Druckartikel: So erleben ehemalige FT-Mitarbeiter die Corona-Krise in Großstädten

So erleben ehemalige FT-Mitarbeiter die Corona-Krise in Großstädten


Autor: Marco Meißner

Kronach, Donnerstag, 19. März 2020

Marian Hamacher erlebt in Köln einen Alltag, der die Stadt in einem ungewohnten Licht präsentiert. Seine früheren Kollegen berichten aus Berlin und Ingolstadt.
Geschlossene Geschäfte und eine vergleichsweise leere Innenstadt erlebt Marian Hamacher zurzeit in Köln. Fotos: Marian Hamacher


Anna-Lena Deuerling, Marian Hamacher, Hendrik Steffens - das sind die Namen dreier Kollegen, die in den vergangenen Jahren in der Kronacher Redaktion des Fränkischen Tags mit großem Engagement für unsere Leser gearbeitet haben. Heute leben Sie Hunderte Kilometer entfernt, doch der Kontakt ist nicht abgerissen. Sie erzählen, wie sie das Leben in Berlin, Köln und Ingolstadt wahrnehmen.

Wir erwischen Marian Hamacher in Köln auf dem Heimweg von der Arbeit. "Ich finde, es fühlt sich ziemlich unwirklich an", schildert er seinen Eindruck vom Gang durch die Innenstadt. Ab und zu müsse er mal einem einzelnen Passanten oder Radfahrer ausweichen, doch vom Trubel vor Corona sei das Herz der Metropole meilenweit entfernt. "Da fehlen die Schulkinder und die Eltern, die bereits von zu Hause aus arbeiten", vermutet er den Grund.

Fast schon gespenstisch sei die Fahrt in U- und S-Bahn. "Da hat im Prinzip jeder ein Viererabteil für sich", erzählt er. Und auf dem sonst überfüllten Park-and-ride-Parkplatz stehe sein Wagen mit nur einer Handvoll Autos in der ersten Reihe.

Zwischen Panik und Leichtsinn

Menschen mit Schutzmaske begegnen ihm nur ganz sporadisch. Hier einer, dort zwei, berichtet er, als er sich dem Bahnhof nähert. Überhaupt sei das Verhalten seiner Mitmenschen gleich dem in einer Grauzone. Auf der einen Seite sieht er jemanden mit Gummihandschuhen, nicht weit entfernt greife jemand ganz selbstverständlich zum Handlauf der Rolltreppe. "Es gibt kein Schwarz oder Weiß", sagt Hamacher. Jeder suche derzeit noch seinen eigenen Kurs in der Krise.

Mit einem Schmunzeln erinnert er sich an eine kürzliche Zugfahrt. Die zeigte, wie bei manchem Mitbürger die Nerven blank liegen. "Ich habe mir bloß einmal im Abteil die Nase geputzt. Da war noch eine Frau mit drin, die hat sofort Reißaus genommen." Auch morgen will Hamacher wie gewohnt zur Arbeit gehen, obwohl ihm die Möglichkeit zum Homeoffice inzwischen eingeräumt wurde. Dann wird er wieder viele Mails abrufen. "Und es gibt keine einzige", sagt er mit einem Lächeln, "die ohne eine Bemerkung bleibt wie: Bleibt gesund! Seid tapfer! Passt auf Euch auf!"

Zwei Seiten der Medaille

Schwenk nach Berlin: Dort erlebt die Mitwitzerin Anna-Lena Deuerling eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, wenn es um den solidarischen Kampf gegen die Seuche geht. Auf ihrem Weg mit dem Rad zur Arbeit habe sie Wohngebiete passiert, in denen kaum Leute auf der Straße zu sehen waren. Um ihre Arbeitsstätte herum - direkt an einem Touristen-Hotspot gelegen - sei die Ruhe fast schon gespenstisch gewesen. Ein ganz anderes Bild bot sich ihr unterwegs am Gleisdreieck-Park. "Da herrschte fast schon Frühlingsstimmung", erzählt sie ungläubig. Die Menschen hätten dort in Massen die Sonne genossen. "Diese Leute scheinen den Schuss nicht gehört zu haben!" Ähnlich habe sie die Schließung der Bars in der Hauptstadt erlebt. "Da herrschte fast Endzeitstimmung." Um solche Menschen vom Rausgehen abzuhalten brauche es wohl wirklich eine Sperre und die staatliche Kontrolle.

