Rente reicht einfach nicht: Kleintettauerin sendet Hilferuf vom Rand der Gesellschaft
Autor: Andreas Schmitt
Kleintettau, Freitag, 20. April 2018
Ihre Erwerbsminderungsrente reicht Christel Fehn-Maisel nicht, um sorgenfrei zu leben. Die 62-Jährige fühlt sich bestraft dafür, krank zu sein.
Der Weg vom Parkplatz nach oben ist schön angelegt. Neben der Eingangstür stehen Frühlingsblumen, das ist ihr ganz wichtig. Und auf dem Küchentisch ist das Tettauer Porzellan bereits aufgedeckt.
Wer Christel Fehn-Maisel besucht, denkt nicht sofort an Armut. Der erste Eindruck jedoch, er ändert sich schlagartig, sobald sie über ihr Leben erzählt. "Die zehn Euro habe ich nicht." "Das habe ich gebraucht gekauft." "Da habe ich mir etwas geborgt." Sätze wie diese sprudeln aus der 62-Jährigen heraus.
Die Kleintettauerin leidet weder Hunger noch Durst, sie wohnt in ihrem eigenen abbezahlten Haus, besitzt ein Auto und einen intakten Computer. Trotzdem fühlt sie sich arm. "Seit Jahren gehe ich alle vier Wochen zum Damenstammtisch im Gasthaus Söllner. Wenn er ans Monatsende fällt, weiß ich nicht, woher ich 15 Euro für Essen und Getränk nehmen soll."
Krankheit verändert alles
Das Gefühl, gesellschaftlich an den Rand gedrängt zu werden, lässt sie verzweifeln. "Das einzige, was ich habe, ist Zeit", sagt Fehn-Maisel, die zweimal geschieden ist und ihre Kinder (39/40) alleine groß gezogen hat. Jahrzehnte lang hat sie hart gearbeitet. Im Kleintettauer Gasthaus Söllner hat sie bedient und organisiert. Mit dem verdienten Geld zahlte sie ihr Haus ab, jeden Monat 1000 Mark. Sie war aktiv, ging auf Reisen, nahm am kulturellen Leben teil. Und Oma und Tante pflegte sie auch.
Dann wurde Fehn-Maisel krank. Sie hatte Unterleibskrebs. Danach litt sie an den Folgen eines Zeckenstichs. Seitdem wurde das vorherige Energiebündel nie mehr richtig gesund.
"Es gibt Tage, da halte ich die Schmerzen nicht mehr aus", sagt Fehn-Maisel. Sie hat Borreliose, eine bakterielle Infektionskrankheit. Außerdem leidet sie unter Fibromyalgie, hat Muskel- und Gelenkschmerzen.
Nichts zu tun ist für die 62-Jährige aber keine Lösung. Um sich ein paar Euro zu verdienen, gibt sie Museumsführungen. Auf Flohmärkten verkauft sie Selbstgemachtes - von Honig bis Stoffpuppen. "Danach bin ich dann zwei Tage kaputt." An reguläre Arbeit ist nicht zu denken. Die Folge: Geldmangel, gesellschaftliche Ausgrenzung, Einsamkeit. Aus dem Teufelskreis kommt sie nicht heraus.
"Ich fühle mich bestraft dafür, dass ich krank bin", sagt die Kleintettauerin. Denn die monatlichen 830 Euro sind schnell weg. 350 Euro benötigt sie für ihr Haus - Grundsteuer, Müllgebühr, Schornsteinfeger und Co. Hinzu kommen die Kosten für ihren 18 Jahre alten VW Polo, auf den sie angewiesen ist. Ständig führt ihr Weg zu Fachärzten in Kronach oder Sonneberg. Der ÖPNV ist keine Alternative. "Der Bus fährt zu selten. Und Bus und Bahn sind zu teuer." Deshalb spart sich Fehn-Maisel 400 Euro Versicherung und Steuer pro Jahr sowie 100 Euro Sprit pro Monat zusammen.
Weitere Fixkosten kommen dazu: Jedes Rezept - und davon hat die chronisch kranke Frau einige - kostet Zuzahlung. Einmal Morphium: zehn Euro. Auch der Gang zur Apotheke quält. "Da sind schnell 50 Euro weg."
