Verfassungsrichter Peter Huber zu Gast in Kronach
Autor: Heike Schülein
Kronach, Dienstag, 04. Juni 2013
Mit Peter Huber war erstmals ein Bundesverfassungsrichter zu Gast in Kronach. Der Lions Club hatte ihn eingeladen.
"Europa als Herausforderung für das Bundesverfassungsgericht" - Wer bei diesem Thema kompliziertes Juristenchinesisch erwartet hatte, wurde eines Besseren belehrt. Von einer eher trockenen - für Laien schwer verständlichen - Angelegenheit konnte beim Vortrag von Peter Huber keine Rede sein. Im Gegenteil: Das, was der Bundesverfassungsrichter über das Bundesverfassungsgericht als "obersten Hüter der Verfassung" und dessen Verhältnis zur Europäischen Gemeinschaft zu berichten wusste, war höchst spannend. Von den historischen Hintergründen über die verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten und Einschränkungen bis hin zum vornehmsten Zweck der Verfassungsgerichtsbarkeit war alles vertreten - und zwar sehr anschaulich "verpackt": verständlich, lebensnah und interessant.
Traditionell lädt der Lions Club Kronach mindestens einmal jährlich zu einer Publikumsveranstaltung ein, in der aktuelle Probleme reflektiert werden. Auch heuer hatten die Lions freunde ein gutes Gespür dafür, was die Menschen in unserer Region interessiert. Der große Zuspruch im historischen Rathaussaal eines überwiegend fachkundigen Publikums verdeutlichte dies. Freilich hatte man mit dem deutschen Rechtswissenschaftler und CSU-Politiker, der seit November 2010 Richter am Bundesverfassungsgericht ist und auch an der ESM-Entscheidung vom 12. September 2012 beteiligt war, einen hochkarätigen Referenten zu Gast.
Historisches Ereignis
Lions-Präsident Hans Hablitzel, der Huber ebenso wie Bürgermeister Wolfgang Beiergrößlein (FW) willkommen hieß, sprach in seiner Einführung daher von einem für Kronach fast schon historischen Ereignis.
"Wenn es ein Thema gibt, das sich wie ein ,roter Faden‘ durch die 60-jährige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zieht, dabei stets an Bedeutung gewonnen und praktisch alle Winkel unserer Verfassungsordnung durchdrungen hat, ist es Europa", so der Richter zu Beginn seiner Ausführungen, in denen er die Kompetenzfülle des Bundesverfassungsgerichts verdeutlichte. Heute gebe es kaum noch einen größeren Fall, in dem Europa keine Rolle spielte. Auch die wichtigsten Fragen der europäischen Integration landeten immer wieder vor dem Bundesverfassungsgericht: vom Maastrichter Vertrag über die Euro-Einführung und den Vertrag von Lissabon bis zum Euro-Rettungsschirm.
40 000 Beschwerdeführer
"Uns wäre es lieber, wenn nicht so viele Fälle an uns herangetragen würden. Wir mögen zwar mächtig sein, aber wir tragen auch große Verantwortung und befürchten, etwas falsch zu machen", räumte er ein. Die Deutschen setzten stärker auf das Recht als Konfliktlösung als andere Nationen und nutzten die Möglichkeit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Derzeit gebe es 40 000 Beschwerdeführer, die den ESM (Europäischen Stabilitätsmechanismus) für verfassungswidrig halten. Auch auf das Verhältnis beziehungsweise die Konfliktsituation zum Europäischen Gerichtshof kam Huber zu sprechen. Im Grundsatz seien namentlich die Mitgliedsstaaten der EU nach wie vor "Herren der Verträge", die nicht nur der deren Inhalt bestimmten, sondern sie auch aufheben oder ihren Geltungsbereich verlassen könnten. "Europa ist nicht nur zu einer Daueraufgabe für das Bundesverfassungsgericht geworden, sondern auch zu seiner größten institutionellen Herausforderung", resümierte Huber.
Als oberstes Verfassungsorgan des Bundes sei es auch von den Pressionen betroffen, die die Europäisierung auf das gewaltengegliederte System des Grundgesetzes insgesamt ausübe. Zugleich müsse es das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat bewahren und stabilisieren. Das alles erfordere Offenheit, Kommunikationsbereitschaft und Standfestigkeit. Konflikte seien nicht immer zu vermeiden, was aber nicht schlimm sei. Man müsse im Gespräch bleiben - mit der Öffentlichkeit, den anderen Verfassungsorganen sowie nationalen Verfassungs- und Obergerichten als auch den europäischen Institutionen.
Aus der Diskussion
In der Diskussion mit Peter Huber fragte Hubert Heckhausen, ob - im Fall eines Wahlsieges von Rot-Grün - die Einführung der Bürgerversicherung auf Grund zu erwartender Klagen wahrscheinlich letztlich in Karlsruhe entschieden werde. Dies wurde von Huber bejaht, der gleichzeitig betonte: "Wir machen keine Politik. Falsche Politik kann man nur an der Urne bekämpfen."
Stephanie Meisner-Neuberg erkundigte sich nach der Haltung im Senat bezüglich des Kommunalrechts beziehungsweise ob auch hier selbst bei eher "unwichtigeren" Angelegenheiten das Bundesverfassungsgericht bemüht werde. Der Referent entgegnete, dass man seitens des Gerichts nicht mehr mit viel Kommunalrecht zu tun habe. "Eine Entbürokratisierung ist nicht Aufgabe des Gerichts, sondern des Grundgesetzes", machte er deutlich.
Schließlich wurde noch die Frage aufgeworfen, ob eine direkte Wahl ins Europaparlament mehr Sinn mache als die bisherige Wahl über Listen. "Ich denke, dass die Abgeordneten zu weit entfernt von den Menschen sind. Es ist weniger Rückkoppelung vorhanden. Die Menschen würden schon lieber ihren europäischen Abgeordneten kennen.", so Huber. Die Abgeordneten machten aber zweifelsohne einen guten Job und seien oftmals konzentrierter als in nationalen Parlamenten.