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Schöffenwechsel in Kronach: Wenn das Amt in der Familie bleibt


Autor: Marian Hamacher

Kronach, Dienstag, 20. November 2018

Seine letzte Verhandlung hat er hinter sich: Nach 18 Jahren an den Gerichten in Kronach und Coburg hört der Nordhalbener Michael Wunder als Schöffe auf. Das Kuriose: Seine Nachfolgerin wird seine Tochter Marie-Therese.
26 Jahre nach seinem ersten Fall als Schöffe verlässt Michael Wunder (rechts) das Jugendschöffengericht. Trotzdem möchte er auch zukünftig als ehrenamtlicher Richter tätig sein - allerdings nicht mehr im Strafrecht. Foto: privat


Sein erster Fall? So ganz spontan? Direkt ins Gedächtnis will er ihm nicht kommen. "Der war 1993. Aber worum genau es da ging? Da muss ich mal in meinen Unterlagen gucken", sagt Michael Wunder und schnappt sich einen Aktenordner aus dem Regal. 26 Jahre ist es her, dass der Nordhalbener erstmals als Schöffe (siehe Infokasten) am Kronacher Jugendgericht neben einem Richter Platz nahm - und die erste Seite seines Ordners anlegte.

Der richtige Zeitpunkt

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Die ist schnell gefunden. Sonderlich überrascht ist der 54-Jährige vom Ergebnis seiner kurzen Suche nicht: Verstoß gegen den Besitz von Betäubungsmitteln. Der Klassiker. Der Angeklagte wurde mit mehreren Tabletten Ecstasy erwischt, der synthetischen Mode-Droge der 90er Jahre. Das Resultat: eine Bewährungsstrafe. "Um Betäubungsmittel ging es wahrscheinlich in den meisten Fällen, an denen ich beteiligt war", erinnert sich Wunder. Und wenn mal nicht Drogen der Grund dafür waren, dass die Staatsanwaltschaft aktiv wurde, waren es Unfälle, Diebstähle, Körperverletzungen, Beleidigungen - oder Betrügereien.

So wie bei jener Angeklagten, die im Internet Handys und Verträge verkauft hat, aber gar nicht erst daran dachte, diese an ihre Kunden auch zu liefern. Aktionen, die ihr eine 16-monatige Bewährungsstrafe einbrachten. Details, die Wunder diesmal sofort parat hat. Kein Wunder, schließlich ist die Verhandlung keine zwei Wochen her. Das Besondere: es war Wunders letzte. 26 Jahre nach seinem ersten Fall ist Schluss. "Wenn man mal über 50 ist, geht der Kontakt zur Jugend vielleicht auch etwas verloren. Daher ist es jetzt der richtige Zeitpunkt, beim Jugendschöffengericht aufzuhören", meint Wunder, der hauptberuflich als Industriemeister bei der Fernwasserversorgung Oberfranken (FWO) arbeitet.

Trotzdem taucht sein Nachname auf der Liste jener zehn Hauptschöffen auf, die zum 1. Januar 2019 in ihre fünfjährige Amtsperiode starten. Wieder stimmte der Wahlausschuss für Wunder. Doch diesmal in Kombination mit dem Vornamen Marie-Therese. Seine Tochter.

Die Juristerei habe sie schon immer interessiert, erzählt die 27-Jährige: "Ich habe auch lange überlegt, ob ich nicht Jura studieren soll, aber dann ist es doch BWL geworden." Es sei schon eine große Ehre, bald als ehrenamtliche Richterin tätig sein zu dürfen. Das freue sie zwar, "auf der anderen Seite habe ich aber Respekt vor dem Amt und hoffe, dass ich es gut ausfüllen werde."

Gelingt ihr das und findet sie Gefallen daran, darf sie sich als Schöffin so oft zur Wahl stellen wie sie will. Vor ein paar Jahren sah das noch anders aus. Erst wurde die Wahlperiode von vier auf fünf Jahre verlängert und dann jene Regel abgeschafft, die vorsieht, dass ein Schöffe nach zwei zusammenhängenden Perioden mindestens eine aussetzen muss. "Das hat man aufgeweicht, weil manche Kommunen keine Kandidaten mehr fanden, die sie als Schöffen vorschlagen konnten", sagt Jürgen Fehn. Probleme, die es in Kronach nicht gebe. Seit er Direktor des Kronacher Amtsgerichts ist, habe es immer ausreichend Bewerber gegeben.

