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Richter schließen Anwalt aus


Autor: Katja Nauer

Coburg, Freitag, 16. Sept. 2016

Bei der Verhandlung gegen einen 31-jährigen Versicherungskaufmann schließen die Richter den Rechtsbeistand aus. Die Vernehmung des Mannes platzte damit.
Der Eingang zum Coburger Justizgebäude Foto: Jochen Berger


Eigentlich sollte der Haupt- und Schlüsselzeuge in dem Betrugsprozess gegen den ehemaligen Angestellten einer Versicherung bereits am Freitagvormittag gehört werden. Aufgrund der ausdauernden Zeugenbefragung wurde die Vernehmung des 31-jährigen Angeklagten auf den frühen Nachmittag verschoben. Doch auch da klappte die Vernehmung des Mannes nicht.


Interessenkonflikt

Der Grund: Ein Mitarbeiter der Versicherung hatte sich am Vormittag bei seiner Zeugenvernehmung von einem Bamberger Anwalt vertreten lassen. Im Lauf der Verhandlung stellte sich heraus, dass genau dieser Anwalt zugleich auch den später geladenen Hauptzeugen als Zeugenbeistand unterstützen sollte. Rechtsanwalt Jochen Kaller beantragte deshalb, den Anwalt vom Prozess auszuschließen. Die Richter der ersten großen Strafkammer folgten dem Antrag des Juristen. Der Vorsitzende Richter Christoph Gillot sprach von einer "möglichen Interessenkollision". Diese sei vorstellbar, wenn der Anwalt in einem Verfahren mehrere Zeugen vertrete, einer der vertretenen Zeugen in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem anderen Zeugen stehe und es bei den Aussagen zu "Diskrepanzen" kommen könne.
Der Hauptzeuge wollte allerdings auf einen Rechtsbeistand nicht verzichten und sagte deshalb nicht aus. Mit einem neuen Anwalt wird der Mann später erneut als Zeuge geladen.


Günstige Beiträge verschafft

In einem aufwendigen Verfahren muss sich der 31-jährige Versicherungskaufmann aus dem Landkreis Coburg derzeit wegen Betrugs, Untreue und Urkundenfälschung vor Gericht verantworten. Er soll seine Kunden, die vornehmlich aus dem Raum Kronach stammen, mit fingierten Daten günstige Versicherungsverträge beschafft oder Leistungen versprochen haben, argumentierte Oberstaatsanwalt Martin Dippold bei der Anklageerhebung.
In 231 Fällen, die aufgrund von Familienzusammengehörigkeit zu 186 Fällen zusammengefasst wurden, soll der Mann das Vertrauen seiner Versicherungsnehmer missbraucht haben. Seinem ehemaligen Arbeitgeber, dessen Geschäftsstelle in Kronach der Mann bis Ende des Jahres 2009 leitete, soll ein erheblicher Provisions-, Beitrags- und Gefährdungsschaden entstanden sein.
Die drei Anwälte des Angeklagten, darunter ein Fachanwalt für Versicherungsrecht, bezweifeln, dass überhaupt ein Provisionsschaden vorliegt und wollen dies im Laufe des Verfahrens, für den insgesamt 19 Verhandlungstage anberaumt wurden, beweisen. Die Kriminalhauptkommissarin, die mit den Ermittlungen betraut war, sagte aus, dass der Angeklagte in "wirklich jeder Sparte eine Nische fand, den Beitrag möglichst niedrig zu halten und (...) einen Versicherungsantrag abzuschließen." Der Angeklagte und seine Anwälte wollen jedoch beweisen, dass die Datenkorrekturen in den Versicherungsverträgen nicht nur die Billigung, sondern auch die Zustimmung des ehemaligen Vorgesetzten der Versicherung gefunden und es dazu eine "Handlungsanweisung" gegeben hätte. Die falschen Angaben sollen zur Berechnung niedrigerer Beitragssätze und dem "Ködern" von Kunden gedient haben. Auch die damaligen Mitarbeiter des Angeklagten, so die Juristen, sollen beim Ausfüllen der Verträge falsche Daten verwendet haben. Als Beweis legten sie ein Protokoll für eine schriftliche Beispielrechnung vor, die der Angeklagte als Organisationsleiter bei einer Schulung im September 2009 mehreren Mitarbeitern erläutert habe. Darin sei der Beitrag der Kfz-Versicherung niedriger gerechnet worden, da der bisherige Satz zu teuer gewesen sei.
Ein ehemaliger Mitarbeiter bestätigte, dass seine Kollegen "in einigen Fällen die Praxis mit den korrigierten Daten" bei der Kfz-Versicherung umgesetzt hätten. Er könne auch nicht ausschließen, dass er das ebenfalls gemacht habe, sagte der Mann. Auch von den Datenmanipulationen bei der Gebäudeversicherung habe er Kenntnis gehabt, erklärte er. Er bestritt allerdings, dass auch der damalige Vorgesetzte des Angeklagten und Hauptzeuge diese Anweisungen gegeben habe. Das wollten die Anwälte nicht glauben: "Bei einem entsprechenden Verdienst ist die Motivation hoch, seinen Dienstherrn nicht zu verraten", argumentierten sie und forderten die Offenlegung des Monatsgehaltes, das der Zeuge auf vier- bis fünftausendfünfhundert Euro bezifferte.


Protokolle unterschrieben

Er habe den Angeklagten bei seinem Eintritt in die Versicherung ab Oktober 2007 eingearbeitet, sagte er weiter aus. Zudem sei er auch bei Gesprächen mit Versicherungsnehmern dabei gewesen und habe auch die Beratungsprotokolle mit unterzeichnet. Und wieder hakte ein Anwalt nach: "Wenn Sie bemerkt haben, dass in den Beratungsprotokollen etwas Falsches stand, haben Sie trotzdem unterschrieben?" Das bestätigte der Zeuge. Die Juristen fragten hartnäckig nach: Ob der Mitarbeiter von einer internen Revision in der Versicherung gewusst habe? "Ja", sagt der Mann. "Um was es da gegangen sei?" Um die Verschiebung von Verträgen und die Begünstigung aktiver Mitglieder, erklärte der Zeuge. Ob der Vorgesetzte davon betroffen gewesen sei, wisse er nicht. Die Anwälte stellten weitere Behauptungen auf, die allerdings nicht belegt werden konnten: Ob der Mann wisse, woher die Versicherung die Daten ihrer zukünftigen Kunden erhalten habe? Ob es sein könne, dass diese von der Ehefrau des Vorgesetzten aus ihrer Arbeitsstelle abgegriffen worden seien? Von dieser Praxis habe er keine Kenntnis, erklärte der Zeuge.
Die Verhandlung wird fortgesetzt.