Wasserkocher und Fön sind zu viel
Wenn dann Wasserkocher und Fön gleichzeitig kaputt gehen, wie vor Kurzem, ist das zu viel. "Da musste ich mir was leihen." Von gesellschaftlichen Aktivitäten ganz zu schweigen. Eis essen mit den Enkeln oder ins Kino - nicht möglich. Selbst fürs Schwimmbad reicht es nicht. Fehn-Maisel: "In Steinbach erhöhen sie den Jahreskarten-Preis nach dem Umbau von 80 auf 250 Euro." Viel ändern kann sie an der Situation nicht. Ihr kranker Körper hat nicht mehr genug Kraft. Etwas tun wollte sie aber. Sie hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Landrat Klaus Löffler (CSU) gewandt. Die Reaktionen: Der Regierungschefin sei es nicht möglich, individuell zu antworten, heißt es in einem Schreiben aus Berlin. Verwiesen wird auf das Sozialministerium. "Es ist schwierig, Gesamtveränderungen von der lokalen Ebene aus vorzunehmen", sagt Stefan Schneider, Referent des Landrats. "Wir vollziehen nur Gesetze. Ändern müssen sie andere." Der Landrat hat Fehn-Maisels Brief an den Bundestagsabgeordneten für Coburg/Kronach, Hans Michelbach (CSU), weitergeleitet.
Der Abgeordnete verweist in seiner Antwort auf sozialpolitische Beschlüsse des Koalitionsvertrags. Unter anderem soll die gesetzliche Rente auf dem heutigen Niveau von 48 Prozent bis 2025 stabilisiert werden. Außerdem soll die Erwerbsminderungsrente verbessert und eine Grundrente eingeführt werden. Eine Kommission "Verlässlicher Generationenvertrag" soll sich mit der Rentenversicherung befassen. Und auch die von der CSU durchgesetzte "Mütterrente II" bekämpfe Altersarmut.
Außerdem habe Michelbach das Bundessozialministerium um Minister Hubertus Heil (SPD) um Stellungnahme gebeten. "Diese steht bedauerlicherweise noch aus", sagt Michelbach, der darauf drängt, die Koalitionsvereinbarungen zügig in die Gesetzgebung einfließen zu lassen.
Für Christel Fehn-Maisel dauert das alles zu lange. "Ich habe keine Zeit, um auf eine Kommission zu warten. Für uns Ältere muss sich jetzt etwas ändern." Trotzdem: Die 62-Jährige fühlt sich gut dabei, überhaupt etwas zu tun. Und hofft, andere in ähnlicher Situation damit zu motivieren.
Kritikpunkte von Christel Fehn-Maisel und Reaktionen
Rezeptzuzahlung Für verschreibungspflichtige Medikamente sind zehn Prozent Eigenanteil fällig - aber mindestens fünf und maximal zehn Euro. "Der Gesetzgeber schreibt das im Sozialgesetzbuch so vor", erklärt Dennis Chytrek von der Techniker Krankenkasse. Er verweist auf die Belastungsgrenze von zwei Prozent vom Brutto. Für chronisch Kranke liegt sie bei einem Pozent.
Schwimmbad Steinbach/W. Zum Preisanstieg der Jahreskarte von 80 auf 250 Euro sagt Thomas Kotschenreuther, Geschäftsstellenleiter der Gemeinde. "Wir haben saniert und bieten mit Dampfbädern und Kinderbereich mehr Leistungen." Die enormen Kosten müssten im Blick behalten werden. "Das Bad ist ein attraktives Angebot für die Region. Das zeigt auch die positive Resonanz."
Kommentar von Andreas Schmitt: Zuzahlungen sind unsozial
Die Rezeptgebühren passen nicht zum Anspruch eines Sozialstaats. Sie müssen deshalb dringend abgeschafft werden.
In Artikel 20 unseres Grundgesetzes wird "Sozialstaat" definiert: "Ein Staat, der sich um soziale Gerechtigkeit bemüht und sich um die soziale Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger kümmert."
Soziale Sicherheit also - das heißt in einfachen Worten: Der Staat soll die Menschen in finanziellen Notsituationen vor dem Abgleiten in Armut schützen.
Dass Christel Fehn-Maisel, die an der Armutsgrenze steht und jeden Euro dreimal umdreht, für ihre Arznei zahlen muss, ist unfair. Gerade sie, die sowieso schon leidet, muss den Geldbeutel öffnen. Gleichzeitig geben Krankenkassen für Werbung um Junge und Gesunde Millionen aus. Ein krasser Widerspruch!
Deutschland, das zu den G8 gehört und dessen Wirtschaft brummt, könnte es sich leisten, auf diese soziale Kälte zu verzichten. Kanzlerin Merkel und ihr Kabinett müssten das aber auch wollen.