Was eine Ausnahme war

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Für Michael Wunder hatte die alte Regelung die Folge, dass er in den 26 Jahren auf "nur" 18 Jahre im Amt kommt. Jeweils neun in Kronach und in Coburg. In der Vestestadt war es auch, wo er jene Prozesse erlebte, für die er keinen Blick in den Aktenordner werfen muss, um die Erinnerung aufzufrischen. "Manches geht einem schon nahe", sagt der 54-Jährige. "Da geht man dann schon sehr nachdenklich aus der Verhandlung raus."

Etwa aus dem sogenannten Jerry-Prozess. Elf Tage lang wurde 2012 am Landgericht der Fall des damals 21-jährigen Jerry J. verhandelt, der sich mit einer 16-Jährigen bei Facebook verabredet hatte und diese während des ersten Treffens tötete. Wegen Totschlags verurteilte ihn das Gericht zu einer Haftstrafe von elf Jahren und sechs Monaten. Ein Fall, der im Vorfeld ein so großes Medienecho erzeugte, dass Michael Wunder schon vor dem ersten Verhandlungstag wusste, worum es gehen wird. Eine Ausnahme.

Denn vorbereiten soll er weder sich noch irgendeinen Teil der Verhandlung. Dafür gibt es schließlich die hauptberuflichen Richter. Die Aufgabe der Schöffen ist eine andere. "Wenn die Urteile im Namen des Volkes gesprochen werden, dann soll das Volk auch an der Rechtsprechung beteiligt sein", erklärt Jürgen Fehn, den Grundgedanken des Gesetzes. Die Schöffen sollen durch ihre Lebens- und Berufserfahrung dazu beitragen, dass ein gerechtes Urteil gefunden wird.

Mit dem Strafrecht abgeschlossen

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Marie-Therese Wunder hat schon einige solcher Erfahrungen gesammelt; in ihrem Beruf als Personalreferentin, ehrenamtlich beim BRK oder im Vorstand des ATSV Nordhalben. "Ich bin von meinem Alter her noch näher an den Jugendlichen dran", sagt die 27-Jährige, die hofft, dass es ihr daher leichter als anderen fällt, sich in die Angeklagten hineinzuversetzen und zu verstehen, wie es zu einer Tat kommen konnte.

Tipps von ihrem Vater habe sie sich bislang bewusst keine geholt. "Ich möchte in die Sache völlig unvoreingenommen reingehen und mir ein eigenes Bild machen", sagt sie. Michael Wunder hat mit dem Strafrecht nun zwar abgeschlossen, denkt aber schon an seine nächste Amtszeit als Schöffe. Beim Verwaltungsgericht in Bayreuth. Zur Wahl möchte er sich definitiv stellen. Ein neuer Aktenordner steht sicher schon bereit.

Hintergrund: So werden aus Bürgern ehrenamtliche Richter

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Der Name Schöffe leitet sich von dem althochdeutsch Wort "sceffino" ab, was "der Anordnende" bedeutet - und damit tatsächlich ziemlich nah am eigentlichen Aufgabenbereich liegt. Denn das Urteil verkündet zwar ein hauptberuflicher Richter, ein Schöffe hat als ehrenamtlicher Richter über die Schuld- und Straffrage allerdings dasselbe Stimmrecht. Der vorsitzende Richter kann daher mit den Stimmen der Schöffen überstimmt werden. Für das Kronacher Jugendschöffengericht werden alle fünf Jahre zehn Haupt- und zehn Hilfsschöffen gewählt. Während in Deutschland bei jeder anderen Gerichtsform das Geschlecht der Schöffen egal ist, macht das Gesetz beim Jugendschöffengericht einen Unterschied. Dort müssen jeweils fünf weibliche und männliche Schöffen gewählt werden. Zu Beginn eines jeden Jahres werden dann stets ein Mann und eine Frau ausgelost, die ein festes Schöffenpaar bilden. Jedes dieser Paare nimmt alle fünf Wochen an einer Verhandlung teil. Fällt jemand kurzfristig aus, schlägt die Stunde der Hilfsschöffen.

Auch bei der Wahl der Schöffen gibt es Unterschiede zwischen Strafgerichten und Jugendgerichten. Normalerweise sind es die Kommunen, die dem sogenannten Schöffenwahlausschuss Kandidaten vorschlagen. Für das Jugendschöffengericht sucht allerdings das Kreisjugendamt geeignete Kandidaten aus, die sich der Wahl stellen.

Der Wahlausschuss setzt sich aus sieben Mitgliedern des Kreistags, dem Landrat oder einem seiner Stellvertreter sowie einem hauptamtlichen Richter zusammen.