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Riesenbrand vernichtet Ölfabrik


Autor: Gerd Fleischmann

Kronach, Freitag, 05. August 2016

Beim Inferno am 10. Juni 1954 in der Nähe des Kronacher Bahnhofs bestand stundenlang die Gefahr einer Explosionskatastrophe.
Innerhalb weniger Minuten glich am 10. Juni 1954 das Mineralölwerk Voitländer in Kronach, an der Bahnstrecke München-Berlin gelegen, einem Inferno. Durch die ungeheure Hitze bog sich ein Hochspannungsmast für die elektrische Oberleitung (linke Bildseite).  Repro: Gerd Fleischmann


Die Kreisstadt Kronach erlebte am 10. Juni 1954 ein Inferno, das in der Erinnerung vieler Menschen bis heute noch weiterlebt: Das 1910 an der Bahnstrecke München-Berlin erbaute Mineralölwerk Franz Voitländer GmbH wurde durch einen Riesenbrand ein Raub der Flammen. Der Schaden betrug damals zwei Millionen Mark. Die jetzt 173 Jahre alte Firma erlebte in ihrer langen Geschichte an jenem denkwürdigen Donnerstag ihre schwärzeste Stunde.
Das außergewöhnliche Brandobjekt erwies sich als äußerst brisant: Die Lucas-Cranach-Stadt schlitterte haarscharf an einer Explosionskatastrophe vorbei. Durch ihr beherztes, ja wagemutiges Eingreifen verhinderten Feuerwehren, Bundesgrenzschutz und auch die Besatzung eines US-Tanklöschfahrzeugs aus Breitengüßbach Schlimmeres. Immer wieder flogen explodierende Ölfässer durch die Luft und behinderten den Einsatz der Rettungskräfte.
Als am Donnerstag, 10.

Juni 1954, wenige Minuten vor 12 Uhr die Alarmsirenen aufheulten, mochten viele Kronacher meinen, es handle sich um einen auf die Mittagsstunde angesetzten Probealarm. Doch wenige Minuten später kündigten unheildrohende, weithin sichtbare pechschwarze Rauchwolken vom Unheil. In Windeseile hatte es sich herumgesprochen: Das Mineralölwerk Voitländer steht in Flammen.


Größte Herausforderung

Binnen weniger Minuten war die Kronacher Feuerwehr unter der Leitung von Kommandant Konrad Hugel mit allen verfügbaren Löschzügen zum Brandplatz geeilt. Die größte Herausforderung in ihrer langen Geschichte stand ihnen nun bevor. Die örtlichen Werkfeuerwehren von Loewe Opta, BayWa, Rosenthal und Kronacher Porzellanfabrik beteiligten sich ebenfalls tatkräftig am Löschen. Auch der am Schützenhaus zufällig stationierte Bundesgrenzschutz kam schnellstens zu Hilfe. In kurzer Zeit trafen Wehren aus Oberlangenstadt, Küps, Wallenfels, Coburg, Lichtenfels, Bamberg, Tüschnitz und Staffelstein ein. Dazu kam die US-Feuerwehr Bamberg. An zwei Tagen kämpften 184 Feuerwehrleute tapfer gegen das Inferno aus Hitze, Flammen und Rauch.
Das Brandobjekt versprach nichts Gutes, denn stundenlang schwebte die Gefahr einer schweren Explosionskatastrophe über der Stadt Kronach. Ständig erschütterten kleinere, dumpfe Explosionen die grauenhafte Szenerie. Mitunter wurden Fässer und Trümmer hoch in die Luft geschleudert.


Leicht brennbares Material

Bei der Art der leicht brennbaren Materialien, die in einem Ölwerk lagern, griff binnen weniger Minuten das Feuer so rasend schnell um sich, dass die Löscharbeiten sehr stark erschwert wurden. Vor allem waren es die ungeheure Hitze und die dichte, qualmige Säule beißenden Rauches, die es den Wehrmännern kaum möglich machten, nahe an die Brandstelle heranzugehen. Umso mehr verdiente die Arbeit der unter Lebensgefahr mutig vorgehenden Feuerwehrleute sowie der anderen Helfer Anerkennung. Auch das Rote Kreuz war mit allen verfügbaren Kräften bald zur Stelle und hatte sich auf den Ernstfall optimal vorbereitet. Eine wichtige Aufgabe der Rettungskräfte war es vor allem, gefährdete Ölfässer in Sicherheit zu bringen und die Kesselwagen abzukühlen.
Die Bundesstraße musste in weitem Abstand abgesperrt werden, denn es waren sekündlich größere Explosionen zu erwarten. Vorsichtshalber ließ man auch das Haus Gleitsmann am Hasslacher Bergsteig räumen. Auf Grund der Nähe zur Bundesbahn griff der Brand auch auf den Bahnkörper über. Auf mehreren Gleisen brannten die Schwellen. Ein Hochspannungsmast bog sich auf Grund der enormen Hitzeentwicklung und riss die elektrische Leitung herunter. Dadurch wurde die Zugverbindung unterbrochen.
Dank der Vorsichtsmaßnahmen konnten Zugunfälle verhindert werden. Die Bahnverantwortlichen reagierten schnell. Bereits um 11.58 Uhr wurden die Fahrleitungen abgeschaltet. Der gesamte Zugverkehr kam zum Erliegen. Ein zu erwartender D-Zug wurde in Küps gestoppt. Er war mit etwa 600 Personen besetzt. Durch Omnibusse musste nun zwischen Küps und Kronach der Betrieb im Pendelverkehr aufrechterhalten werden. In Richtung Norden konnten die Reisenden ab Bahnhof Kronach weiterbefördert werden. Schnellstens wurden Dampflokomotiven aus Lichtenfels und Pressig nach Kronach beordert. Erst als der Brand einigermaßen eingedämmt war und größere Zuggefährdungen nicht mehr zu befürchten waren, konnten die beiden D-Züge 1049 und 1050 mittels Dampfloks durchgelassen werden.


