Tausendjährige Eiche bei Kronach: Wenn Wurzeln sprechen könnten
Autor: Anna-Lena Deuerling
Oberlangenstadt, Freitag, 17. Mai 2019
Auch wenn sie nicht so alt ist, wie ihr Name suggeriert: Die Tausendjährige Eiche bei Schloss Nagel hat Kriege erlebt, dem Klimawandel getrotzt und ganze Epochen überdauert. Ein Porträt einer Zeitzeugin der besonderen Art.
Man kommt nicht umhin, die Eiche nahe dem Jagdschloss Nagel berühren zu wollen. Gedankenverloren gleiten die Hände über die raue, massive Borke, die an manchen Stellen bis zu 20 Zentimeter dick ist. Der Blick schweift nach oben, wo sich nach zehn Metern astfreiem Stamm die ersten Zweige anordnen. Sie sind nur die Ausläufer einer gewaltigen Baumkrone mit einem Durchmesser von knapp 22 Metern.
Unweigerlich muss man an das Klischee vom Naturfreund denken, der Bäume umarmt. Doch spätestens wenn man die Arme ausbreitet, um die Dimension dieser besonderen Eiche zu erfassen, wird klar: Mit einer Umarmung wird es bei diesem Stamm nichts. "Sieben Erwachsene oder 13 Kinder braucht es, um den Baum umfassen zu können", erklärt Cornelie Vormbrock begeistert. Zu überwinden gilt es einen Stammumfang von neun Metern und 52 Zentimetern.
Ein geschichtsträchtiger Baum
Gemeinsam mit ihrem Mann Rainer bewohnt sie das Jagdschloss Nagel seit 2010. Sie hat das Anwesen 1990 geerbt. Neben einem unbestreitbaren Händchen für Handwerk und Einrichtung - die Renovierung der unter Denkmalschutz stehenden Anlage hat das Paar fast vollständig in Eigenregie bewältigt - sind die Pädagogen auch stark an der Geschichte interessiert. Und Teil dieser Geschichte ist die Tausendjährige Eiche.
Besonders eine Erzählung taucht immer wieder auf: Nämlich, dass in Oberlangenstadt ursprünglich vier mächtige Eichen standen - nach den vier Himmelsrichtungen ausgerichtet, sollen sie einen germanischen Thingplatz gesäumt haben. Die Verbindung mit den heidnischen Zeiten lässt sich Rainer Vormbrock vielleicht noch eingehen, auch dass Eichen unumstritten eine besondere Bedeutung bei den Germanen hatten. Aber dass hier tatsächlich Gerichtsversammlungen nach dem alten germanischen Recht abgehalten wurden? "Alles Legende", ist das knappe Urteil des Pädagogen.
Einer weiteren Erzählung zufolge, sollen tief in der Eiche noch Überbleibsel aus dem Dreißigjährigen Krieg zu finden sein. "Im Stamm sollen noch Bleikugeln und Bolzen stecken", sagt Vormbrock. Da an der Oberfläche davon schon lange nichts mehr zu erkennen sei, könne man diese Zeitzeugnisse nur durch spezielle Verfahren sichtbar machen.
Von der "Verwundung" des Baumes schreibt auch Jeroen Pater in seinem Buch "Riesige Eichen". Der Niederländer war in den letzten 20 Jahren mehrmals zu Gast in Nagel. Als Liebhaber von Naturmonumenten und Buchautor erforscht er die Vergangenheit der "Waldriesen". Im Kapitel über das Nageler Exemplar schreibt er, dass das Schloss während des Dreißigjährigen Krieges von einem schwedischen General mehrere Monate erfolglos belagert und beschossen worden sei. Aus dieser Zeit sollen die verborgenen Überbleibsel aus Blei stammen.
Laut Pater ist die Eiche vermutlich noch viel älter, als offiziell geschätzt. Er begründet dies damit, dass der Baum nur sehr langsam wächst. Das hätten mehrere Messungen über die letzten 20 Jahre ergeben. Als Vergleichswert für seine These zieht er auch die einzig dokumentierte historische Messung aus dem Jahr 1937 heran. Damals wurde die Eiche im Rahmen des Reichsnaturschutzgesetzes in das Naturdenkmalbuch eingetragen. Der somit belegte, langsame Wachstum lässt ihn auf ein entsprechend hohes Alter kommen: 600 bis 750 Jahre könnte der Baum schon an Ort und Stelle stehen. Paters Fazit: "Ein internationales Naturdenkmal allerersten Rangs."