Wie ein Flugzeugabsturz bei Steinberg zu einem Kapellenbau führte
Autor: Bastian Sünkel
Kronach, Freitag, 07. August 2020
Dunkle Fischweiher, eine wuste Landschaft und eine mysteriöse Kapelle: Die zweite Etappe unserer Sommerwanderungen führt von Mitwitz nach Steinberg.
In der Sommerserie durchwandern die FT-Reporter den Landkreis von Süd nach Nord auf Nebenstraßen.Immer auf der Suche nach den Geschichten am Wegesrand. Wenn der Wanderer umkehrt, muss er sich nicht zwangsweise verlaufen haben. Er könnte auch spüren, dass er sich zu kurz an einem Ort aufgehalten hat, der etwas Verborgenes preisgeben will. Als ich umkehre, will ich mir noch einmal eine Kapelle und ein windschiefes Klavier ansehen, die zwischen Trebesberg und Steinberg am Wegesrand stehen. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, welche Geschichte sich dahinter versteckt - bis zwei Männer mich über eine fast vergessene Episode aufklären.
Aber bis dahin ist es ein weiter Weg. Am Ortsrand von Mitwitz weist ein Schild auf einen Fischschonbezirk hin. An der Brücke über die Föritz springt etwas ins Wasser. Ich sehe es nicht. Aber es hört sich wie etwas an, das zu groß ist für einen Fisch, der in die Föritz passt. Biber? Ich laufe etwas schneller weiter. Ein paar Höfe liegen an diesem trüben Tag neben den noch dunkleren Weihern auf der Strecke.
Sie heißen alle "Wustung". Ich kenne das Wort Wüstung: Ein Ort, den es einmal gab, den aber die ehemaligen Bewohner wegen des Dreißigjährigen Krieges, einer Epidemie, Unwirtschaftlichkeit oder Zwangsumsiedlung aufgegeben haben. Wustung bedeutet etwas ganz anderes. Krötendorfswustung und Schaumbergswustung sehen viel zu belebt für die Wüste aus. Drei Kinder brettern in letzterer mit ihrem Rad durch den Stall. Was Wustung wirklich heißt, lerne ich aber erst, als ich eine Nürnberger Nummer auf meinem Handy eintippe. 0911 und so weiter, die habe ich auf einem Info-Schild an einem Fischweiher abgelesen. Mittlerweile rufe ich also in Nürnberg an, statt Infos direkt vom Schild abzulesen.
Wustung statt Wüstung
Recht monoton antwortet eine Männerstimme vom Band, begrüßt mich aber herzlich als interessierten Passanten der Region Frankenwald/Thüringer Wald an den Fischweihern. Die Stimme spricht über Fischweiherwirtschaft und - wieder etwas gelernt - über das Wustungsgebiet. Zwischen Kaltenbrunn und dem thüringischen Rotheul liegen eine Menge Höfe (bis zu drei pro Wustung, sagt die Männerstimme), die ab dem 14. Jahrhundert auf sandigem Boden entstanden sind. Trotz weitaus schlechterer Bodenbedingungen haben die Bauern die Felder bestellt oder einen Fischweiher angelegt, was in der Gegend - Fischschonbezirk! Dunkle Weiher! - ja seit eh und je recht beliebt war und ist.
Der Boden knirscht tatsächlich unter den Füßen, als ich plötzlich auf einer Steinplatte stehe. Eine Eule auf einem Schild weist mich darauf hin, dass ich das nächste geschützte Gebiet betrete. Das sieht etwas wilder aus als die angelegten Fischweiher und die baumbefreiten Wustungen. Das Schild daneben erklärt mir auch warum. Ich passiere die einstige Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland oder zumindest bewege ich mich gerade genau auf dieser. Schöner Wandel: Todeszone wird Wanderweg.
Allerdings warnt mich das Schild auch davor, die Grenzer-Steinplatten zu verlassen: Die "grausame Grenze" war mit "Antipersonentretminen" ausgelegt. "Ein Teil dieser Minen konnte trotz mehrfacher Beräumungen nicht mehr aufgefunden werden." Das ist schade. Ich will nicht der erste sein, der 2020 in Deutschland an einer Antipersonentretminenexplosion stirbt. Außerdem denke ich, dass eher die Menschen grausam sind, die Grenzen bauen und Minen verlegen, als die Grenze an sich. Ich folge dem Weg.
Apropos DDR: Laut der monotonen Männerstimme sind einige Wustungen zwischen 1949 und 1990 in Thüringen verschwunden. Grund: Zwangsumsiedlung. So wird die Wustung zur Wüstung.