Fahrleitungen schmolzen

Durch den sofortigen Einsatz aller verfügbaren Kräfte der Bundesbahn wurde mit der Reparatur der zum Teil geschmolzenen und heruntergerissenen Fahrleitungen begonnen, so dass um 19.10 Uhr bereits der erste fahrplanmäßige elektrische Betrieb wieder rollen konnte. Schon um 15.25 Uhr aber wurde der Mittagsinterzonenzug nach Erfurt mit einer Verspätung von zweieinhalb Stunden mit einer vorgespannten Dampflokomotive an der noch brennenden Fabrik vorbeigezogen.
Der Brand war nicht - wie zuerst angenommen - in einem der Kesselwagen entstanden, sondern in dem Raum im Hof der Fabrik, der für die Reinigung der Fässer bestimmt war. Dort war kurz vor Mittag ein Arbeiter mit dem Reinigen beschäftigt, als sich plötzlich ein Fass mit hoher Stichflamme entzündete. In der Nähe stehende Arbeiter ergriffen sofort die Minimax-Apparate. Diese reichten aber nicht aus, so dass sich, begünstigt durch den Wind, das Feuer rasch auf den Hof und auf die Laderampe ausbreiten konnte und sofort die Waggons ergriff, die dort standen. Das Feuer war innerhalb weniger Sekunden so stark, dass wegen der Gefährdung von Menschenleben nicht daran gedacht werden konnte, die brennenden Waggons wegzuziehen.
Glücklicherweise wurde trotz der ungeheueren Rauch- und Hitzeentwicklung nur ein Arbeiter verletzt. Er konnte nach Anlegen der ersten Verbände im Krankenhaus in seinen Heimatort Thonberg entlassen werden. Leider reichten bei der Wucht und Stärke des Feuers die Schaumlöschgeräte bei Beginn nicht aus, so dass die Öllager im Mittelgebäude vollkommen vernichtet wurden. Doch konnte durch den hervorragenden Einsatz der fast 200 Wehrleute das nach der Stadt zu liegende Seitengebäude zum größten Teil gerettet werden.
Und gerade in diesem Teil erfolgte die Herstellung der für die heimische Porzellanindustrie notwendigen Spezialöle. Durch die Konzentration aller Wehren auf die Rettung der großen unterirdischen Tanklager mit Ölen und anderen leicht brennbaren Materialien konnte die größte Katastrophe, die stundenlang über der Stadt schwebte - die Totalexplosion oder wie man es heute sagen würde, der Supergau, verhindert werden. Auch die noch an der Rampe stehenden, mit Schweröl gefüllten Kesselwagen wurden dadurch gerettet.
Bereits am Donnerstagnachmittag begaben sich Oberstaatsanwalt Herold und die Sachverständigen der Kriminalaußenstelle Coburg an den Brandplatz, um die ersten Ermittlungen aufzunehmen. Ihnen bot sich ein Bild des Grauens. Noch am Freitag hatte das Schwelen in den großen Brandflächen nicht aufgehört. Gegen Mittag stürzten die noch stehenden Gebäudeteile des ausgebrannten Mitteltraktes in sich zusammen.


Schwierige Zeiten

Für die Unternehmer Franz, Hans und Rolf Voitländer begannen nun äußerst schwierige Zeiten: sie mussten improvisieren. Wenige Tage später wurde unter schwierigsten Bedingungen teilweise mit der Arbeit begonnen. Schließlich waren die heimischen Porzellanfabriken auf die hochwertigen Spezialanfertigungen der Stanz- und Formenöle der Firma Voitländer angewiesen. Nach umfangreichen Standortdebatten im Kronacher Stadtrat begann man zügig mit dem Wiederaufbau der Fabrikationsanlage. 1956 erfolgte dann die Einweihung.