Jahr nach der Tat macht sich Richter Gerhard Amend am Mittwochabend selbst ein Bild davon, wie die Flucht eines 24-Jährigen durch Kronach abgelaufen ist. Der junge Mann muss sich wegen versuchten Mordes verantworten.
Richter Gerhard Amend (Mitte) wirft vor Ort, wo der Angeklagte auf die Polizistin losgefahren sein soll, einen Blick in die Akten. Im Bild sind auch die Verteidiger Peter Wetzdörfer (links) und Ralf Kemmer (2. v. l.) sowie Oberstaatsanwältin Ursula Haderlein (rechts hinten mit Brille).Fotos: Corinna Igler


In einem Großraumtaxi rollen die Vertreter des Landgerichts Coburg, allen voran Richter Gerhard Amend, auf dem Netto-Parkplatz in Kronach ein. Einen Termin wie den am Mittwochabend um 18 Uhr hat er eher selten, bestätigt der Richter. Schließlich wird nicht alle Tage eine Verfolgungsfahrt nachgestellt.

Zum Hintergrund: Seit 20. Februar muss sich ein 24-Jähriger aus Thüringen unter anderem wegen versuchten Mordes vor dem Landgericht Coburg verantworten. In der Nacht des 27. April vergangenen Jahres fiel der Mann mit seinem weißen Mercedes einer Polizeistreife auf. Die Beamten wollten den Thüringer kontrollieren. Doch der zu diesem Zeitpunkt alkoholisierte Mann ignorierte sämtliche Signale der Polizei und das Ganze entwickelte sich zu einer Verfolgungsjagd, bei der der Angeklagte in Hollywood-Manier durch die Kronacher Innenstadt fuhr.

"Die Sitzung wird fortgesetzt", ruft Richter Amend am Mittwochabend auf dem Kronacher Netto-Parkplatz. Nicht ganz ein Jahr später schildert der Polizist, der damals die Verfolgung aufnahm, nun das Geschehen: "Wir standen bei der Shell-Tankstelle, da ist uns der weiße Mercedes Kombi auf dem Netto-Parkplatz aufgefallen. Er ist aus dem Parkplatz raus gefahren, links abgebogen und über die Ampel nach links Richtung Industriestraße."
Das Gericht, Oberstaatsanwältin Ursula Haderlein, der Angeklagte - in Handschellen und Fußfesseln -, die Verteidiger Peter Wetzdörfer und Ralf Kemmer und sämtliche Zeugen laufen entlang der Bundesstraße 173 bis zur Kreuzung, wo der Angeklagte damals in die Industriestraße abgebogen ist. "Er ist bis zur Loewe Opta gefahren. Dort hat er eine Runde gedreht und ist mit Vollgas wieder stadteinwärts gefahren", erinnert sich der Polizeibeamte. Über 100 Stundenkilometer soll der junge Mann gefahren sein, als er dann bei Rot über die Ampel und in Richtung Hammersteig raste. "Ich musste anhalten, weil die Kreuzung schwer einsehbar ist und Verkehr von links kam", fährt der Polizist fort. "Super gefährlich hier", kommentiert Richter Amend.

Weiter geht' s in Richtung Hagebaumarkt - allerdings ohne den Angeklagten, dem die Fußfesseln nicht abgenommen werden. Stattdessen wird er in einem Polizeibus gefahren.
"Dort war die Schranke zu, also ist er auf die alten Bahngleise abgebogen", deutet der Polizist mit dem Finger an. Gemeinsam läuft man genau diese Strecke ab, bis sich die Wachtersflurstraße mit der "Am Flügelbahnhof" kreuzt (direkt am Schreibwarengeschäft Hauguth).

Denn dort beendete damals der Fahrer eines kleinen gelben Fiat zunächst die Flucht, als er sich dem Thüringer in den Weg stellte.
An Ort und Stelle wird diese Situation mit anderen Fahrzeugen nachgestellt. Der Polizeibeamte und seine Kollegin erklären, wie sich die Situation zugetragen hat: Die Beamtin des Verfolgerfahrzeuges stieg aus dem Dienstfahrzeug aus, wollte die Beifahrertür des Fluchtwagens öffnen. Von mehrmaligem Hin- und Her-Rangieren und dem Touchieren des Polizeiwagens ist die Rede. Die Polizeibeamtin wurde sogar zwischen dem Fluchtfahrzeug und einem parkenden Auto eingeklemmt. Als sie sich daraufhin vor das Fahrzeug des Mannes stellte, fuhr er auf sie zu - "mit laut aufheulendem Motor", wie der Kollege der Beamtin beschreibt. "Ich hatte keinen Gedanken daran verschwendet, dass er auf eine Polizistin zu fährt", erklärt die junge Frau auf Nachfrage des Verteidigers Wetzdörfer. Nur durch einen Sprung zur Seite habe sie sich retten können. Wieder im Polizeiwagen habe sie Schmerzen im Fuß und am Knie gespürt, der Angeklagte soll ihr über den Fuß gefahren sein.

Es geht hin und her, ob der Angeklagte über den Bordstein fuhr, wo welches Auto wie stand, Abstände werden gemessen. "Ich kann mich nicht erinnern, dass die Polizistin vor mir stand", sagt der Angeklagte. An eine Beschriftung auf der Straße aber schon. Auch die Autos haben seiner Meinung nach anders gestanden. Er habe rechts an dem gelben Auto, das ihm zunächst die Weiterfahrt versperrt hatte, vorbeifahren wollen. Das gelang ihm auch.

Wenige Meter weiter, wo die Straße "Am Flügelbahnhof" auf die Kulmbacher Straße trifft (zwischen Baywa und AWG), beendet Richter Amend die Besichtigungstour. Die Flucht des jungen Mannes endete damals dort allerdings nicht. Vielmehr missachtete er dort die Vorfahrt eines Omnibusses, welcher daraufhin in seinen weißen Mercedes fuhr. Für den verfolgenden Polizisten hatte das einen "riesen Knall getan", der Angeklagte hingegen sprach von einem "kleinen Rums". Die Verfolgungsfahrt setzte sich Richtung Innenstadt fort und endete letztlich an einer Hauswand in der Oberen Stadt. Von dort aus flüchtete der 24-Jährige zu Fuß und wurde am Bahnhof gestellt.

"Die Fortsetzungsverhandlung ist am 26. März um 9 Uhr", sagt Richter Amend - dann wieder im Gerichtssaal in Coburg.