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Überlastung und Gewalt: Polizisten im Dauerstress


Autor: Christian Pack

Bamberg, Dienstag, 10. November 2015

Immer mehr Einsätze, wachsende Respektlosigkeit: Physisch und psychisch wird der Dienst für Polizeibeamte zur Belastungsprobe. Eine junge Polizistin aus dem Landkreis Kronach musste dies schmerzhaft am eigenen Leib erfahren.
Feindbild Polizei: Bei Demonstrationen kommt es nicht selten zu schweren Ausschreitungen.  Foto: Boris Roessler/dpa


Es sind nur noch wenige Tage bis zum Weihnachtsfest, als Sandra Weber und ihre Kollegen 2013 für eine große Demonstration in Hamburg eingeteilt werden. Es geht um den Erhalt eines linken Kulturzentrums, über 7000 Demonstranten stehen knapp 2000 Polizisten gegenüber.

Die Stimmung ist von Anfang an aufgeheizt, irgendwann eskaliert die Situation. Böller, Steine und Rauchbomben fliegen und Sandra Weber erlebt das, wovor sich jeder Polizist fürchtet: Die heute 28-Jährige aus dem Landkreis Kronach wird von einem Stein am Kopf getroffen. Weber geht bewusstlos zu Boden, wird von ihren Kollegen aus dem Gefahrenbereich gebracht. "Sie waren meine Schutzengel", sagt die junge Polizistin heute.


Polizei wird als Gegner gesehen

Bei jährlich knapp 1,5 Millionen Einsätzen für Bayerische Polizeibeamte sind schwere Ausschreitungen wie die in Hamburg glücklicherweise die Ausnahme. Trotzdem hat sich die Ausgangslage für Polizisten gerade bei Veranstaltungen wie Demonstrationen oder Fußballspielen in den letzten Jahren verschärft. "Beleidigungen und Respektlosigkeit stehen an der Tagesordnung. Die Polizei wird sofort als Gegner gesehen", macht Wolfgang Sommer, Präsident der Bayerischen Bereitschaftspolizei, im Rahmen einer Arbeitstagung zum Thema Stressbewältigung im Polizeidienst am Standort in Bamberg deutlich.

Wichtig sei es deshalb, die Polizisten nicht nur umfassend auszubilden, sondern auch umfassend zu begleiten. Ein Netzwerk mit psychologischen Angeboten ist laut Sommer bayernweit vorhanden und würde auch in Anspruch genommen. Darüber hinaus käme den Vorgesetzten eine wichtige Rolle zu. "Sie müssen sensibel sein und die Kollegen unterstützen."


Extreme Belastung für die Familie

Trotz aller Unterstützung und einer vorbildlichen Ausbildung käme es letztlich aber auch auf jeden einzelnen an, in Stresssituationen adäquat und besonnen zu reagieren. "Wir sind auch nur Menschen und tagtäglich extremen Situationen ausgesetzt, die man in der Ausbildung einfach nicht durchleben kann", betont Sommer. Vieles im realen Polizeieinsatz sei psychisch belastend. "Man muss das aushalten können."

Aus Sicht des Polizeipräsidenten sei es in diesem Zusammenhang ein positives Signal, dass der Großteil der bayerischen Bevölkerung großes Vertrauen in die Polizei hat. "Das beweist, dass unsere Kollegen meist richtig reagieren. Man muss den Hut davor ziehen, mit welcher Gelassenheit sie agieren." Deren Einsatzbereitschaft dürfe man allerdings nicht überstrapazieren. "Manch einer arbeitet mehrere Wochenenden hintereinander. Das ist eine extreme Belastung für die Familie."

Sandra Weber hat der Steinwurf von Hamburg nicht aus der Bahn geworfen. Die Polizeibeamtin, die mittlerweile bei der Bereitschaftspolizei in München arbeitet, hatte sich damals nach kurzer Behandlung im Krankenhaus mit einer Gehirnerschütterung selbst entlassen. Bei der psychischen Bewältigung wurde sie von den Kollegen und ihrer Familie unterstützt. "Jeder verarbeitet so ein Erlebnis anders. Ich fühle mich heute charakterlich gefestigt."
Ganz vergessen wird sie die Erlebnisse aber wohl nie. "Wenn ich das Wort Hamburg höre, denke ich automatisch an das, was damals geschehen ist."