Druckartikel: Staatsanwalt fordert lebenslänglich für Andrea G.

Staatsanwalt fordert lebenslänglich für Andrea G.


Autor: Marco Meißner

Wallenfels, Freitag, 15. Juli 2016

Im Babymord-Prozess standen am Freitag die Plädoyers im Mittelpunkt. Die Verteidigung schätzte die Lage anders ein als die Staatsanwaltschaft.
Oberstaatsanwalt Martin Dippolt hat für die Angeklagte Andrea G. eine lebenslange Haftstrafe gefordert, Für deren Ehemann Johann G. hält er eine Freiheitsstrafe von vier Jahren für angemessen. Foto: Ronald Rinklef


Oberstaatsanwalt Martin Dippold sah im Prozess wegen vierfachen Kindsmordes gegen die 45-jährige Wallenfelserin Andrea G. die Schuld der Frau als erwiesen an. Dies zeigte sich in seinem Plädoyer am Freitag vor dem Coburger Gericht.

"Ist die Angeklagte ein liebes Mädel, so wie es ihr letzter Lebensgefährte gesagt hat? Oder ist sie eine eiskalte Mörderin, wie es ihre Mutter ausdrückte?" Diese Frage beantwortete sich Dippold selbst: "Ich bin der Meinung, sie ist eine Mörderin." Er sah es als erwiesen an, dass Andrea G. neben ihren heute lebenden Kindern weitere acht Babys zur Welt gebracht und vier davon lebensfähige erstickt hat. Dann habe sie die Leichen in der Sauna versteckt.

Das entsprechende Geständnis der 45-Jährigen sei glaubhaft, sagte Dippold. Allerdings konnte der Oberstaatsanwalt im Handeln der Angeklagten keine Kurzschlussreaktion sehen.

"Das halte ich für völlig unglaubwürdig", betonte er. Die Frau sei bei ihren Taten nicht weggetreten gewesen. Das Ehepaar habe keine Kinder mehr gewollt, das sei schon vorher klar gewesen. Und nach den vier Geburten der heute lebenden Kinder könne die 45-Jährige nicht überrascht gewesen sein. "Sie hat die Kinder absichtlich und mit Vorsatz umgebracht", war der Ankläger überzeugt. Und das ohne vom Ehemann genötigt worden zu sein, dafür aber aus niedrigen Beweggründen.
"So hart es klingen mag, es war die einfachste und billigste Lösung für die Angeklagte", betonte Dippold. Streng genommen habe sie von ihrer Einstellung her sogar acht Kinder auf dem Gewissen, denn wären mehr schreiend zur Welt gekommen, so hätte sie diese nach eigener Aussage ebenfalls getötet. Das Denken der 45-Jährigen schilderte er so: "Kind geboren, erstickt, aufgewischt - und weiter geht das Leben wie zuvor." Darin sah er einen Ausdruck der Gefühllosigkeit, Gleichgültigkeit und des Egoismus."

Die Angeklagte sei voll schuldfähig und habe sich des vierfachen Mordes schuldig gemacht, unterstrich der Oberstaatsanwalt, der angesichts des Umfangs der Tat auch eine besondere Schwere der Schuld erkannte. Daher forderte er eine lebenslange Freiheitsstrafe für Andrea G.

Beim Ehemann der Angeklagten erkannte Dippold ebenfalls eine Schuld. Johann G. hat nach der Überzeugung des Oberstaatsanwalts von den Schwangerschaften gewusst. Auch wenn ihm keine direkte Tatbeteiligung nachgewiesen werden könne, habe er seiner Frau doch eine gewisse Sicherheit vermittelt, weil er ihren Hinweisen auf die Schwangerschaften nicht nachgegangen sei und auch von sich aus keine Vorsorge beim Geschlechtsverkehr getroffen habe. Und der 55-Jährige habe auch nicht für die Kinder eingestanden. Er habe sich nie gefragt, wo die Babys sind, über die seine Frau gesprochen hat.


Strafrahmen

Dippold zeigte den Strafrahmen für Beihilfe zum Mord auf: sechs Monate bis elf Jahre und vier Monate. Da der Angeklagte - wie übrigens auch seine Frau - bisher unbescholten ist und er nicht aktiv an der Tat beteiligt war, hielt er eine Strafe von vier Jahren für angemessen. Zur Last legte ihm der Oberstaatsanwalt den langen Zeitraum, über den er nicht auf die Geschehnisse reagiert habe.

Der Verteidiger von Andrea G., Till Wagler, maß den Ausführungen des Anklägers einen "nahezu prophetischen" Charakter zu. In einem außergewöhnlichen Fall mache es sich Dippold damit zu leicht. Man müsse hinter die Kulissen blicken. "Taten, die ich beschreiben kann, spielen mit dem Schrecken", hielt Wagler fest. Diesen Schrecken müsse man zur Seite schieben, um einen professionellen Blick auf die Ereignisse zu gewinnen.

