Suche Kinder, biete Glück: Pflegeeltern in Franken sind Mangelware
Autor: Stephan Großmann
Kronach, Donnerstag, 06. Dezember 2018
Sie konnten keine Kinder bekommen, nun haben sie gleich vier. Ein Kronacher Ehepaar kümmert sich um Kinder, die ein liebevolles Zuhause suchen. Kein Einzelfall in Franken - in der Region leben mehr als 3100 Kinder in einer Pflegefamilie.
Munter schwatzend drängen sie sich durch den Holztürrahmen in die Küche. Sie klauben die Reste des Brettspielnachmittags vom Esstisch, verteilen sechs Teller und nehmen schwungvoll Platz. Es gibt Nudeln, die Leibspeise von fast allen. Sie reden durcheinander, scherzen und lachen. Sie wirken glücklich. Meistens sind sie das auch. Für die vier Kinder, zwischen fünf und neun Jahre alt, deren Namen hier keine Rolle spielen sollen, ist das nicht immer selbstverständlich gewesen.
Das Familienglück gefunden haben die Kleinen bei Renate und Helmut Schulze ( Namen von der Redaktion geändert ) im Landkreis Kronach. Das Ehepaar kann auf natürlichem Wege keine Kinder bekommen, weshalb es sich dazu entschied, fremden Kindern ein liebevolles Zuhause zu bieten.
Das erste kam mit dreieinhalb Monaten zu den Schulzes. Das war vor knapp neun Jahren. "Die Kinder haben von Beginn an Mama und Papa zu uns gesagt", erzählt der Pflegevater stolz. Eines der Mädchen und einen Jungen haben sie mittlerweile adoptiert und gelten nun offiziell als deren Eltern. Die anderen beiden leben zur Pflege bei ihnen.
Nicht immer konfliktfrei
Bei der Vollzeitpflege bleibt das Sorgerecht bei den Eltern, die Pflegefamilie darf nur Alltägliches entscheiden. Ohrlöcher, Impfungen und neue Frisuren gehören nicht dazu - hierfür müssen sie eine Einwilligung einholen. Außerdem halten die leiblichen Eltern in der Regel Kontakt zu ihren Kindern. Das läuft nicht immer konfliktfrei ab. Und theoretisch kann es sein, dass die Kinder auch nach Jahren in der Pflegefamilie zu ihren leiblichen Eltern zurückkehren.
Familien wie die Schulzes sind Glücksfälle für die Kommunen. Die für die Kinder- und Jugendhilfe zuständigen Jugendämter freuen sich über jedes Kind, das sie in private Hände vermitteln können anstatt sie in ein Kinderheimen geben zu müssen. Ein Heimplatz kostet mehr als eine Pflegefamilie. Pro Fall fast das Vierfache. Und: "Kinder können leichter enge Bindungen zu Pflegeeltern als zu Betreuern aufbauen", sagt Margitta Schorn-Neuberth vom Pflegekinderdienst Bamberg. Das ginge umso leichter, je jünger die Kinder am Anfang sind.
Doch geeignete Paare zu finden, gestalte sich immer öfter schwierig, sagt sie. "Schwindendes Interesse ist gar nicht der Hauptgrund", sagt Schorn-Neuberth. In vielen Familien seien beide Elternteile berufstätig - da bleibt schlicht keine Zeit. Und manchmal müssen die Sozialarbeiter Bewerber ablehnen; etwa weil der pädagogische Hintergrund fehlt, finanzielle Mittel fehlen oder es in der Wohnung schlicht zu wenig Platz gibt.
Die Gründe, warum Kinder von den leiblichen Eltern getrennt werden, sind vielfältig. Drogen, Gewalt und Überforderung im Alltag spielen meist eine Rolle. In manchen Fällen sind die Kinder dermaßen traumatisiert, dass sich keiner traut, sich ihrer anzunehmen. Zwar unterstützen die Jugendämter, aber manchmal ist die Herausforderung zu groß. "Pflegekinder machen oft sehr belastende Erfahrungen: in der Herkunftsfamilie, bei den Übergängen und manchmal auch in der Pflegefamilie", erklärt Professor Klaus Wolf, Leiter der Forschungsgruppe Pflegekinder an der Universität Siegen. Etwa jedes zweite Kind sei traumatisiert. Das äußert sich auch im Verhalten. Nicht selten brechen Pflegeeltern ab, weil sie selbst überfordert sind. Um das zu vermeiden, prüfen die Sozialarbeiter die Bedingungen zwar vorab. Hundertprozentige Sicherheit aber gibt es nicht.