Auch in ihrem eigenen Alltag erfährt sie solche Unterschiede. Einerseits sei schon vor Wochen ein Mann mit asiatischem Einschlag in ihrem Umfeld krumm angeschaut worden, nur weil das Virus gerade in China aufgetaucht sei. Andererseits saß ihr gerade erst ein Kunde in der Schlange vor der Supermarktkasse im Nacken, offenbar ohne sich Gedanken über Ansteckungsgefahren zu machen.

Sie selbst hat die gedankliche Umstellung auf einen privaten Ausnahmezustand bereits hinter sich. "Bis zum Wochenende haben wir noch Scherze gemacht", erinnert sie sich. Dann ging es sehr schnell. "Heute sehe ich das schon etwas anders. Ich dürfte von zu Hause aus arbeiten, was ich jetzt allerdings noch nicht tue, abends geht man nicht mehr aus und auch zum Sport geht's nicht mehr weg."

Es fällt schwer, ein anderes Thema zu finden

Und wie sieht's im täglichen Miteinander aus? "Wir haben versucht, mal über etwas anderes als das Thema ,Corona‘ zu reden - aber es fällt ziemlich schwer."

Genauso beschreibt Hendrik Steffens die Situation in Ingolstadt. In der Draufsicht sehe das Leben in der Innenstadt wie immer aus, nur dass weniger Leute unterwegs seien. "Im Detail hat sich vieles verändert: Spielplätze und einige öffentliche Freizeiteinrichtungen sind gesperrt oder geschlossen. In den Bussen, mit denen ich bis Dienstag noch täglich zum Bahnhof gefahren bin, sind die Führerkabinen mit rotem Plastikband isoliert. Beim Optiker gab es gestern eine Einlasskontrolle, da nicht mehrere Kunden gleichzeitig in das Geschäft sollten. Und im Supermarkt waren auch in Ingolstadt Mehl und Toilettenpapier ausverkauft."

Derartige, für alle völlig neue Situationen, veränderten die Atmosphäre. "Aus meinem Umfeld und den lokalen Medien bekomme ich zudem mit, dass die Sorge um die Verfassung des mit Abstand größten Arbeitgebers der Region zunimmt. Das könnte die Atmosphäre noch deutlich eintrüben."

Vernünftiges Verhalten

Bisher reagieren die Menschen seiner Ansicht nach weitgehend mit Vernunft auf die aktuellen Entwicklungen. Trotz des guten Wetters sei die Innenstadt nach dem Feierabend deutlich leerer als gewohnt. Er habe vereinzelte Jogger gesehen, aber nach Eisessen oder Sonnenbaden habe offenbar niemandem der Sinn gestanden.

Neben allen Markierungen und Absperrbändern gibt auch der eigene Kopf Hendrik Steffens mittlerweile einen neuen Takt in manchen Alltagssituationen vor. "Ich merke an mir selbst: Wenn ich älteren Menschen auf der Straße begegne, versuche ich bewusst, Distanz zu wahren. Ich möchte im Fall einer eigenen Infektion mit dem Virus niemanden anstecken. Die Sensibilität hat sehr zugenommen."

Sorge um die Industrie

Und wie blickt die Bevölkerung in Ingolstadt nun in ihre eigene Zukunft: mit Trauer, mit Wut, mit Trotz? "Ich kann nur für mein direktes Umfeld sprechen. Bei den Angestellten in der Autoindustrie nimmt die Sorge langsam zu. Und bei den Selbstständigen, denen bis zu 100 Prozent ihrer Aufträge Wegbrechen, überstrahlt die wirtschaftliche Unsicherheit gerade alles." Trotzdem zeige jeder Verständnis für die drastischen Maßnahmen gegen die Pandemie. "Ärger über Verzicht habe ich noch nicht wahrgenommen."

Die Angst davor, sich anzustecken, stelle sich bei ihm und in seinem Umfeld so dar, dass sich die Jüngeren um die Älteren sorgten. "Deshalb halten wir uns an Empfehlungen, hoffen auf kluge Entscheidungen in Bund, Land und Kommunen und blicken mit verhaltenem Optimismus nach vorn!"