Wagler zweifelte bereits an der Zahl von vier Tötungen. Er selbst gehe von drei Fällen aus. Seine Mandantin habe sich regelrecht in einem Zyklus des Schwangerseins, des Gebährens und des Versteckens der Kinder befunden. "Schwangersein war der Normalzustand", unterstrich der Verteidiger. Dass die Frau die Umstände einer Schwangerschaft kannte, hielt er dabei nicht für ein Ausschlusskriterium für ein Verdrängen ihres damaligen Zustands. Im Gegenteil. "Ein Verdrängen ist nur bei etwas möglich, das man kennt."

Was die Einblicke in das Familienleben und die Kritik an der 45-Jährigen im Haushalt betrifft, stellte Wagler ein gewisses "Schwarmbewusstsein" unter dem Druck der Öffentlichkeit bei den Zeugen fest. Er hinterfragte, wie objektiv solche Angaben aus dem Familienkreis sein können, zumal das Miteinander ja elf Jahre funktioniert habe.

Gute Problemlösungskompetenzen könne er bei der 45-Jährigen nicht entdecken. Einzige Ansprechpartner in dem "Ausnahmezustand" seien ihre Mutter und ihr Ehemann gewesen - zwei Menschen, zu denen die Angeklagte eine gestörte Beziehung beschrieben habe. Sie habe sich daher mit ihren Problemen niemandem öffnen können. Ihr Mann habe ihr hingegen sehr deutlich gemacht: "Keine Kinder mehr!" Nach einem heftigen Streit habe sie dann getan, was sie zur Problembewältigung so oft tue - nichts. Sie habe nicht gewusst, wohin mit den Problemen und habe die Schwangerschaften verdrängt. "Das ist doch keine Geschichte, die sich meine Mandantin - die dazu gar nicht in der Lage wäre - ausdenkt", so Wagler. Vielmehr handle es sich um ein erforschtes Phänomen, dass in die Tötung des Kindes gemündet sei.


Soziale Isolation

Wagler sah im Handeln seiner Mandantin in einer Situation der fortwährenden sozialen Isolation bei der ersten Tötung keinen Mord, sondern einen minderschweren Fall des Totschlags. Bei den folgenden Fällen - seiner Ansicht nach ebenfalls Totschlagsdelikte - müsse das Gericht entscheiden, ob sich die Situation geändert habe oder auch dies minderschwere Fälle seien. "Finden Sie ein gerechtes Urteil", bat Wagler ans Gericht gewandt, die vielen Facetten des Falles zu berücksichtigen.


Appell ans Richtergremium

Für den 55-jährigen Angeklagten sprach Rechtsanwalt Hilmar Lampert. Er ging auf eine objektive Beantwortung der Frage ein, ob die Vorkommnisse rund um die acht Geburten wirklich unbemerkt von seinem Mandanten geblieben sein konnten. Vor allem an die drei Frauen im fünfköpfigen Richtergremium richtete er die Aufforderung, eigene Erfahrungen mit Schwangerschaften dabei nicht zur allgemeinen Grundlage für die Urteilsfindung zu machen.

Rückblickend auf die Beweisaufnahme unterstrich der Verteidiger, dass Andrea G. körperliche Auffälligkeiten bei den Schwangerschaften kaschiert und mit anderen Umständen erklärt habe. "Es waren Erklärungen, dass keine Schwangerschaft besteht", sagte Lampert. Sie selbst habe die Schwangerschaften ja erst spät bemerkt, dann könne man seinem Mandanten daraus keinen Vorwurf stricken. Auch die Zeugen hätten die Schwangerschaften nicht wahrgenommen. Zudem sei der 55-Jährige davon ausgegangen, dass eine Sterilisation bei seiner Frau vorgenommen worden sei.

Auch an den Angaben der Angeklagten, wann sie ihren Mann über die Schwangerschaften informiert hat, hegte Lampert Zweifel. "Aus meiner Sicht konnte im Rahmen der Beweisaufnahme in keinster Weise festgestellt werden, dass Frau G. überhaupt solche Andeutungen gemacht hat, und falls doch, wie diese bei meinem Mandanten angekommen sind", meinte Lampert mit dem Hinweis auf "Kommunikationsprobleme" in der Ehe und Gespräche unter Alkoholeinfluss.

"Beihilfe erfordert vorsätzliches Handeln, das kann ich nicht erkennen", betonte Hilmar Lampert. Daher forderte er einen Freispruch für seinen Mandanten.