Druckartikel: Wie ein Flugzeugabsturz bei Steinberg zu einem Kapellenbau führte

Wie ein Flugzeugabsturz bei Steinberg zu einem Kapellenbau führte


Autor: Bastian Sünkel

Kronach, Freitag, 07. August 2020

Dunkle Fischweiher, eine wuste Landschaft und eine mysteriöse Kapelle: Die zweite Etappe unserer Sommerwanderungen führt von Mitwitz nach Steinberg.
Rudolf "Rudi" Höring und seine Tochter Anabel erzählen die Geschichte der sieben britischen Soldaten, die im Januar 1944 über Steinberg abgeschossen wurden. Zur Erinnerung erbaute er eine Kapelle. Foto: Bastian Sünkel


In der Sommerserie durchwandern die FT-Reporter den Landkreis von Süd nach Nord auf Nebenstraßen.Immer auf der Suche nach den Geschichten am Wegesrand. Wenn der Wanderer umkehrt, muss er sich nicht zwangsweise verlaufen haben. Er könnte auch spüren, dass er sich zu kurz an einem Ort aufgehalten hat, der etwas Verborgenes preisgeben will. Als ich umkehre, will ich mir noch einmal eine Kapelle und ein windschiefes Klavier ansehen, die zwischen Trebesberg und Steinberg am Wegesrand stehen. Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, welche Geschichte sich dahinter versteckt - bis zwei Männer mich über eine fast vergessene Episode aufklären.

Aber bis dahin ist es ein weiter Weg. Am Ortsrand von Mitwitz weist ein Schild auf einen Fischschonbezirk hin. An der Brücke über die Föritz springt etwas ins Wasser. Ich sehe es nicht. Aber es hört sich wie etwas an, das zu groß ist für einen Fisch, der in die Föritz passt. Biber? Ich laufe etwas schneller weiter. Ein paar Höfe liegen an diesem trüben Tag neben den noch dunkleren Weihern auf der Strecke.

Sie heißen alle "Wustung". Ich kenne das Wort Wüstung: Ein Ort, den es einmal gab, den aber die ehemaligen Bewohner wegen des Dreißigjährigen Krieges, einer Epidemie, Unwirtschaftlichkeit oder Zwangsumsiedlung aufgegeben haben. Wustung bedeutet etwas ganz anderes. Krötendorfswustung und Schaumbergswustung sehen viel zu belebt für die Wüste aus. Drei Kinder brettern in letzterer mit ihrem Rad durch den Stall. Was Wustung wirklich heißt, lerne ich aber erst, als ich eine Nürnberger Nummer auf meinem Handy eintippe. 0911 und so weiter, die habe ich auf einem Info-Schild an einem Fischweiher abgelesen. Mittlerweile rufe ich also in Nürnberg an, statt Infos direkt vom Schild abzulesen.

Wustung statt Wüstung

Recht monoton antwortet eine Männerstimme vom Band, begrüßt mich aber herzlich als interessierten Passanten der Region Frankenwald/Thüringer Wald an den Fischweihern. Die Stimme spricht über Fischweiherwirtschaft und - wieder etwas gelernt - über das Wustungsgebiet. Zwischen Kaltenbrunn und dem thüringischen Rotheul liegen eine Menge Höfe (bis zu drei pro Wustung, sagt die Männerstimme), die ab dem 14. Jahrhundert auf sandigem Boden entstanden sind. Trotz weitaus schlechterer Bodenbedingungen haben die Bauern die Felder bestellt oder einen Fischweiher angelegt, was in der Gegend - Fischschonbezirk! Dunkle Weiher! - ja seit eh und je recht beliebt war und ist.

Der Boden knirscht tatsächlich unter den Füßen, als ich plötzlich auf einer Steinplatte stehe. Eine Eule auf einem Schild weist mich darauf hin, dass ich das nächste geschützte Gebiet betrete. Das sieht etwas wilder aus als die angelegten Fischweiher und die baumbefreiten Wustungen. Das Schild daneben erklärt mir auch warum. Ich passiere die einstige Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland oder zumindest bewege ich mich gerade genau auf dieser. Schöner Wandel: Todeszone wird Wanderweg.

Allerdings warnt mich das Schild auch davor, die Grenzer-Steinplatten zu verlassen: Die "grausame Grenze" war mit "Antipersonentretminen" ausgelegt. "Ein Teil dieser Minen konnte trotz mehrfacher Beräumungen nicht mehr aufgefunden werden." Das ist schade. Ich will nicht der erste sein, der 2020 in Deutschland an einer Antipersonentretminenexplosion stirbt. Außerdem denke ich, dass eher die Menschen grausam sind, die Grenzen bauen und Minen verlegen, als die Grenze an sich. Ich folge dem Weg.

Apropos DDR: Laut der monotonen Männerstimme sind einige Wustungen zwischen 1949 und 1990 in Thüringen verschwunden. Grund: Zwangsumsiedlung. So wird die Wustung zur Wüstung.

Hinauf zur Muttergottes

Ein Mann warnt mich beim Gassigehen, dass sein wadenhoher, leinenloser Hund mich anspringen könnte. Sonst treffe ich niemanden. In Glosberg wird es nicht heller, aber heiliger. Ich passiere die Wallfahrtskirche, vorbei an den Steintafeln zur Lebensgeschichte Jesu, hinauf zur Kapelle und zur Muttergottes. Der Wanderweg heißt unumwunden Marienweg. Das passt. Am Rausch- und Trebesberg gibt es viele Kapellen, sehe ich auf der Karte. Ich entscheide mich für den Weg rechts vorbei an dem Ort Trebesberg. Es ist gut, dem Bauch zu vertrauen.

Dort liegt versteckt am Hang die Höringskapelle, benannt nach ihrem Erbauer Rudi Höring, 84, bekannt als Metzger in Kronach. Er erzählt, wie seine Mutter Anderl versucht hat, ihm und seinen Bruder - wahrscheinlich am 27. Januar 1944 - die Socken auf den Küchentisch anzuziehen. Die Familie soll in den Luftschutzbunker. Britische Bomber überfliegen Kronach. Die Brüder wehren sich gegen den Bunkerbesuch - als eine Explosion die Region erschüttert. Flugzeug- und Leichenteile stürzen in dieser Nacht über Steinberg, Trebesberg und Gries ab.

Ein Nachtjäger habe das britische Flugzeug abgeschossen. Davon geht Heimatforscher Klaus Sesselmann mittlerweile aus, der die Erzählung Hörings ergänzt. Auf einem Grabstein an der Wand steht die Geschichte der sieben toten Soldaten. Rudi Höring sagt, es war sein Wunsch als Christ, für Frieden und zur Erinnerung die Kapelle etwa im Jahr 1980 zu bauen. Es wird schnell deutlich: Das Ereignis hat sich als kollektive Erinnerung eingebrannt.

Schon 1944 habe es eine mutige Frau gegeben, die das Grab der Soldaten auf dem Steinberger Friedhof mit Blumen bepflanzt hat. Ihren Namen, Margarete Wich oder "Wagners-Redl", fanden die örtlichen Nazi-Schergen glücklicherweise nicht heraus. Sie hätte die Blumen mit ihrem Leben bezahlt.